Boris Johnson hat seine Steherqualitäten erneut bewiesen. Am Montagabend überstand der britische Premierminister das Misstrauensvotum, das in der Fraktion seiner konservativen Tories wegen der «Partygate»-Affäre gegen ihn angesetzt worden war. Wie lange er noch stehen wird, bleibt allerdings auch nach dem Votum eine offene Frage. Denn immerhin 148 der 359 konservativen Unterhausabgeordneten sprachen Johnson das Misstrauen aus – seine Machtposition ist damit wohl erheblich geschwächt.
Johnson bemühte sich, das Ergebnis als grossen Erfolg darzustellen. «Ich glaube, das ist ein extrem gutes, positives, abschliessendes und deutliches Ergebnis», sagte der konservative Parteichef nach der Abstimmung in einem Fernsehinterview. Er fügte hinzu: «Was das bedeutet ist, dass wir als Regierung nun voranschreiten können und uns auf Dinge konzentrieren können, die den Menschen meiner Meinung nach wirklich wichtig sind.»
Die Kritik an sich stellte er als reinen Medienrummel dar. Er freue sich, nun ausschliesslich über die Prioritäten seiner Regierung zu sprechen und nicht mehr über «das ganze Zeug, das von obsessivem und zwanghaftem Interesse» der Journalisten sei, sagte der Premier.
Oppositionsführer Keir Starmer warf den Konservativen vor, gar keinen Plan zu haben, wie sie diese Probleme angehen wollen. Es zeige sich nun klarer als jemals zuvor, wie gespalten die Tory-Partei sei. Die britische Öffentlichkeit habe genug von einem Premierminister, der viel verspreche, aber niemals diese Versprechen halte, sagte der Labour-Chef.
«Gespaltene Tories, die Boris Johnson stützen und keinen Plan haben, um die Probleme anzugehen, mit denen Sie konfrontiert sind», schrieb Starmer auf Twitter. Er nutzte das Ergebnis um für seine eigene Partei zu werben. «Labour wird Grossbritannien wieder auf den richtigen Weg bringen.»
The choice is clearer than ever before:Divided Tories propping up Boris Johnson with no plan to tackle the issues you are facing.Or a united Labour Party with a plan to fix the cost of living crisis and restore trust in politics.Labour will get Britain back on track.— Keir Starmer (@Keir_Starmer) June 6, 2022
Auch Labour-Aussenminister David Lammy fand deutliche Worte zum Johnson-Urteil. Dies sei alles andere als ein Sieg, führt er aus: «Es ist ein sehr, sehr schlechtes Resultat», so Lammy.
“He’s effectively lost the confidence of his backbenchers”
— BBC Politics (@BBCPolitics) June 6, 2022
Labour’s David Lammy says Boris Johnson is now “walking wounded” after 148 Conservative MPs voted against him in a vote on his leadershiphttps://t.co/EgazRtQiAn pic.twitter.com/WnwKR1E4mp
Er argumentierte, dass diverse Vorgänger Johnsons kurz nach ihrem Misstrauensvotum am Ende gewesen seien. «Und Johnson hat noch schlechter abgeschnitten», sagte er. In einem Tweet bezeichnete Lammy den Premierminister als politisch «zum Tode Verurteilter».
Worse percentage-wise than Thatcher in 1990.
— David Lammy (@DavidLammy) June 6, 2022
Worse percentage-wise than May in 2018.
Worse percentage-wise than Major in 1995.
Boris Johnson is a dead man walking. He’s got to go.
Es war nicht nur die laxe Haltung gegenüber den eigenen Regeln, die Johnsons Gegner in der eigenen Partei auf die Barrikaden gebracht hat. Der Tory-Abgeordnete und langjährige Johnson-Weggefährte Jesse Norman warf dem Premier unter anderem vor, die Einheit des Landes zu gefährden.
Den Konfrontationskurs mit Brüssel in der Nordirland-Frage bezeichnete er als «wirtschaftlich sehr schädlich, politisch töricht und beinahe sicher illegal». Johnsons Plan, Flüchtlinge nach Ruanda abzuschieben, beschrieb er als «hässlich, wahrscheinlich kontraproduktiv und von zweifelhafter Rechtmässigkeit».
Eine langfristige politische Agenda habe Johnson hingegen nicht. «Stattdessen versuchst du einfach nur Wahlkampf zu betreiben, indem du ständig das Thema wechselst und politische und kulturelle Gräben hauptsächlich zu deinem eigenen Vorteil schaffst», so Norman weiter.
Ian Blackford von der Schottischen National Party zeigte sich «fassungslos» über das Ergebnis des Votums. Der SNP-Vorsitzende in Westminster sagte, es sei eine «grosse Sache», dass so viele Konservative gegen ihren eigenen Premierminister stimmen. Johnson habe jetzt die Unterstützung von weniger als einem Drittel des Unterhauses.
«Für Boris sollte es vorbei sein», so Blackford. «Er ist ein Mann, der nicht die Unterstützung des Parlaments hat ... er muss erkennen, dass er mit seinem Verhalten das Amt des Premierministers erniedrigt hat». Er glaube nicht, dass Boris Johnson noch einmal zu den Parlamentswahlen antreten werde.
Da ein weiteres Misstrauensvotum nach den Regeln der britischen Konservativen nun für zwölf Monate ausgeschlossen ist, fordern Johnson-Vertraute, es müsse nun ein Schlussstrich unter die Kritik an der Führungsrolle des Premiers gezogen werden. So etwa Bildungsminister Nadhim Zahawi.
«Ich denke, es ist nun wichtig, sich daran zu erinnern, dass wir nur in der Lage sind zu liefern, wenn wir vereint sind», sagte Zahawi dem Sender «Sky News» nach der Abstimmung. Es sei nun Zeit, nach vorne zu schauen und sich Themen wie etwa der Wirtschaft und der stark steigenden Inflation widmen zu können.
Auch die Kulturministerin Nadine Dorries sagte, es sei an der Zeit, zum Regieren zurückzukehren. «Die Person, der Starmer bei einer Wahl nicht begegnen will, ist Boris Johnson, der die grösste Mehrheit der Konservativen seit 1987 und den höchsten Stimmenanteil (43.6 Prozent) aller Parteien seit 1979 mit 14 Millionen Stimmen erreicht hat», twitterte die konservative Abgeordnete für Mid Bedfordshire.
The person Starmer doesn’t want to face at an election is Boris Johnson who secured the biggest Conservative majority since 1987 and the highest share of the vote (43.6 per cent) of any party since 1979, with 14 million votes. Time to get back to the job of governing.
— Nadine Dorries (@NadineDorries) June 6, 2022
Aussenministerin Liz Truss stimmte Dorries zu: «Jetzt ist es an der Zeit, sich an die Arbeit zu machen». Truss twitterte, sie sei «erfreut, dass die Kollegen den Premierminister unterstützt haben. Ich unterstütze ihn zu 100%.»
Wohnungsbauminister Michael Gove sagte unterdessen, es sei an der Zeit, sich auf die Prioritäten der Menschen zu konzentrieren, nachdem der Premierminister das Vertrauen seiner Abgeordneten gewonnen habe. «Jetzt müssen wir das tun, wofür wir gewählt wurden – das Niveau anheben, die Kriminalität senken, die Vorteile des Brexit sichern und die öffentlichen Dienstleistungen verbessern», schrieb Gove auf Twitter.
((aj,t-online ))