Showdown in der «Partygate»-Affäre: Nach Monaten der Kritik musste sich der britische Premierminister Boris Johnson am Pfingstmontag einem Misstrauensvotum seiner Konservativen Partei stellen.
Um 22 Uhr stand das Ergebnis fest: Er hat das Misstrauensvotum in seiner konservativen Fraktion überstanden. Die Mehrheit seiner Parteikollegen sprach dem Premier am Montagabend in London ihr Vertrauen aus. Auslöser für die Abstimmung war die Affäre um Partys in Johnsons Amtssitz während des Corona-Lockdowns.
Doch das Ergebnis war knapper als erwartet. Nur 211 seiner Fraktionskollegen sprachen dem Premier am Montagabend in London ihr Vertrauen aus. 148 Tory-Abgeordnete votierten für eine Abwahl Johnsons als Parteichef und damit auch als Premierminister. Er gilt damit als schwer beschädigt.
Wie es zum Misstrauensvotum gegen Boris Johnson kam und wer für bzw. gegen den britische Premierminister ist, liest du hier:
Johnson bemühte sich, das Ergebnis als grossen Erfolg darzustellen. «Ich glaube, das ist ein extrem gutes, positives, abschliessendes und deutliches Ergebnis», sagte der konservative Parteichef nach der Abstimmung in einem Fernsehinterview. Er fügte hinzu: «Was das bedeutet ist, dass wir als Regierung nun voranschreiten können und uns auf Dinge konzentrieren können, die den Menschen meiner Meinung nach wirklich wichtig sind.»
Am Montagmorgen hatte der Chef des zuständigen Parteikomitees, Graham Brady, in London bekanntgegeben, dass die notwendige Anzahl an Briefen – also mindestens 54 – von Tory-Abgeordneten eingegangen sei. Damit war die Schwelle von mindestens 15 Prozent erreicht.
Die explosive Nachricht, die wohl so manchen noch feierseligen Briten schlagartig ernüchtert haben dürfte, war kein Zufall: Brady bestätigte auf Nachfrage indirekt, man habe die Jubiläumsfeiern zu Ehren der Queen in den vergangenen Tagen nicht mit der Nachricht überschatten wollen.
Johnson steht innenpolitisch unter Druck, seit im Winter Stück für Stück ans Licht kam, dass in seinem Amtssitz exzessive Partys gefeiert wurden, während der Rest der Briten lange Lockdowns absass und sich nicht von sterbenden Angehörigen verabschieden konnte.
Immer wieder forderten Parteikollegen öffentlich, Johnson, der die Feierkultur duldete und teilweise sogar mitmachte, solle zurücktreten. Allerdings erreichte die Zahl der Kritiker bislang nie die notwendige Schwelle, um das Misstrauensvotum auszulösen – auch dann nicht, als Johnson für die Teilnahme an einer der Partys ein Strafgeld zahlen musste und damit zum ersten amtierenden Premier wurde, der erwiesenermassen gegen das Gesetz verstossen hat. Der Ausbruch des Krieges in der Ukraine brachte einige Kritiker zeitweise zu der Ansicht, es sei nicht die richtige Zeit für einen Führungswechsel.
Erst der kürzlich veröffentlichte Untersuchungsbericht der Spitzenbeamtin Sue Gray, der den Verantwortlichen in der Downing Street ein verheerendes Führungszeugnis ausstellte, ermutigte weitere Abgeordnete dazu, ihre Briefe an das einflussreiche 1922-Komitee und dessen Vorsitzenden Brady zu schreiben. Das Fass zum Überlaufen gebracht haben könnten auch Buhrufe aus den Reihen von Royal-Fans, die deutlich zu hören waren, als Johnson am Freitag mit seiner Frau Carrie zum Jubiläumsgottesdienst an der Londoner Kathedrale St.Paul's ankam.
Mitglieder seines Kabinetts hatten sich am Montag auf Twitter beeilt, ihrem Premier «100 Prozent Rückendeckung» zuzusichern und zu betonen, er habe bei den «Big Calls», also den grossen politischen Entscheidungen der vergangenen Jahre, richtig gelegen.
Allerdings hatten sich auch prominente Stimmen gegen Johnson positioniert: So kündigte Ex-Aussenminister Jeremy Hunt – ein potenzieller Nachfolger Johnsons – an, «für Veränderung zu stimmen». Der Anti-Korruptions-Beauftragte der Partei, John Penrose, gab überraschend sein Amt auf und erklärte, Johnson habe in der Affäre gegen den ministeriellen Verhaltenskodex verstossen, was als eindeutiger Rücktrittsgrund gilt. Ein Sprecher des Premierministers sagte jedoch am Montag, Johnson sehe keinen Verstoss gegen den Verhaltenskodex.
Anyone who believes our country is stronger, fairer & more prosperous when led by Conservatives should reflect that the consequence of not changing will be to hand the country to others who do not share those values. Today’s decision is change or lose. I will be voting for change
— Jeremy Hunt (@Jeremy_Hunt) June 6, 2022
Ein weiteres Misstrauensvotum ist nach den geltenden Regeln der britischen Konservativen nun für einen Zeitraum von zwölf Monaten ausgeschlossen. Johnson-Vertraute forderten daher, nun müsse ein Schlussstrich unter die Kritik an der Führungsrolle des Premiers gezogen werden. Doch das ist kaum zu erwarten.
«Ich denke, es ist nun wichtig, sich daran zu erinnern, dass wir nur in der Lage sind zu liefern, wenn wir vereint sind, sagte Bildungsminister Nadhim Zahawi dem Sender Sky News nach der Abstimmung. Es sei nun Zeit, nach vorne zu schauen und sich Themen wie etwa der Wirtschaft und der stark steigenden Inflation widmen zu können.
Oppositionsführer Keir Starmer warf den Konservativen jedoch vor, gar keinen Plan zu haben, wie sie diese Probleme angehen wollen. Es zeige sich nun klarer als jemals zuvor, wie gespalten die Tory-Partei sei. Die britische Öffentlichkeit habe genug von einem Premierminister, der viel verspreche, aber niemals diese Versprechen halte, sagte der Labour-Chef.
Ebenfalls zu denken geben sollte Johnson, dass die Rebellion nicht nur von einem Flügel der Partei zu kommen schien. Beispielsweise finden sich unter seinen Kritikern sowohl beinharte Brexit-Anhänger wie der Abgeordnete Steve Baker und Ex-Brexit-Minister David Davis als auch Remainer wie Tobias Ellwood, der kürzlich eine Rückkehr in den EU-Binnenmarkt forderte.
Die nächste Krise für Johnson droht, wenn am 23. Juni in zwei englischen Wahlkreisen Nachwahlen stattfinden. In mindestens einem davon müssen sich die Tories auf eine schwere Niederlage einstellen. (dab/aeg/sda/dpa)
Aber gut, dass die Frage geklärt wird.
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