Queen Elizabeth II. feiert ihren Geburtstag traditionell in der zweiten Juniwoche. Das britische Fernsehen zeigte am Samstag Bilder von der Militärparade zu Ehren des nun 94-jährigen Staatsoberhauptes. Doch in diesem Jahr ist Alles anders: Das Königshaus ist für die britische Bevölkerung die Verkörperung der schönen, heilen Welt. Einer Welt, die in Grossbritannien derzeit nicht existiert.
So spürt auch die Königin an ihrem Ehrentag die Auswirkungen der Corona-Pandemie. Keine grosse Militärparade, keine Menschenmassen, die der Queen vor dem Buckingham Palace zujubeln. In diesem Jahr feiert sie auf Windsor Castle, die Parade im Garten des Schlosses besteht aus weniger als 100 Soldaten.
Aber die Corona-Pandemie ist nicht die einzige globale Krise, die Grossbritannien derzeit hart trifft. Nach dem Mord an George Floyd in den USA haben die Massenproteste auch die Insel erreicht, viele wütende Menschen demonstrieren auf der Strasse. Sie zeigen: Auch Grossbritannien hat ein grosses Rassismus-Problem. Hinzu kommen immer grössere wirtschaftliche Probleme, nach dem Stillstand in den Gesprächen mit der Europäischen Union droht im Januar der harte Brexit .
Für Boris Johnson sind die Krisen und Probleme im Land tickende Zeitbomben. Aber der britische Premierminister verunsichert die Bevölkerung zusätzlich mit Ignoranz, ein Symptom seiner Planlosigkeit.
Die schweren Konsequenzen dieser Konsequenz dieser Ignoranz bekamen die Briten zu Beginn der Corona-Pandemie im März zu spüren. Das Virus erreichte die Insel, ähnlich wie Italien, im Januar. Aber im Gegensatz zu Italien gab es im Februar in Grossbritannien noch keine grösseren Infizierten-Zahlen.
Die britische Regierung nutzte diesen Vorsprung nicht und Boris Johnson weigerte sich nach dem massiven Anstieg der Erkrankungen zunächst, weitreichende Beschränkungen des öffentlichen Lebens zur Bekämpfung der Pandemie zu beschliessen. Seine Strategie: Die britische Gesellschaft sollte schnell durch die Krise geschleust werden, indem durch eine Corona-Durchseuchung eine weitreichende Immunität in der Bevölkerung entsteht.
Johnsons Plan schlug fehl: Im April explodierten die Infektionen auf der Insel, das britische Gesundheitssystem war überfordert. Auch dadurch ist Grossbritannien mit 295'828 Infektionen und 41'747 Menschen, die mit dem Virus gestorben sind, die Corona-Hochburg in Europa (Stand: 13. März, 23 Uhr). In Betrachtung dieser Zahlen hat das Land längst die ehemaligen Infektionsherde Italien und Spanien deutlich überholt. Das liegt auch an der Fehlkalkulation von Boris Johnson.
Neben der Bevölkerung steht vor allem auch die britische Wirtschaft unter Schock. Wie das Statistikamt ONS mitteilte, schrumpfte das Bruttoinlandsprodukt in Grossbritannien im April um 20 Prozent im Vergleich zum Vormonat. Es ist die grösste Einbruch von Monat zu Monat, der jemals verzeichnet wurde und drei Mal so gross wie bei der Finanz- und Wirtschaftskrise von 2008/09. Im Vergleich zu Februar war das britische Bruttoinlandsprodukt im April sogar um ein Viertel kleiner. Die Produktion brach in allen Bereichen ein.
Für kommende Woche hat Premierminister Boris Johnson weitere Lockerungen der Ende März eingeführten Kontaktbeschränkungen angekündigt. Beispielsweise sollen Läden wieder öffnen dürfen. Heftige Kritik gibt es aber an einer 14-tägige Quarantänepflicht für alle Einreisenden, die seit Beginn dieser Woche in Kraft getreten ist. Auch die Pflicht zur Einhaltung eines Abstands von zwei Metern trifft auf scharfe Kritik.
Die britische Regierung kämpft momentan gegen die Pandemie und gegen die wirtschaftliche Rezession. Johnson, der den Briten eine neue wirtschaftliche Blütezeit nach dem Brexit versprach, muss nun vielleicht die schwerste wirtschaftliche Krise des Landes seit dem Zweiten Weltkrieg bewältigen. Die Schwäche der Ökonomie bringt Grossbritannien auch in eine schlechte Verhandlungsposition in den Brexit-Verhandlungen mit der EU.
Als Brexiteer der ersten Reihe hat Johnson für den EU-Austritt gekämpft und der Bevölkerung Versprechungen gemacht, die er nun nicht erfüllen kann. Spätestens seit Corona steht fest: Der Brexit zum jetzigen Zeitpunkt ist für die gebeutelte britische Wirtschaft ein Himmelfahrtskommando. Doch das politische Vermächtnis für Johnson wird die Bewältigung des EU-Austritts sein, auch deshalb bleibt der Premierminister auf Kurs, zur Not in Richtung eines harten Brexits.
Die EU und Grossbritannien hatten ein Jahr Zeit, um die gegenseitigen Beziehungen nach dem 1. Januar 2021 zu regeln. Der Zeitplan war schon vor Corona ehrgeizig, aber auch durch die Pandemie blieb knapp die Hälfte der Zeit nahezu ungenutzt, die Verhandlungen sind festgefahren.
Die EU weiss von der angeschlagenen britischen Wirtschaft und bleibt bei Zugeständnissen gegenüber des ehemaligen Mitgliedes hart. Die britische Regierung kontert, bringt erneut den harten Brexit als Option ins Gespräch. Der britische Kabinettsminister Michael Gove bestätigte am Freitag formell, die Übergangsperiode nicht zu verlängern. Der Zeitpunkt dafür sei verstrichen: «Am 1. Januar 2021 werden wir wieder die Kontrolle übernehmen und unsere politische und wirtschaftliche Unabhängigkeit wiedererlangen», twitterte Gove. Grossbritannien hat zugleich seine Pläne für vollständige Grenzkontrollen im Warenverkehr mit der EU zum 1. Januar fallengelassen. Stattdessen sollen sie stufenweise bis zum 1. Juli 2021 eingeführt werden, um der Wirtschaft mehr Zeit zur Umstellung zu geben.
Grossbritannien versucht damit vor einer geplanten Videokonferenz mit Johnson, Kommissionschefin Ursula von der Leyen und EU-Parlamentspräsident David Sassoli, Druck auf die EU aufzubauen. Die Regierung in London kündigte an, man habe einem beschleunigten Zeitplan für die Handelsgespräche zugestimmt. Vom 29. Juni bis zum 27. Juli solle es wöchentliche Sitzungen geben, «ein Mix aus formellen Verhandlungsrunden und kleineren Gruppentreffen».
Aber die nun intensiveren Verhandlungen kommen nicht von ungefähr, in der Corona-Krise und ihren wirtschaftlichen Konsequenzen sind EU und Grossbritannien auf eine Einigung angewiesen. Durch die gegenwärtige Situation im Land sind die Briten jedoch vielmehr auf eine Vereinbarung angewiesen. Das weiss auch Johnson, der jedoch die erforderlichen Zugeständnisse den Brexit-Hardlinern und seinem gespaltenen Land verkaufen muss.
Johnson profitiert politisch von dieser Spaltung im Land, weil er beispielsweise mit seiner kompromisslosen Brexit-Politik die Mehrheit der Konservativen im Land hinter sich vereinen kann. Das macht ihn jedoch, ähnlich wie Präsident Donald Trump in den USA, für die Probleme seines blind, die sich schlagartig in Form von massiven Protesten auch auf der Insel niederschlagen.
Der Mord von George Floyd durch Polizisten in den USA Ende Mai hat zu globalen Solidaritätsbekundungen und Protesten gegen Rassismus und Polizeigewalt im geführt. In Grossbritannien sind viele wütende Menschen auf der Strasse, denn auch die Insel hat ein Rassismusproblem. Am Samstag gab es London und in vielen anderen britischen Städten erneut Proteste der «Black Lives Matter»-Bewegung, andererseits hatten auch rechtsextreme Gruppen zu Kundgebungen in der Hauptstadt geladen.
In Punkto Problembewusstsein scheint die britische Bevölkerung aber der eigenen Regierung mindestens einen Schritt voraus zu sein. Eine kürzlich erhobenen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov kam zu dem Ergebnis, dass nur sechs Prozent der Briten denken, nicht in einer rassistischen Gesellschaft zu leben. Vorige Umfragen vor dem Floyd-Mord kamen schon zu ähnlichen Befunden.
Doch die britischen Konservativen reagierten auch auf die Massenproteste mit Ignoranz. Anstatt die Probleme ernst zu nehmen, Bevölkerungsteile zu versöhnen, schäumte man in London vor Wut, als beispielsweise Anfang Juni in Bristol eine Statue von dem ehemaligen britischen Sklavenhändler Edward Colston vom Sockel gehoben und im Hafen versenkt wurde.
Johnson sprach darauf von «Rücksichtslosigkeit». «Absolut skandalös», wetterte Innenministerin Priti Patel. Das Königreich ringt im Zuge dieser Protestwelle auch mit seiner Vergangenheit als Kolonialmacht und auch trotz eines geschichtlichen Studiums hat der Premier eine eigentümliche Sicht auf die britische Vergangenheit. Im Jahr 2002 schrieb er in einer Zeitungskolumne, das Problem Afrikas sei nicht, dass Briten dort einst das Sagen hatten – sondern dass sie dort heute nichts mehr zu sagen hätten. In anderen Artikeln verwendete er Beschreibungen wie «Negerkinder» und deren «Wassermelonen-Lächeln».
Während der gegenwärtigen Proteste war es zunächst ruhig um den Premier geworden. Doch am Freitag verurteilte Johnson Gewalt gegenüber Polizisten und den Vandalismus einiger Demonstranten. «Die Proteste wurden leider von Extremisten mit gewalttätigen Absichten gekapert», schrieb Johnson auf Twitter. Die Attacken auf Polizisten und andere gewaltsame Vorfälle in der vergangenen Woche seien «unerträglich» und «abscheulich». Ausserdem empörte er sich über einen Angriff auf eine Statue des früheren Premiers Winston Churchill im Zentrum Londons. Aktivisten hatten auf das Denkmal den Schriftzug «War ein Rassist» gesprüht. Es sei «absurd und beschämend», dass die Statue Angriffen ausgesetzt sei, erklärte Johnson. Churchill führte Grossbritannien im zweiten Weltkrieg im Kampf gegen das nationalsozialistische Deutschland.
Letztlich resultiert die momentane Gewalt auf den Strassen des Königreiches aber auch aus der Ignoranz von Boris Johnson. Es ist aber falsch, dafür den Premier zum alleinigen Sündenbock zu erklären. Die Krisen in Grossbritannien sind Sinnbild der Planlosigkeit und der Unfähigkeit der Konservativen im Land, auf die Probleme relevanter Bevölkerungsteile einzugehen. Der Premierminister ist vor allem daran interessiert, seine Machtbasis in den eigenen Reihen zu festigen, aber das löst die Probleme im Land nicht. Im Gegenteil: Die politischen Zeitbomben auf der Insel ticken weiter.
Verwendete Quellen:
Die EU sollte schlicht und einfach einen Vorschlag auf den Tisch legen und wenn von den Briten nichts kommt außer kindisches Pokern und bis zur letzten Sekunde Bluffen - einfach knallhart bleiben und diese Tragikomödie endlich beenden.