Steht die britische Tory-Partei vor dem Aus?
Dreht sich die «Eiserne Lady» im Grab um? Was Margaret Thatcher von der aktuellen Situation ihrer Konservativen Partei, die sich in diesen Tagen in Manchester zum Parteitag trifft, halten würde, bleibt Spekulation. Doch Parteiveteran und ehemaliger Brexit-Minister David Davis, der gerne Anekdoten zum Besten gibt, ist sich sicher, dass die frühere Premierministerin kurz vor ihrem 100. Geburtstag unter der Erde rotiert.
Das Drama: Die ehrwürdige Tory-Partei ist in den Umfragen weit abgeschlagen hinter der rechtspopulistischen Reform-Partei und den regierenden Sozialdemokraten von Labour. Im britischen Direktwahlsystem, das auf der Rivalität von zwei grossen Parteien basiert, könnte sich das für die Konservativen als schicksalshaft herausstellen.
Tories könnten Rolle als Regierungspartei verlieren
Die Partei, die wie keine andere die Geschicke des Landes im 20. Jahrhundert dominierte, steht davor, in die Bedeutungslosigkeit abzurutschen. «Die Konservativen könnten ihre Rolle als bedeutende Regierungspartei verlieren», warnte jüngst Professor John Curtice von der Universität Strathclyde in Glasgow, der als Grossbritanniens wichtigster Umfrageexperte gilt.
Die Konservativen blicken auf eine knapp 200 Jahre lange Geschichte zurück. Erstmals an der Regierung waren sie 1834. Doch ihre politische Tradition geht zurück bis ins 17. Jahrhundert, als die politische Landschaft von «Whigs» und «Tories» dominiert wurde – daher der bis heute anhaftende Spitzname.
Nicht nur Wähler laufen zu Reform über
Verloren haben sie ihre Wählerschaft vor allem an die Rechtspopulisten von Brexit-Vorkämpfer Nigel Farage, der derzeit auf dem Kurs ist, nächster britischer Premier zu werden. Farage, der schon das Referendum um den EU-Austritt mit seinen Anti-Einwanderungs-Parolen anheizte, setzt weiter mit Erfolg auf das Thema Migration. Und er überzeugt nicht nur viele Wähler mit seinem Kurs. Während die Konferenz im vollen Gange ist, verkünden knapp zwei Dutzend konservative Gemeinderäte, dass sie zu Reform überlaufen.
Entsprechend fährt Tory-Chefin Kemi Badenoch Geschütze auf. «Wir müssen die Geisel der illegalen Migration nach Grossbritannien bekämpfen und unsere Grenzen sichern», poltert sie zum Auftakt des Parteitags. Sie kündigt an, 150'000 Menschen pro Jahr mit Methoden nach dem Vorbild der US-Migrationsbehörde ICE abzuschieben. Zudem will sie das Land aus der Europäische Menschenrechtskonvention führen, um zu verhindern, dass weiterhin Abschiebungen am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg scheitern.
Sowohl Befürworter als auch Gegner des Brexits verloren
Ob die Konservativen ihren Platz an der Sonne wieder zurückerobern können, indem sie der Reform-Partei ausgerechnet bei deren wichtigstem Thema Konkurrenz machen, bezweifeln Experten. Kompetenz wird ihnen vor allem beim Thema Wirtschaft zugetraut. «Ich denke, die derzeitigen Reform-Wähler lassen sich kaum noch zurückgewinnen», sagt Politik-Professor Anand Menon vom King's College London im Gespräch der Deutschen Presse-Agentur. Die Konservativen müssten eher versuchen, die Wähler von der anderen Seite des konservativen Spektrums anzusprechen, findet er. Gemeint sind Wähler aus der bürgerlichen Mitte, die proeuropäisch gesinnt sind.
Doch von ihnen hat sich die Partei schon weitgehend unter Boris Johnson verabschiedet, der mit einem kompromisslosen Brexit die EU-Skeptiker aus verschiedenen politischen Lagern hinter sich vereinte. Diese Wähler sind nun grösstenteils zu Reform abgewandert. «Euer Problem ist jetzt, dass ihr im Grunde weder die proeuropäische noch die antieuropäische Position besetzt», konstatiert Meinungsforscher Curtice bei der Konferenz.
Konkurrent will Politik nach Vorbild von Trumps Republikanern
Der Ausweg? Bisher nicht in Sicht. Unterhält man sich mit den Delegierten auf dem mässig besuchten Parteitag finden manche die Idee eines Pakts oder einer Koalition mit Farages Reform-Partei gar nicht so abwegig. Für Tory-Chefin Badenoch scheint das ein No-Go. Bei ihrer Abschlussrede erwähnt sie ihn kaum.
Doch obwohl sie mit «Kemi, Kemi»-Rufen und viel Applaus gefeiert wird, gilt es als zweifelhaft, ob Badenoch noch lange an der Spitze der Konservativen stehen wird. Sollten die Umfragewerte nicht besser werden, könnte sie bald schon Geschichte sein. Ein Herausforderer ist schon in den Startlöchern: Ex-Staatssekretär für Migration Robert Jenrick will sich die Politik von US-Präsident Donald Trump zum Vorbild nehmen, wie er bei seiner Parteitagsrede deutlich machte. Er unterlag Badenoch nur knapp im Rennen um die Parteiführung im vergangenen Jahr und gilt als aussichtsreichster Kandidat für ihre Nachfolge.
Was Thatcher zu all dem sagen würde? Das bleibt ein Rätsel, obschon die Tories ihr gleich am Eingang des Konferenzzentrums in Manchester eine Art Schrein mit mehreren Vitrinen und einer kleinen Ausstellung ikonischer Kleidungsstücke errichtet haben. Nur bei einer Sache ist sich Parteiveteran David Davis sicher: Thatcher hätte sich um Umfragewerte nicht geschert, sagt er. «Sie hat entschieden, was das Richtige ist, und dann hat sie die Öffentlichkeit davon überzeugt.» (sda/dpa)