Ein Kanzler, der sein 80-köpfiges Medienteam aufscheucht, wenn ihm ein Foto in einer Zeitung nicht gefällt? Ein Regierungschef, der die Boulevardpresse für genehme Berichterstattung schmieren lässt? Ein Staatslenker, der mediale Kritik als persönliche Angriffe missversteht? Was über die Praktiken von Österreichs Kanzler Sebastian Kurz dieser Tage an die Öffentlichkeit dringt, sorgt für Aufsehen.
Wirklich überraschend aber ist die enge Verstrickung zwischen Politik und Medien in Österreich keinesfalls. Dass über Regierungsinserate Millionen an Medienhäuser fliessen; dass die Medienförderung vor allem unkritischen Boulevardblättern wie der «Krone» oder «Österreich» zugute kommen; dass regierungskritische Redaktionen wie der «Standard» oder der «Falter» oft leer ausgehen: All das ist ein alter Hut.
Neu aber ist, dass die Propaganda-Praktiken von Kanzler Sebastian Kurz möglicherweise eine kriminelle Dimension haben. Am Dienstag soll es im österreichischen Parlament zu einem Misstrauensvotum kommen. Das System Kurz steuert auf ein abruptes Ende zu. Doch der Reihe nach.
Als die Ermittler der Wirtschafts- und Korruptions-Staatsanwaltschaft am Mittwoch in Wien ausrückten, um das Bundeskanzleramt, das Finanzministerium, die Parteizentrale der regierenden ÖVP sowie einige Privatadressen enger Kurz-Vertrauter zu durchsuchen, da dachten viele zuerst, dass es sich um neue Ermittlungen in bereits bekannten Korruptionsfällen handelt.
Etwa um die mutmasslichen Falschaussagen, die der 35-jährige Kanzler vor einem Ausschuss in der «Ibiza»-Affäre gemacht haben soll. Dass da ein ganz neues Kapitel in der Causa Kurz aufgeschlagen wird, das drang erst in den späten Abendstunden durch.
Laut Staatsanwaltschaft werden Sebastian Kurz und mehrere Personen aus seinem engsten Umfeld verdächtigt, ab April 2016 Absprachen mit der Zeitung «Österreich» getroffen zu haben: Freundliche Berichterstattung gegen Regierungsinserate, das war der Deal.
Zudem seien bei Meinungsforschern aus dem Umfeld der ÖVP Umfragen in Auftrag gegeben und zugunsten des Kanzlers geschönt worden. Umfragen, die laut Quellen in der ÖVP von Kurz und dessen Leuten als Argumentationsbasis für die Machtübernahme in der ÖVP benutzt wurden – und damit das Fundament für dessen Kanzlerkandidatur und Kanzlerschaft bildeten.
Bezahlt worden seien diese Umfragen aus Mitteln des Finanzressorts. So lautet der Vorwurf der Staatsanwaltschaft. Kurz weist das vehement zurück.
Helmut Brandstätter, einst Chefredaktor der österreichischen Tageszeitung «Kurier», heute Abgeordneter der liberalen NEOS im Parlament, ist nicht überrascht über all das, was da seit Mittwoch an Vorwürfen gegen Kurz hochkommt. «Überrascht bin ich nur, dass sie es so dumm gemacht haben.»
Im Fall des Kurier, erzählt der Ex-Chefredaktor Brandstätter, hätten die Inserate-Aktionen eine kleinere Rolle gespielt. Druck gemacht hätten Kurz und sein Team direkt übers Telefon: «Etwa dann, wenn Kurz ein Foto nicht gefallen hat und zum Teil auch bei Berichten oder Kommentaren».
Brandstätter kann sich gut an die Zeit erinnern. «Mir wurde praktisch direkt angedroht und angeordnet, eine Parteizeitung zu machen.» Als er das verweigert habe, habe Kurz ihn einmal gefragt: «Wieso magst du mich nicht?»
Das Image ist alles, was zählt – das haben Kurz und seine Leute von Anfang an verstanden. An alle ÖVP-Vertreter gehen Tag für Tag sorgsam formulierte Textbausteine raus, die sie in ihren Botschaften verwenden sollen. Alleine Kurz’ unmittelbares Medienteam soll 80 Personen umfassen.
Diese Dimension macht stutzig. Das Werbebudget, das sich die Regierung für die kommenden vier Jahre gegeben hat, umfasst 210 Millionen Euro. Ganze 30 Millionen davon sind als «Kreativleistungen» ausgewiesen, die praktisch freihändig an Agenturen ausgegeben werden können.
Im ersten Quartal 2021 schliesslich verdreifachten sich die Ausgaben für Regierungsinserate im Vergleichszeitraum zum Vorjahr. Neun Millionen Euro binnen drei Monaten zahlte die Regierung für Werbeplatz in den Zeitungen.
Geld spielte bei Kurz’ Aufstieg eine zentrale Rolle. «Kurz kann jetzt Geld scheissen.» Diesen Satz schrieb Thomas Schmid, damals Generalsekretär im Finanzministerium, laut geleakten Chatprotokollen 2016 an den heutigen Finanzminister Gernot Blümel. Kurz war damals «nur» Aussenminister. Ein kleiner Kreis innerhalb der Partei, zu dem auch Schmid zählte, wollte ihn auf dem Chefsessel.
Schmid liess das Budget des Aussenministers um 30 Prozent aufstocken und schrieb an Kurz: «Du schuldest mir was.» Schmid wurde schliesslich Chef der staatlichen Beteiligsungs-AG ÖBAG. Die Ausschreibung für den Posten dürfte er selbst verfasst haben – ob mit dem Sanctus Kurz’ oder nicht, das ist Gegenstand von Ermittlungen.
«Alle haben immer akzeptiert, dass es Journalisten gibt, die lästig sind», sagt Ex-«Kurier»-Chefredaktor Helmut Brandstätter. Kurz nicht. Das sei neu, acuh in Österreich. Nach Kurz’ Auffassung hätte es so laufen sollen: «Wir sagen euch, was geschrieben wird.»
Ein völlig neue Rollenverteilung also. Am 19. Juni 2017 habe Kurz dann folgendes zu ihm gesagt: «Ich erwarte, dass du mich im Wahlkampf unterstützt.». Und weiter: «Du kannst nur mein Freund oder mein Feind sein.» Keine Graustufen, keine Kritik. Auch das war neu.
Regierungsinserate, offener Druck auf Journalisten und Redaktionen sowie bis an den Rand der Absurdität aufgeblasene Pressestellen, die scannen, alarmieren und in Minutenschnelle reagieren: Das sind laut Brandstätter die drei Säulen der Kurz-Herrschaft. Ob die den jungen Kanzler weiter tragen oder rasch wegbröckeln, das wird sich sehr bald weisen. (aargauerzeitung.ch)
Der Mensch ist schon doof, oft wurden diese gewählt.
Entweder ist es die Macht, die die Menschen verändert, oder die Narzisten werden von solchen Positionen angezogen wie die Motten vom Licht.
Wird es wohl beides geben…