Donald Trump verbreitet unzählige Verschwörungstheorien. Zuletzt war es jene zum angeblichen «Genozid» an weissen Südafrikanern. Manche nennen Donald Trump deshalb den «conspiracy theorist in chief». Wie kommt er zu diesem Titel?
Michael Butter: Donald Trump ist das Produkt von Entwicklungen, die schon länger zurückreichen und Verschwörungstheorien in den USA wieder salonfähig gemacht haben. Gleichzeitig hat er diesen Prozess verstärkt.
Inwiefern?
Der entscheidende Moment war Trumps Verschwörungstheorie zur «gestohlenen Wahl», die schliesslich zum Sturm auf das Kapitol am 6. Januar 2021 führte. Hätte die Republikanische Partei sich damals von ihm losgesagt, hätte man sagen können: Verschwörungstheorien bleiben auch in den USA vor allem ein Sicherheitsproblem. Nun ist es anders gekommen.
Was ist passiert?
Die Republikaner haben sich Trumps Erzählung zu eigen gemacht. In der Partei kann niemand mehr aufsteigen, der diese Verschwörungstheorie nicht zumindest stillschweigend hinnimmt. Noch mehr Karrierechancen haben Leute wie Vizepräsident J.D. Vance, der eine Kehrtwende vollzogen hat und heute die Theorie offensiv bedient. Da wird es problematisch.
Warum?
Nicht alle Verschwörungstheorien, die im Trump-Umfeld kursieren, sind gleich gefährlich. Bei der «gestohlenen Wahl» kommen zwei Aspekte zusammen, die für die amerikanische Demokratie eine direkte Gefahr darstellen. Einerseits sprechen er und seine Anhänger dem politischen Gegner die Legitimität ab und stellen den demokratischen Prozess infrage. Andererseits hat Trump erreicht, dass die Mär von der «gefälschten Wahl» zum Glaubensbekenntnis der Republikaner geworden ist. Somit sind Verschwörungstheorien in den USA nicht mehr stigmatisiertes Gegenwissen, sondern im Zentrum der Macht angekommen.
Ganz grundsätzlich: Was zeichnet eine Verschwörungstheorie aus?
Eine Verschwörungstheorie ist eine Erklärung gesellschaftlicher und historischer Ereignisse. Sie führt diese zurück auf ein planvolles geheimes Handeln einer Gruppe, auf die Verschwörer. Diese haben sich den Plan im Vorhinein ausgedacht und setzen ihn im Geheimen um.
Sie bringen das in Ihrem Buch auf die dreiteilige Formel: Nichts geschieht durch Zufall, nichts ist, wie es scheint, alles ist miteinander verbunden. Können Sie das anhand eines Beispiels aufzeigen?
Nehmen wir Verschwörungstheorien zum Coronavirus. Da wurde etwa behauptet, dass das Virus nicht durch eine Übertragung aus der Tierwelt oder einen Laborunfall entstanden ist. Vielmehr sei es bewusst produziert worden, um Menschen zu schaden. Und mit dieser heimlich in Umlauf gebrachten Biowaffe wollen die Verschwörer nun bestimmte Ziele erreichen. Der letzte Punkt – alles ist miteinander verbunden – tritt bei gewissen Abwandlungen noch deutlicher hervor. Etwa wenn behauptet wird, die Mobilfunktechnologie 5G habe die Krankheit ausgelöst. Da werden Dinge verknüpft, die gar nichts miteinander zu tun haben.
Was macht solche Verschwörungstheorien so attraktiv? Seit Pandemie, Ukraine-Krieg und Trump-Wahl erleben sie zumindest gefühlt einen Boom.
Der Eindruck täuscht. Verschwörungstheorien sind längst nicht mehr so attraktiv wie noch vor hundert Jahren. Das Internet und die sozialen Medien sorgen lediglich dafür, dass diese Strömungen sichtbar geworden sind. Insgesamt gibt es heute vermutlich nicht mehr Verschwörungsgläubige als vor der Pandemie.
Es ist also gar nicht so schlimm wie noch nie?
Nein. Wir wissen nicht, seit wann es Verschwörungstheorien gibt. Klar ist aber: Es gibt eine ungebrochene Kontinuität vom 16. Jahrhundert bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts. Da war es normal, an Verschwörungstheorien zu glauben. Jeder amerikanische Präsident von Washington bis Eisenhower glaubte daran.
Woran glaubten diese US-Präsidenten?
Washington glaubte wie Thomas Jefferson an eine Verschwörung der britischen Krone gegen die Kolonien. Lincoln war später überzeugt, dass die Befürworter der Sklaverei heimlich daran arbeiteten, diese auf die gesamten USA auszudehnen. Und Eisenhower dachte, es gebe eine aus Moskau gesteuerte systematische Unterwanderung der US-Gesellschaft. Erst ab Mitte der 1950er-Jahre verloren Verschwörungstheorien als Erklärungsmuster schrittweise an Bedeutung.
Warum?
Die Sozialwissenschaften zeigten auf, dass die Welt nicht auf ein gelenktes Ziel zusteuert und Zufall eine grosse Rolle spielt. Zudem betonten sie die Gefährlichkeit von Verschwörungstheorien. Wichtige Aspekte waren – insbesondere für die USA – die neuen Bildungschancen und der soziale Aufstieg der Mittelklasse. Diese Leute hatten es nicht mehr nötig, für die Erklärung ihrer schlechten ökonomischen Lage eine Verschwörungstheorie heranzuziehen.
Warum bleiben Verschwörungstheorien dennoch attraktiv?
Sie machen ein starkes Sinn- und Erklärungsangebot, lösen Zufall und Chaos auf in absichtsvolles menschliches Handeln. So wird die Welt verständlich, sie wird lesbar. Dabei hilft die Unterteilung in Gut und Böse. Es gibt Sündenböcke, auf die man zeigen kann. Hinzu kommt ein identitätsstiftendes Element.
Worin besteht dieses?
Gerade in Zeiten, in denen die Mehrheit der Bevölkerung nicht an Verschwörungstheorien glaubt – und in Europa leben wir noch in einer solchen Zeit -, erlauben sie es, sich von der Masse abzuheben. Die «Gläubigen» können für sich in Anspruch nehmen, sie seien aufgewacht, während der Rest blind durchs Leben laufe.
Kommen wir zurück zum US-Präsidenten. Wie nutzt Donald Trump Verschwörungstheorien konkret?
Das hat sich im Laufe der Zeit verändert. Als er 2015 auf der politischen Bühne auftauchte, stempelten ihn Beobachter schnell als Verschwörungstheoretiker ab. Das war übertrieben. Denn meist beliess er es bei Andeutungen. Er nutzte Verschwörungstheorien damals strategisch.
Zu einem Verschwörungsgläubigen entwickelte sich Trump mit der Wahlniederlage 2020. Das Narrativ der «gestohlenen Wahl» bedient er seither immer und überall, quasi im Vorbeigehen. Zum entscheidenden Bruch kam es am 6. Januar 2021, unmittelbar vor dem Sturm aufs Kapitol. Da hielt Trump eine lange Rede vor seiner Anhängerschaft. Er listete erstmals detailliert angebliche Beweise für die «gestohlene Wahl» auf.
Und seither rückt er davon nicht mehr ab.
Man kann zwar nicht in seinen Kopf hineinschauen, aber ich vermute, Trump glaubt das wirklich. Es ist schwer vorstellbar, dass jemand, der eine Verschwörungstheorie derart konsequent und über Jahre vertritt, daran zweifelt. Das wäre kognitiv sehr schwierig. Wir wissen aus der Psychologie: Wenn man oft genug lügt, glaubt man die Lüge irgendwann selbst.
In der amerikanischen Gesellschaft herrsche ein regelrechter «Verschwörungswahn» und ein «paranoider Politikstil», diagnostizierte der US-Politologe Richard Hofstadter bereits 1964. Das scheint heute wieder zutreffend.
Ich halte es für wenig hilfreich, Verschwörungsglauben mit Paranoia zu verbinden. Was bringt es, wenn wir 20 bis 30 Prozent einer Gesellschaft, die in den USA an solche Theorien glauben, als paranoid klassifizieren? So blenden wir wichtige soziale und wirtschaftliche Aspekte aus, die wesentlich besser erklären, warum Menschen Verschwörungstheorien anhängen.
Was genau sind die Gründe?
Es geht um die Angst vor Statusverlust. Die Forschung zeigt deutlich: Menschen, die sich vor Macht- und Kontrollverlust fürchten, sind besonders empfänglich für Verschwörungstheorien. In den USA sieht sich ein bedeutender Teil der Gesellschaft abgehängt. Sie erleben den Niedergang einer einst stolzen Industriegesellschaft. Oder sie fühlen sich durch Zuwanderung in ihrer Lebenswelt bedroht. Nun suchen sie nach Erklärungen für ihre prekäre Lage.
Es geht in den USA also hauptsächlich um wirtschaftliche Fragen.
Ich glaube, Bill Clinton hatte recht mit seinem Ausspruch «It's the economy, stupid!». Es gibt in den USA grosse Bevölkerungsschichten, die bereits seit Jahrzehnten vom Wohlstand abgeschnitten sind. Sie haben ihren einst gut bezahlten Job verloren oder kommen nur knapp über die Runden. Da es in den USA kaum ein soziales Sicherheitsnetz gibt, geht die Angst um, ins Bodenlose zu fallen. Nicht wenige dieser Leute wählten einst die Demokraten. Doch die Partei hat für diese Wähler zu wenig getan. Nun wenden sie sich Verschwörungstheorien zu. Oder sie sagen sich: Trump ist zwar ein Verschwörungstheoretiker, aber ich wähle ihn trotzdem, schlimmer kann es nicht mehr werden.
Wie könnte man diesen Ängsten und damit dem Verschwörungsglauben begegnen?
Wir sollten nicht zu sehr an den Symptomen, also an den Verschwörungstheorien an sich, herumdoktern, sondern die Ursachen angehen. Der Glaube an Verschwörungstheorien ist oft nur ein Symptom für wirtschaftliche Notlagen oder andere gesellschaftliche Probleme. Die beste Medizin dagegen sind Investitionen. Investitionen in einen starken Sozialstaat oder in wirtschaftliche Konjunkturprogramme. Das sorgt dafür, dass weniger Menschen Statusverlustängste erleben.
Was kann man selbst im Alltag tun, wenn nahestehende Menschen Verschwörungstheorien verbreiten?
Es ist wichtig, im Gespräch zu bleiben. Ich würde den Kontakt keinesfalls völlig abbrechen. Wenn wir Verschwörungsgläubige isolieren, dann suchen sie sich Gesprächspartner, die mit ihnen reden. Und das sind dann solche, die vom rechten Rand aus gezielt nach Verunsicherten fischen.
Wie sucht man konstruktiv das Gespräch?
Es ist meist keine kluge Idee, der Person direkt zu sagen, sie hänge einer absurden Verschwörungstheorie an. Sinnvoller ist es, zu sagen: Ich möchte verstehen, warum du das glaubst. Du bist doch ein gescheiter Mensch. Warum siehst du die Welt so anders als ich? Das führt dazu, dass man den Kontakt stärkt und die Leute nicht in andere Milieus abdriften. Zudem hinterfragen einige nach langem Erzählen ihre Ideen. So besteht die Chance, dass sie sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf ziehen.
Das klingt sehr anstrengend und meist wenig erfolgversprechend.
Natürlich sind solche Gespräche sehr schwer und wahnsinnig nervig. Jeder muss selbst entscheiden, wie weit seine Toleranz reicht. Insbesondere, wenn Antisemitismus und Rassismus ins Spiel kommen. Im Zweifelsfall sollten wir aber besser mehr als weniger aushalten. In solchen Gesprächen muss es um persönliche Anerkennung gehen. Das Gegenüber muss sich gesehen fühlen. So können auch Statusverlustängste abgebaut werden.
Sie raten dazu, auf Begriffe wie «Schwurbler» zu verzichten.
Solche Zuschreibungen sind nicht hilfreich. Das zeigte sich zu Beginn der Pandemie. Da wurden die Teilnehmer der deutschen Querdenken-Proteste rasch als einheitliche Gruppe definiert. Sofort waren die Meinungen gemacht: Diese Protestierenden sind alle antisemitische Verschwörungstheoretiker. Dabei gab es damals sehr unterschiedliche Motive, auf die Strasse zu gehen. Längst nicht alle waren überzeugte Verschwörungstheoretiker, und unter den Verschwörungstheoretikern waren beileibe nicht alle Antisemiten.
Wie hätte man besser reagieren können?
Man sollte die unterschiedlichen Motive und Ängste innerhalb einer Bewegung ansprechen. Indem man diese Leute pauschal als Schwurbler betitelt, treibt man sie in die Enge und verliert sie. Pauschalurteile folgen einem Schwarz-Weiss-Denken, das dem Verschwörungsdenken nicht unähnlich ist. Diesen Fehler begehen auch einige Initiativen, die sich gegen Verschwörungstheorien engagieren.
Warum?
Sie versuchen, sich als liberale, rationale und demokratische Vorkämpfer gegen Verschwörungsglauben zu positionieren. Damit erreichen sie allerdings weniger eine Eindämmung des Problems, sondern versichern sich vor allem ihrer eigenen Rolle.
Neben Pauschalisierungen warnen Sie auch davor, in Alarmismus zu verfallen. Ist trotz Trump alles halb so schlimm?
Wenn wir sehen, was der Verschwörungsglaube in der amerikanischen Politik und Gesellschaft anrichtet, ist Panik durchaus angebracht. In Deutschland, und ich glaube auch in der Schweiz, sieht es anders aus. Hier sind Verschwörungstheorien primär ein Sicherheitsproblem. Sie sind keine direkte Bedrohung für die Demokratie, sondern Ausdruck gesellschaftlicher Probleme. Das geht in der aufgeregten Diskussion manchmal vergessen. Es sind nicht alle Verschwörungstheorien gleich gefährlich.
Was macht sie wirklich gefährlich?
Ich betrachte Verschwörungstheorien als sogenannte «dünne Ideologie», als Weltanschauung ohne viel Inhalt, vergleichbar mit dem Populismus. Das Gegenteil ist eine «dicke Ideologie», also Faschismus oder Sozialismus. Das sind Konzepte, die konkrete Inhalte vorgeben und in verschiedenen Ländern ähnlich auftreten. Nun können sich dünne und dicke Ideologien verbinden. Meist ist aber nicht die Verschwörungstheorie an sich das eigentliche Problem.
Sondern?
Die damit verknüpfte «dicke Ideologie». Wenn sich Verschwörungstheorien mit rassistischen oder antisemitischen Vorstellungen verbinden, dann wird es gefährlich.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Es gibt Verschwörungstheorien, zum Beispiel linke Kapitalismuskritik, die gegen ökonomische Eliten wettert. Sie verkennt zwar die Realität, ist aber eher harmlos, zumindest solange sie sich pauschal gegen Eliten richtet und nicht gegen Einzelpersonen. Viel gefährlicher wird es, wenn rassistische und antisemitische Elemente hineinspielen, und wenn ohnehin schon stigmatisierte Gruppen ins Visier genommen werden. Das sehen wir exemplarisch bei der Alternative für Deutschland.
Woran machen Sie das fest?
Wir haben Posts der Partei in den sozialen Medien analysiert und gesehen, dass bei vielen dieser problematischen Inhalte offen ist, ob sie verschwörungstheoretisch gemeint sind. Entscheidend ist, dass sie immer rassistisch waren. Das ist für die Demokratie gefährlicher als die verschwörerische Komponente.
Verschwörungstheorien sind wandelbar und halten sich hartnäckig. Eines der bekanntesten Machwerke sind die «Protokolle der Weisen von Zion». Die krude Schrift kursiert seit über 100 Jahren und behauptet, eine jüdische Weltverschwörung. Die Terrororganisation Hamas rechtfertigt ihre Anschläge noch heute damit. Sind Verschwörungstheorien unzerstörbar?
Wir werden Verschwörungstheorien nie ganz aus der Welt kriegen. Sie sind Teil aller modernen Gesellschaften. Mit den richtigen Massnahmen können wir aber die Zahl derjenigen, die an sie glauben, reduzieren. Und mit denen, die trotzdem daran glauben, sollten wir einen entspannteren Umgang finden.