Vergangene Woche ist vor der Küste Griechenlands ein Flüchtlingsboot mit zwischen 500 und 700 Personen gesunken. Nur gut 100 von ihnen konnten gerettet werden. So viel ist bekannt.
Was nicht bekannt ist: Wie konnte es dazu kommen? Und wer ist verantwortlich? Dazu gibt es jetzt neue Verdachtsmomente und Anschuldigungen.
Die BBC hat die Radar-Daten der Unglücksregion genauer unter die Lupe genommen – und Merkwürdiges entdeckt.
Denn die Bewegungsbilder der Schiffe, die sich zur Zeit des Unglücks in der Region aufhielten, stehen im Gegensatz zu den von der griechischen Küstenwache gemachten Aussagen. Diese hatte zu Protokoll gegeben, das Flüchtlingsboot sei mehrmals von ihnen kontaktiert worden und hätte jegliche Hilfe stets abgelehnt. Es sei funktionsfähig gewesen und habe Kurs auf Italien gehalten.
Die Bewegungsdaten zeigten laut BBC jedoch, dass mehrere Schiffe, die zur Zeit, bevor das Flüchtlingsboot sank, in unmittelbarer Nähe waren, abrupte Kursänderungen vollzogen und den Flüchtlingen zu Hilfe kamen. Dies sei zwischen 15 Uhr und 18 Uhr gewesen. Die griechische Küstenwache hatte sie darum gebeten, Wasser und Verpflegung für die in Not geratenen Menschen zu liefern.
Diese Schiffe liefen über mehrere Stunden immer in etwa den gleichen Ort an – das Flüchtlingsboot hatte sich also kaum bewegt. Dies deutet darauf hin, dass es bereits da manövrierunfähig war. Laut Küstenwache hat sich das Boot aber bis 22.40 Uhr stetig fortbewegt.
Sagen die griechischen Behörden nicht die Wahrheit? Oder verfolgen sie gar eine Strategie, die solche Vorkommnisse bewusst in Kauf nimmt? Dies legt zumindest der deutsche Flüchtlingsforscher Maurice Stierl nahe.
Er sagt:
Die griechische Zeitung «Kathimerini» veröffentlichte am Sonntag das Protokoll eines Berichts, den der Kommandeur des Patrouillenboots 920 seinen Vorgesetzten gegeben habe. Demzufolge bot der Kapitän dem völlig überfüllten Fischkutter etwa zwei Stunden vor dem Unglück Hilfe an – was von dort aber abgelehnt worden sei.
Dem Protokoll zufolge wurden der Kapitän und seine Crew bereits am Dienstag gegen 15.00 Uhr vom maritimen Such- und Rettungszentrum im griechischen Piräus über das in Not geratene Boot informiert. Das Patrouillenboot habe sich dann sofort auf den Weg in die Region gemacht. Der Kutter sei gegen 23.00 Uhr entdeckt worden. Die Küstenwache habe sich dem Boot später auf etwa 200 Meter genähert und Hilfe angeboten.
«Wir näherten uns dem Schiff, um seinen Zustand und den der Passagiere zu überprüfen und erneut Hilfe anzubieten», zitierte die Zeitung den Kapitän, dessen Name nicht veröffentlicht wurde. Dann hätten die Beamten am Bug des Schiffs ein Seil befestigt. Von Bord seien jedoch Rufe wie «No Help» und «Go Italy» zu hören gewesen – man brauche keine Hilfe, Ziel sei Italien. «Trotz wiederholter Appelle, ob sie Hilfe brauchten, ignorierten sie uns und machten gegen 23.57 Uhr das Seil los. Sie starteten den Motor und fuhren mit geringer Geschwindigkeit in westliche Richtung.»
Das Patrouillenboot habe dann das Such- und Rettungszentrum informiert und das Boot im Abstand von 200 Metern begleitet, gab der Kapitän weiter an. Um 1.40 Uhr habe der Kutter erneut angehalten. Dann habe sich das Boot langsam geneigt. Unter den Passagieren habe es Aufruhr gegeben, auch Schreie seien zu hören gewesen. Innerhalb einer Minute sei das Boot dann jedoch gekentert.
Inzwischen sind auch mehrere Aussagen von geretteten Flüchtigen vom Bord des Schiffes an die Öffentlichkeit gelangt. Auffallend dabei: Offenbar wurden neben Frauen und Kindern auch alle Migranten mit pakistanischer Herkunft unter Deck eingesperrt.
Dafür spricht, dass nur wenige der Geretteten Pakistaner sind - unter den Toten jedoch mutmasslich bis zu 400. Laut britischen Medien seien die Pakistaner von den Schleppern sehr schlecht behandelt worden. Wenn sie nach Wasser verlangten, seien sie misshandelt worden.
Frauen und Kinder wurden laut dem Bericht unter Deck eingesperrt, um sie vor den mitreisenden Männern zu schützen. Keine Frau und kein Kind hat das Unglück überlebt.
Die Verhältnisse an Bord seien bereits vor der Katastrophe erbärmlich gewesen. Laut dem Guardian gab es sechs Todesfälle, die auf fehlende Wasserversorgung zurückzuführen sind.
(aeg)
Retten: ja.
Nach Europa bringen: nein.