«Reine Korruption»: Wie ICE-Chefin Kristi Noem Millionen für Freunde abzweigt
Im täglichen News-Tsunami aus den USA ging kürzlich eine spektakuläre Recherche von Pro Publica unter. Das Non-Profit-Unternehmen, das sich auf das Aufdecken von Machtmissbrauch spezialisiert hat, zeigt auf, wie die Chefin des Departements of Homeland Security (DHS), Kristi Noem, Gelder für Freunde abzweigt. Dabei handelt es sich nicht um Taschengeld, es sind dreistellige Millionenbeträge.
Das Departement of Homeland Security verfügt über immense Summen. Dafür sorgt Donald Trumps neue Big Beautiful Bill. 110 Milliarden Dollar waren es im Fiskaljahr 2025. 2026 sollen es gar 115 Milliarden werden. Damit hat das DHS das 19-mal höhere Budget als das Schweizer Militär (6 Milliarden). Es bezahlt damit unter anderem auch die ICE-Operationen. Doch nicht nur das.
Über die Ausgaben des DHS wacht die Ministerin für Heimatschutz, Kristi Noem, mit Argusaugen. «Jede Rechnung über 100’000 Dollar muss von ihr persönlich abgesegnet werden», schreibt das DHS auf seiner Homepage. Dies habe zu Einsparungen von 12 Milliarden Dollar geführt. «Während Lobbyisten um Regierungsaufträge kämpfen, kämpft Ministerin Noem für die amerikanischen Steuerzahler», erklärte ihre Sprecherin Tricia McLaughlin (merke dir den Namen, er wird noch bedeutsam).
Mit einem hat die Leiterin der Abteilung für Öffentlichkeit recht: Lobbyisten kämpfen um Regierungsaufträge. Das ist das vorgeschriebene Vorgehen (nicht nur) in den USA. Vergibt eine Behörde einen Auftrag, muss sie diesen zuerst ausschreiben und unter zahlreichen Bewerbungen die beste eruieren.
In Noems DHS ist das nicht so. Wenigstens nicht, als sie den Auftrag für eine Kampagne gegen kriminelle Ausländer vergab. Anfang Oktober liess sie sich dafür hoch zu Ross in einem Cowgirl-Kostüm filmen. «Brichst du unsere Gesetze, werden wir dich bestrafen», sagt sie von oben herab. Ihre Rede richtet sich an Migranten.
Der Spot, der kürzlich auch bei «Fox & Friends» ausgestrahlt wurde, ist Teil einer riesigen Kampagne. Noem nennt sie «zentral» im Kampf gegen illegale Immigration. Das Budget: 220 Millionen Dollar. Um den Auftrag dafür zu erhalten, würden sich dutzende Werbefirmen die Köpfe einschlagen. Doch dazu kam es nicht. Ohne ein ersichtliches oder begründetes Auswahlverfahren gingen 77 Millionen an eine republikanische Werbefirma in Louisiana. Die restlichen 143 Millionen wanderten an eine Kapitalgesellschaft namens Safe America Media.
Wie die Recherchen von Pro Publica zeigen, entstand Safe America Media nur wenige Tage, bevor der Vertrag unterzeichnet wurde. Hinter der Firma steckt ein alter republikanischer Werber namens McElwain. Seine Werbefirma beschäftigte vor Covid fünf Mitarbeiter, beantragte dann aber Hilfszahlungen. Ein Auftrag im Umfang von 143 Millionen ist zu gross für einen solchen Kleinbetrieb. Er ist auf Subunternehmen angewiesen.
Subunternehmen, hier klafft eine Lücke im US-System, müssen in Bundesverträgen nicht aufgeführt werden. Es ist also nicht bekannt, wie viele Subunternehmen Safe America Media anheuerte. Mindestens ein Teil der 143 Millionen landete aber bei The Strategy Group CO.
Bis hierhin klingt die Story zwar verworren, riecht aber noch nicht nach Korruption. Doch das ändert sich sogleich. Der Chef von The Strategy Group CO. (nicht zu verwechseln mit der Strategy Group, die Obamas Kampagne leitete) ist der Ehemann von DHS-Sprecherin Tricia McLaughlin. Ben Yoho und Tricia McLaughlin heirateten 2025. Kristi Noem nennt ihn «einen Freund».
Die Freundschaft – und die Businessbeziehungen – dauern schon länger. Yoho drehte für Noem die Kampagnenwerbungen, als sie 2022 als Gouverneurin kandidierte. Später erhielt seine kurz zuvor in South Dakota registrierte Firma Go West Media (von sieben Bewerbern) den Zuschlag, Werbespots im Wert von 8,5 Millionen für South Dakota zu drehen, mit denen Arbeiter angelockt werden sollten. Noem habe dabei Druck auf das Auswahlgremium ausgeübt, schreibt Pro Publica.
Bereits damals sei es immer wieder zu dubiosen Zahlungen gekommen. So habe Go West Media 25’000 Dollar an eine von Noems engsten Mitarbeiterinnen, Madison D. Sheahan, zurückbezahlt – für Beratungsleistungen. Sheahan ist heute die nominelle Nummer zwei bei der Ausschaffungsbehörde ICE.
Darauf angesprochen, weshalb das DHS trotz des enormen Kampagnenumfangs von 220 Millionen Dollar auf ein öffentliches Auswahlverfahren verzichtete, antwortet die Behörde, dass sich das Land in einem «Nationalen Notstand» befinde. Donald Trump rief diesen für die «südliche Grenze» aus. Während eines Notstands sei die Direktvergabe von Aufträgen erlaubt.
Weshalb sich das DHS für die Mini-Firma Safe America Media entschied, und wie es schlussendlich ausgerechnet zur Zusammenarbeit mit der Firma ihres Mannes kam, weiss DHS-Sprecherin McLaughlin nicht: «Wir haben keine Einsicht ins Auswahlverfahren und ich trenne Beruf vom Privaten.»
Selbstverständlich fordern Noems politische GegnerInnen nun eine Untersuchung. Der demokratische Minderheitenführer Hakeem Jeffries forderte gar Noems Rücktritt. Es handle sich bei dem Fall um nichts anderes als um Korruption.
Ein weiterer suspekter Fall ereignete sich 2023. Als Gouverneurin von South Dakota, nahm eine von Noems privaten Firmen eine Bezahlung von 80’000 Dollar an, ohne dies auszuweisen. Überwiesen wurde das Geld von der Non-Profit-Organisation «American Resolve Policy Fund». Dabei handelt es sich um eine sogenannte «Dark money»-Organisation, die für die politische Karriere von Noem Spenden (für Kampagnen und nicht für den Privatgebrauch) sammelt, ohne dabei die Namen der Geldgeber preisgeben zu müssen. Auch diesen Fall brachte Pro Publica ans Licht. Geschehen ist indes nichts.
Um solche Fälle zu verhindern, existieren in den USA sogenannte Generalinspekteure. Der Beamtenstatus wurde unter Gerald Ford 1976 wegen Missbräuchen im Gesundheitsamt zum ersten Mal eingeführt und später 1978 unter Jimmy Carter auf weitere Bundesbehörden ausgeweitet. Generalinspekteure sorgen für reibungslose und legale Abläufe innerhalb der Behörden und sollen Korruption eindämmen. Oft werden sie mit Schiedsrichtern oder auch Wachhunden verglichen – und oft sind sie republikanischen Präsidenten ein Dorn im Auge.
Ronald Reagan versuchte bei Amtsantritt, 16 von ihnen zu feuern; George H. W. Bush gar alle. Beide scheiterten am Widerstand des Kongresses. Einen solchen hatte Donald Trump nicht zu befürchten. Er entliess am 24. Januar 2025, vier Tage nach seiner Inauguration, 17 Generalinspekteure. Ein Kollege, der dieses Vorgehen kritisierte, wurde Wochen später ebenfalls vor die Tür gesetzt.
Der für das DHS zuständige Generalinspekteur, Joseph V. Cuffari, wurde 2019 von Donald Trump eingesetzt. Eine weisse Weste scheint auch er nicht zu haben. Im Oktober 2024, kurz vor Ende von Joe Bidens Amtszeit, warf ihm ein Ausschuss von anderen Generalinspekteuren und Ermittlern im Weissen Haus vor, seine Befugnisse missbraucht zu haben. Des Weiteren habe er sich «schwerwiegendes Fehlverhalten» zuschulden kommen lassen. Joe Biden wurde empfohlen, «geeignete Massnahmen bis hin zur Entlassung» zu ergreifen. Biden verzichtete darauf.
Der Verdacht liegt nahe, dass auch der Fall der strammen MAGA-Anhängerin Noem, wie so viele, unter den Tisch gekehrt wird. Die Abkürzung MAGA hat in Kritikerkreisen längst eine neue Bedeutung: «Make All Grifting Available» – «Mach alle Betrugsmaschen möglich».
