Ich erreiche John am Telefon in Los Angeles. Den Kontakt zum 46-jährigen Künstler hat eine gemeinsame Schweizer Freundin aus Studiumszeiten hergestellt. Sie wohnt mit ihrem Mann in Kentucky, in derselben Gegend, in der auch John bis vor einigen Monaten lebte. Ins Gespräch kamen die beiden, weil Johns Hund ein Schweizer Halsband trägt.
Gehst du wählen?
John Brooks: Natürlich. Seit ich 18 bin. Ich habe in meinem Leben keine einzige Wahl verpasst. Auch in den Jahren nicht, in denen ich im Ausland gelebt habe.
Was ist für dich bei dieser US-Präsidentschaftswahl das zentrale Thema?
Ich möchte in erster Linie verhindern, dass Donald Trump wieder an die Macht kommt. Er ist in meinen Augen ein katastrophaler Politiker und repräsentiert das absolut Schlimmste von Amerika. Ich würde wirklich für jeden stimmen, der ihn als Präsidenten verhindern kann. Das soll nicht heissen, dass ich Vizepräsidentin Kamala Harris nicht gut finde. Sie hat viele bewundernswerte Eigenschaften und ist absolut fähig für das Amt. Natürlich gibt es Dinge, die mich stören, etwa ihre Haltung zum Krieg in Gaza. Die Realität ist jedoch, dass eine dieser beiden Personen ins Weisse Haus einziehen wird, und da kann es niemand anderes geben als Kamala Harris.
Wie beurteilst du die Haltung von Donald Trump und der republikanischen Partei zu LGBTQ+-Rechten?
Die Gesetzesentwürfe von Trump und den Republikanern richten sich durchweg gegen die Rechte der queeren Community. Nur Stunden nach Trumps Vereidigung 2017 wurden Inhalte über LGBTQ+-Rechte von Regierungswebseiten entfernt. Trumps Regierung hat zahlreiche queer-feindliche Richter ernannt, trans Personen den Militärdienst untersagt und LGBTQ+-Schutzmassnahmen am Arbeitsplatz aus der Obama-Ära rückgängig gemacht. Trumps Arbeitsministerium erliess eine Verordnung, die es Arbeitgebern aus religiösen Gründen ermöglichen sollte, Personen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität zu entlassen. Die Liste lässt sich beliebig fortsetzen.
Bitte.
Trump und seine Regierung schufen Massnahmen, die darauf abzielten, Richtlinien zum Schutz von LGBTQ+-Kindern abzuschaffen. Sie legten die Einwanderungsbestimmungen so aus, dass das Kind eines gleichgeschlechtlichen Paares, das im Ausland durch eine Leihmutterschaft geboren wurde, als «unehelich» gilt, was das Erlangen der US-Staatsbürgerschaft erschwert. Unter Trump begann das Aussenministerium, unverheirateten, gleichgeschlechtlichen Partnern von Diplomaten die Visa zu verweigern. Donald Trump und seine Anhänger möchten Bücher mit LGBTQ+-Inhalten verbieten.
Was wäre unter einer demokratischen Präsidentin anders als unter Donald Trump?
Die Demokraten wollen gemäss ihrem Parteiprogramm ein Gleichstellungsgesetz verabschieden, das die Diskriminierung von queeren Personen u.a. im Wohnungswesen, beim Zugang zu Krediten, im Bildungswesen oder in der Justiz verbietet. Unter Joe Biden wurde der Schutz der Gesundheit von queeren Menschen weiter ausgebaut. Die Demokraten sind Verbündete der LGBTQ+-Community, unter Trump sind queere Personen bestenfalls toleriert. Natürlich mag es in seiner Regierung einige LGBTQ+-Beauftragte gegeben haben. Gleichzeitig umgibt er sich jedoch mit religiösen Eiferern, mit christlichen Nationalisten, die auch in Zukunft alles unternehmen werden, um den Fortschritt rückgängig zu machen, der in Bezug auf LGBTQ+-Rechte in den vergangenen Jahrzehnten erreicht wurde.
Hast du Verständnis für LGBTQ+-Personen, die Donald Trump wählen?
Nein. Das ist, als würden Hühner für Colonel Sanders, den Gründer von Kentucky Fried Chicken, stimmen. LGBTQ+-Menschen können in allen möglichen Fragen absolut unterschiedlicher Meinung sein. Es ist jedoch so, dass jede Stimme für die Republikaner schädlich für die queere Community ist. Alle Rechte, die LGBTQ+-Personen heute haben, sind auf die Arbeit von progressiven Politikern zurückzuführen. Zu denken, dass wir uns heute keine Sorgen mehr um unsere Rechte machen müssen, ist völlig kurzsichtig.
Hast du konkrete Beispiele?
Dass das Oberste Gericht 2022 das Recht auf Abtreibung gekippt hat, zeigt, dass sich dieses Land in Bereichen rückwärts bewegen kann, die von vielen als selbstverständlich angesehen werden. Diese Gefahr droht unter Trump auch bei LGBTQ+-Rechten. Die gleichgeschlechtliche Ehe gibt es in den USA seit weniger als einem Jahrzehnt. Auch die Rechte für Transpersonen sind erst in der Entstehung.
Beeinflusst die Tatsache, dass Trump intakte Wahlchancen hat, dein tägliches Leben?
Definitiv. Die letzten neun Jahre waren für mich purer Stress. Einerseits durch Trumps Präsidentschaft und seine Politik. Andererseits weil er trotz seiner menschenverachtenden Rhetorik, seiner Straftaten und seines demokratiegefährdenden Verhaltens oder sogar genau deswegen von Millionen von Menschen unterstützt wird. Das macht mich für mein Land und meine Mitbürger wirklich traurig. Selbst wenn Kamala Harris gewinnen sollte, bleibt die Unterstützung für Trump. Was bedeutet das für uns als Volk, als Nation?
Glaubst du, dass Kamala Harris die Bedürfnisse der
LGBTQ+-Community besser vertreten kann, weil sie als dunkelhäutige Frau selbst zu einer Gruppe gehört, die diskriminiert wird?
Absolut. Ich glaube zwar nicht, dass man zwingend eine Frau oder dunkelhäutig sein muss, um zu verstehen, wie es ist, diskriminiert zu werden. Harris weiss aber, wie sich solche Demütigungen anfühlen. Die Trump-Kampagne nutzt ihre Ethnie und ihr Geschlecht wiederholt, um sie zu diskreditieren und ihre Fähigkeiten als Präsidentin infrage zu stellen. Abgesehen davon wirkt sie grundsätzlich wie eine einfühlsame Person. Das kann man von Trump nicht behaupten. Ich glaube nicht, dass er über das Leid anderer Menschen nachdenkt. Er ist weder daran interessiert noch dazu fähig.
Du bist 46 Jahre alt. Wie anders ist es, heute schwul zu sein verglichen mit der Zeit deines Outings vor bald 30 Jahren?
Die Unterschiede sind enorm. An vielen Orten kann man als homosexueller Mann heute frei leben, so sein, wie man möchte. Diese Grundvoraussetzung ist essenziell. Ich muss nicht mehr befürchten, dass ich wegen meiner Homosexualität entlassen oder aus der Wohnung geworfen werde.
Und wie war es, als du aufgewachsen bist?
Ich bin katholisch aufgewachsen, Religion war in meiner Heimat und Familie sehr wichtig und hat lange meine Weltanschauung in Bezug auf meine Homosexualität beeinflusst. Ich hatte viele Jahre furchtbare Angst davor, dass man herausfindet, dass ich schwul bin. Das hätte schlimme Konsequenzen haben können. Gewalt habe ich nie erlebt, dafür immerzu Ausgrenzungen und Hänseleien.
Du lebst heute im liberalen Los Angeles und bist als Künstler tätig. Bist du im Leben angekommen?
Das ist mir etwas zu viel Pathos. Was ich aber sagen kann: Für einen schwulen Mann sind die Vereinigten Staaten heute ein besseres Land. Es fühlt sich wie ein Land an, das teilweise meiner Community und mir gehört. In meiner Kindheit hatte ich keine Vorbilder, heute gibt es sie, mit Personen wie Pete Buttigieg oder Tammy Baldwin selbst in den höchsten Sphären der Politik. Diese Sichtbarkeit verändert das Leben von LGBTQ+-Menschen grundlegend.
Was gibt es in Bezug auf LGBTQ+-Rechte noch zu tun?
Sollte Trump gewählt werden, geht unser Kampf sofort weiter. Einen kumulativen oder linearen Effekt des Fortschritts gibt es leider nicht. Ich hoffe, dass sich der Bogen der Freiheit in Richtung Gerechtigkeit biegt, wie es Martin Luther King einst ausdrückte. Aber getan ist die Arbeit noch lange nicht.
Ich bin überzeugt, dass ein beträchtlicher Teil von diesen Wählern einfach keine Frau möchten. Simple as that. Und sehr bedenklich...