Die Wut über die strikte Null-Covid-Politik in China hatte sich in den vergangenen Tagen in landesweiten Protesten entladen. Auslöser war ein Wohnhausbrand mit zehn Toten in der Millionenstadt Urumqi in der nordwestchinesischen Region Xinjiang. Das Unglück hatte zunächst in Urumqi zu Protesten geführt. Im Internet machten viele Nutzer die strengen Corona-Massnahmen für die schleppende Rettung der Bewohner verantwortlich.
Am Wochenende weiteten sich die Proteste auf mehrere Grossstädte des Landes aus, darunter Peking, Shanghai und Wuhan. Demonstrierende versammelten sich auch an mehreren Universitäten. Sie fordern ein Ende der Corona-Lockdowns, aber auch mehr politische Freiheiten. Eine vergleichbare Protestwelle gab es seit der Niederschlagung pro-demokratischer Kundgebungen 1989 nicht mehr.
Mehrere westliche Stimmen äussern sich nun mit Besorgnis über die Entwicklungen in China. Einige Wortmeldungen in der Übersicht.
Die UNO rief die chinesischen Behörden auf, auf die Proteste «im Einklang mit den internationalen Menschenrechten» zu reagieren. «Niemand sollte willkürlich festgenommen werden, weil er friedlich seine Meinung geäussert hat», erklärte Jeremy Laurence, Sprecher des UNO-Menschenrechtsbüros.
Der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier forderte die chinesische Führung zur Achtung der Meinungsfreiheit auf. Die chinesischen Behörden reagieren auf die Protestwelle in mehreren Städten mit starker Polizeipräsenz und Online-Zensur.
«Die Freiheit der Meinungsäusserung ist ein wichtiges Gut», sagte Steinmeier der Deutschen Welle. Er hoffe daher, dass die staatlichen Behörden in China dieses Recht achten. Angesichts der strengen Corona-Beschränkungen in China habe er «Verständnis dafür, dass die Menschen ihre Ungeduld auf den Strassen zeigen».
Aus dem Weissen Haus hiess es, Präsident Biden beobachte die Unruhen in China «aufmerksam». Der Sprecher des Nationalen Sicherheitsrates des Weissen Hauses, John Kirby, betonte: «Menschen sollten Versammlungsfreiheit und friedlicher Protest gewährt werden.» Das US-Aussenministerium erklärte: «Wir sagen seit langem, dass jeder das Recht hat, friedlich zu protestieren, hier in den USA und überall auf der Welt. Dies gilt auch für die Volksrepublik China.»
Der britische Premierminister Rishi Sunak warnte, China sei eine «systemische Herausforderung» für «Werte und Interessen» des Vereinigten Königreichs. Diese Herausforderung spitze sich wegen des wachsenden Autoritarismus in China noch zu. London müsse «seine Einstellung zu China ändern», sagte Sunak.
In Peking und Shanghai war am Montag ein hohes Aufgebot an Sicherheitskräften auf den Strassen, nachdem im Internet zu erneuten Protesten aufgerufen worden war. Eine geplante Kundgebung in der Hauptstadt scheiterte daran, dass dutzende Polizisten mit Fahrzeugen eine Kreuzung nahe dem Treffpunkt blockierten.
Auch in Shanghai sollten Absperrungen entlang der Bürgersteige die Bürger an neuen Protesten hindern. Ein AFP-Journalist sah, wie drei Menschen von der Polizei festgenommen wurden.
Die Behörden löschten zudem offenbar sämtliche Berichte zu den Protesten in chinesischen Online-Netzwerken. Suchbegriffe zu zentralen Orten der Proteste wurden aus der Online-Plattform Weibo getilgt. Auch Videos aus dem Onlinedienst WeChat verschwanden.
Im Zuge der Proteste gerieten offenbar auch Journalisten, die über die Demonstrationen berichten, ins Visier der Behörden. Die europäische Rundfunkunion EBU sprach am Montag von einer «untragbaren» Einschüchterung von Journalisten in China.
In Shanghai war am Sonntag nach Angaben des britischen Senders BBC einer seiner Reporter festgenommen und im Gewahrsam geschlagen und getreten worden. Er kam später wieder frei. Auch ein RTS-Journalist wurde laut RTS am Sonntag kurzzeitig festgehalten.
China ist die letzte grosse Volkswirtschaft, die eine ultrastrenge Null-Covid-Politik verfolgt. Selbst kleine Corona-Ausbrüche können zu Lockdowns bis hin zur Abriegelung ganzer Städte führen. Am Montag lockerten die Behörden zumindest einige Corona-Massnahmen in Urumqi.
Peking verteidigte indes seine Pandemie-Politik. Der Kampf gegen Covid-19 werde «erfolgreich sein», sagte ein Aussenministeriumssprecher. Er warf «Kräften mit Hintergedanken» vor, das Feuer in Urumqi mit den Corona-Massnahmen in Verbindung gebracht zu haben. (con/sda/afp)