«China unterschätzt den Widerstand des Westens»
Frau Levin, derzeit spricht man von einem Waffenstillstand im Handelskrieg zwischen den USA und China. Sehen Sie das auch so?
Henrietta Levin: Beide Seiten wünschen sich eine längere Periode von Stabilität in ihrer Beziehung. Was sie erreicht haben, ist eine Stabilität zu Chinas Bedingungen. Beide Seiten haben die härtesten Massnahmen teilweise zurückgenommen, doch es gibt noch keine Diskussion über die grundlegenden wirtschaftlichen Ungleichgewichte und die Bedenken bezüglich nationaler Sicherheit.
Die USA haben berechtigte Gründe bezüglich der wirtschaftlichen Ungleichgewichte, doch Präsident Donald Trump benimmt sich eher ungeschickt, oder nicht?
Ja, es ist erneut TACO-Trump. Am Machtgefüge zwischen den USA und China hat sich im vergangenen Jahr kaum etwas verändert. Aber China hat seine Trumpfkarte, die Seltenen Erden, sehr effektiv eingesetzt.
Wie kann die US-Regierung einen Handelskrieg mit China anzetteln, und dann plötzlich sagen: Oops, wir brauchen ja die Seltenen Erden – auf die China ein Monopol besitzt –, sonst steht unsere Wirtschaft still. Wie kann so etwas geschehen?
Die Regierung erklärt dazu, man habe nicht erwartet, dass China den Export Seltener Erden einstellen werde. Ich finde das seltsam, denn China hat ja die Waffe der Seltenen Erde bereits gegen Japan eingesetzt. Es lag daher auf der Hand, dass sie es auch gegen die USA tun werden. Deshalb hätte man zunächst neue Partner für die Seltenen Erden suchen sollen, bevor man den Handelskrieg begann.
Das ist schneller gesagt als getan. Wenn überhaupt, wird es Jahre dauern, bis man das chinesische Monopol der Seltenen Erden zu brechen vermag.
Man hätte es zumindest versuchen müssen.
Es gibt mittlerweile Psychiater, die glauben, bei Trump Anzeichen von Demenz entdeckt zu haben. Aber trotzdem: Warum hat man dies nicht getan?
Trump hat wichtige Elemente der nationalen Sicherheit ausser Kraft gesetzt. Das Aussenministerium, der nationale Sicherheitsrat, die beiden haben massiv Leute entlassen, und zwar Leute, deren Job es war, den Präsidenten zu informieren, beispielsweise darüber, dass China über ein Seltene-Erden-Monopol verfügt.
Na, ja, das hätte selbst ich ihm sagen können.
Mag sein, Sie müssen jedoch nicht befürchten, entlassen zu werden, wenn Sie Trump eine negative Information übermitteln. Wer etwas sagt, das seinen Vorurteilen widerspricht, lebt gefährlich.
China hat soeben seine Beziehung zu Russland noch enger geknüpft. Trotzdem hegt Trump nach wie vor die Illusion, er könne einen Keil zwischen die beiden treiben. Wie erklären Sie das?
Präsident Xi Jinping hat die Beziehung zu Russland, und zwar speziell zu Putins Russland, erneut bekräftigt, denn er betrachtet Russland als Bollwerk gegen eine Farbenrevolution aus dem Westen. (Solche Farbenrevolutionen gab es in der beispielsweise in der Tschechoslowakei und der Ukraine, Anm. D. Red.) Es gibt daher derzeit keine Möglichkeit, wie man die Beziehung zwischen Peking und Moskau brechen kann. Die USA haben jedoch die Möglichkeit, die schlimmsten Auswüchse der chinesischen Unterstützung für den Krieg gegen die Ukraine einzudämmen.
Wie genau?
Die USA müssen wirklich Druck auf China ausüben. Es reicht nicht, wenn Trump Xi höflich auffordert, die militärische Unterstützung von Russland doch bitte einzuschränken. Sie müssten ein glaubwürdiges Szenario für finanzielle Sanktionen aufbauen. Das könnte China dazu bewegen, die Risiken neu zu überdenken. Doch Trump liegt offenbar mehr daran, ein nettes Treffen mit Xi abzuhalten.
Er mag Xi, und gleichzeitig hasst er China. Wie geht das zusammen?
Ich bin nicht sicher, ob er China hasst. Aber es liegt ihm offensichtlich viel daran, eine gute Beziehung zu Xi zu haben.
Dabei scheint es so, als ob China der grosse Gewinner des Krieges zwischen Russland und dem Westen ist. Es erhält billiges Öl, hat einen neuen Markt für seine Güter und verwandelt Russland zunehmend in einen Vasallen-Staat. Warum sieht Trump diesem Treiben tatenlos zu?
Trump mag «strong men», starke Männer, das beeinflusst sein Verhalten. Immerhin hat er mittlerweile eingestanden, dass China eine Rolle im Krieg in der Ukraine spielt. Aber das interessiert ihn nur in zweiter Linie. Ihm geht es primär um wirtschaftliche Dinge, Dinge wie: Wie viele Soja-Bohnen werden die Chinesen kaufen. In dem 90-minütigen Meeting, das Trump und Xi kürzlich in Südkorea hatten, haben sie vor allem über solche Dinge gesprochen.
Es zeichnet sich die Möglichkeit ab, dass der Supreme Court Trumps Zölle für illegal erklärt. Was würde das bedeuten?
Die Richter scheinen tatsächlich skeptisch zu sein. Doch selbst wenn sie sich gegen Trump wenden sollten, hat er noch weitere Instrumente, seine Zollpolitik weiterzuführen, auch wenn diese langsamer und komplizierter sind.
Aber macht er sich nicht lächerlich, wenn er beispielsweise die Verhandlungen mit Kanada abbricht und die Zölle erhöht, nur weil ein kanadischer Gouverneur Ronald Reagan zitiert, korrekt übrigens?
Das kann man beim besten Willen nicht mehr als eine «nationale Bedrohung» bezeichnen. Deshalb gehe ich davon aus, dass der Supreme Court zumindest teilweise gegen Trump entscheiden wird. Aber wie gesagt, das wird nicht das Ende der Zölle bedeuten.
Die Zölle schaden ihm auch innenpolitisch. Kaffee, Lebensmittel – vor allem Rindfleisch –, alles wird teurer. Am letzten Dienstag hat er bei den Nachwahlen deswegen eine schallende Ohrfeige erhalten. Warum hört er nicht auf damit?
Deshalb war Trump in den Gesprächen mit Xi so erpicht darauf, wirtschaftliche Zugeständnisse zu erhalten.
Geht er gar so weit, dass er Taiwan für seine innenpolitischen Ziele opfert?
Ich hoffe nicht. Taiwan liegt ihm nicht besonders am Herzen. Es gibt jedoch in seinem Kabinett Leute, die sich Taiwan verpflichtet fühlen, beispielsweise Aussenminister Marco Rubio. Deshalb glaube ich nicht, dass es bald zu einem grossen Deal bezüglich Taiwan kommen wird. Die Chinesen wollen keine unangenehmen Überraschungen erleben. Sie müssen daher die Taiwan-Frage auch mit den Falken wie Rubio aushandeln. Allerdings: Was ich fürchte, ist Trumps Unberechenbarkeit.
Geopolitisch ist China derzeit ziemlich erfolgreich. Während Trump selbst seine Verbündeten gegen sich aufbringt, schafft sich Peking mit seiner «Belt and Road»-Initiative stetig neue Freunde. Was will der amerikanische Präsident mit seiner abstrusen Aussenpolitik erreichen?
Gute Frage. Schauen wir die Zölle mal genauer an. Die offiziellen Zölle für chinesische Importe liegen derzeit bei 47 Prozent. Es gibt jedoch jede Menge von Ausnahmegenehmigungen. Deshalb liegt die tatsächliche Höhe der Zölle gegenüber China bei rund 20 Prozent.
Das ist ja bloss die Hälfte der Zölle gegenüber der Schweiz.
Genau. Auch Indien und Vietnam werden viel härter bestraft. Da liegt auch das Problem. Die Zölle gegenüber China sind viel weniger hart als diejenigen gegenüber den USA freundlich gesinnten Staaten. Das schadet den amerikanischen Interessen massiv, vor allem im indopazifischen Raum.
Ebenfalls rätselhaft für mich ist Trumps Energiepolitik. Der künstlichen Intelligenz wegen ist der Bedarf nach elektrischer Energie massiv angestiegen und steigt weiter massiv. Trotzdem torpediert Trump Wind- und Solarenergie nach Kräften, während China bezüglich nachhaltiger Energie mittlerweile die führende Nation geworden ist. Wie soll man das begreifen?
China unternimmt tatsächlich etwas gegen die Klimaerwärmung und das Land will sich auch nach Möglichkeit von der Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen befreien.
Mehr noch: Bei der Technologie von Batterien, Solarpanels und Elektroautos ist China mittlerweile führend.
Das stellt die Welt vor ein Problem: Die chinesische Wirtschaft ist nach wie vor auf den Export angewiesen. Weil China technisch und kostenmässig so grosse Fortschritte gemacht hat, kann es theoretisch die nachhaltigen Industrien in der restlichen Welt ausradieren. Und das ist auch ihr Ziel, wie der jüngste Fünfjahresplan auch aufzeigt. Die Chinesen wollen die gesamte Lieferkette kontrollieren. Daher steht auch Europa vor der Frage: Wie kommen wir zu einem Gleichgewicht im Handel mit China?
Die deutsche Autoindustrie hat die chinesische Überlegenheit bei den Elektroautos eingesehen und beginnt zu kooperieren. Die Amerikaner hingegen wollen sich abschotten. Sie haben einen Zoll von 100 Prozent auf den Import von chinesischen Elektroautos verfügt.
Das ist schon unter Präsident Biden erfolgt, muss man fairerweise anfügen. Es besteht die berechtigte Angst, dass ohne diese Zölle die chinesischen Elektroauto-Hersteller die amerikanischen ausradieren würden. Das können wir nicht zulassen. Und dieser Frage müssen sich alle Nationen stellen.
Die Chinesen allerdings führen an, sie würden bei den Elektroautos bloss den gleichen Marktanteil anstreben, den die westlichen Hersteller bei den Verbrennerautos innehaben.
Schön. Doch wenn man eine intakte Autoindustrie erhalten will, dann gibt es Grenzen der Kooperation. Vor allem, weil die chinesische Wirtschaft nach wie vor auf den Export angewiesen ist, und sie mittlerweile eine Stärke erlangt hat, die es ihr erlaubt, alle anderen zu vernichten. Zudem lahmt derzeit die chinesische Wirtschaft.
Wirklich? Es gibt da sehr widersprüchliche Meldungen.
China behauptet, seine Wirtschaft würde derzeit mit fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts wachsen. Das glaube ich nicht. Sie haben sich immer noch nicht von der geplatzten Immobilienblase erholt. Deshalb forcieren sie nach wie vor den Export. Weil die USA die Zollbarrieren erhöht haben, bekommen dies alle anderen zu spüren. In Südost-Asien beispielsweise sind ganze Industriezweige wegen chinesischer Billig-Importe zugrunde gegangen. Auch Europa wird nicht davon verschont bleiben.
Apropos Europa: Angenommen, Sie wären die Beraterin von Ursula von der Leyen, der Präsidentin der Europäischen Kommission. Was würden Sie ihr raten?
Von der Leyen ist eine sehr fähige Frau, sie braucht meinen Rat nicht. Für Europa wird es sehr wichtig werden, dass es klare Vorstellung darüber hat, wo seine roten Linien bezüglich Wirtschaft und Geopolitik sind. Das bedeutet auch, dass man diese Linien auch gegenüber China ganz klar ausspricht. Den Chinesen ist das Erscheinungsbild sehr wichtig. Das hat die EU inzwischen begriffen. Allerdings funktioniert dies nur, wenn die EU geschlossen auftritt, und diesbezüglich hat Brüssel ein Problem.
Die Tage, an denen Annalena Baerbock, die ehemalige deutsche Aussenministerin, den Chinesen Lektionen in Sachen Menschenrechte erteilte, dürften jedoch vorbei sein. Oder nicht?
Das sehe ich nicht so. Ich halte es nach wie vor für sehr wichtig, dass man gegenüber den Chinesen die Frage der Menschenrechte anspricht. Die EU hat auch Gesetze erlassen, welche den Import von Produkten verbietet, die mittels Zwangsarbeit erstellt wurden. Auch in den USA gibt es ähnliche Gesetze, und das ist gut so.
Die gleiche Frage bezogen auf die Schweiz. Was würden Sie unserer Regierung im Umgang mit China raten?
Gute diplomatische Drähte nach Peking sind immer wichtig. Aber gleichzeitig muss man seine nationalen Interessen klar und deutlich deklarieren, ebenso die Bedenken, wenn es um die militärische Unterstützung in der Ukraine geht oder um Taiwan. Davon sollte man nicht zurückschrecken, denn China ist das Ansehen auf der internationalen Bühne sehr wichtig.
China will eine neue Weltordnung, und sie sagen das jetzt auch laut und deutlich, beispielsweise jüngst an der Konferenz der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit. Was genau schwebt Peking vor?
Eine Welt, die aus Staaten besteht, die China Tribut entrichten, und in welcher der Einfluss der USA marginalisiert wird. Das ist nicht neu. Neu hingegen ist die Tatsache, dass die Chinesen dies jetzt offen aussprechen. Offenbar geht Peking davon aus, dass eine solche Welt inzwischen auch gewünscht wird. Entweder, weil man zunehmend von Washington enttäuscht ist, oder weil man sich inzwischen so mächtig fühlt, dass man davon ausgeht, die Welt habe gar keine andere Wahl. Das macht die Welt riskanter, denn Peking unterschätzt, wie stark sich der Rest der Welt gegen eine Supermacht China stemmen wird.
An der Konferenz der Shanghaier Organisation posierte Xi mit Putin, mit Modi, mit Kim Jong-un und den Ayatollahs aus dem Iran. Was hat das für unsere westlichen Demokratien zu bedeuten? Sollten wir nicht langsam Panik kriegen?
Allerdings. Nicht nur unsere Werte, sondern auch die Grundlagen der bestehenden Weltordnung sind in Gefahr. Das chinesische System ist autoritär und trampelt die Rechte der Menschen mit Füssen. Daher ist es so wichtig, dass unsere Demokratien Resultate liefern und so beweisen, dass letztlich Menschenwürde und Menschenrechte den Sieg davon tragen werden.
