Seit der COVID-Pandemie hat der Begriff «Spaltung» eine steile Karriere hingelegt. Allerdings eine unrühmliche. Gemeint ist nicht die physikalische Spaltung wie die Kernteilung oder das Spalten von Holz, sondern die religiöse, politische und soziale Spaltung.
Überall wird gespalten. In oben und unten, in reich und arm, in rechts und links, in moderat und radikal, in gut und bös. Diese Form von Spaltung scheint ein unheiliger Zeitgeist zu sein, der auf vielen Ebenen und Gebieten toxisch wirkt. Mit dem Resultat, dass Menschlichkeit und Empathie zunehmend vor die Hunde gehen.
Der Zwillingsbruder der Spaltung ist der Hass. Die politische Diskussion wird oft gehässig geführt und führt zur ideologischen Verblendung. Die Ideologisierung in der Politik nimmt oft pseudoreligiöse Züge an. Es geht wie beim Glauben vermeintlich um alles und das Seelenheil.
Die Pandemie war das Übungsfeld. Die politische und soziale Spaltung nahm teilweise groteske Züge an und förderte radikale Verschwörungsmythen, verknüpft mit alternativen Heilmethoden und esoterischen Wahnideen.
Für die ultimative Spaltung sorgte in den USA der Wahlkampf. Urheber war der von seinen Anhängern als Messias verehrte Donald Trump mit seinen menschenverachtenden Verbalattacken gegen alle, die ihm gegenüber keinen Kadavergehorsam zeigten.
Sein Bannstrahl traf sogar Freunde, die es wagten, simple Fragen zu stellen. Seither ist die USA in zwei Lager gespalten, was die Gesellschaft vergiftet hat. Mit dem Resultat, dass Freundschaften zerbrachen und sich eine unsichtbare Trennlinie durch viele Familien zieht.
Trump sagte, Springsteen sei kein talentierter Typ – «nur ein aufdringlicher, unausstehlicher Idiot». Weiter nannte der US-Präsident den Sänger eine vertrocknete «Backpflaume». So sieht Spaltung heute in den USA aus.
Bei dieser verhängnisvollen Entwicklung mischen auch Freikirchen und grosse Teile der katholischen Kirche mit, die Stimmung gegen queere und homosexuelle Menschen machten und Abtreibungen unter Strafe stellen wollten – teilweise mit Erfolg.
Auch die Papstwahl offenbarte, dass selbst die Kurie gespalten ist. Wichtiger als der Name des neuen Papstes war oft die Frage, ob ein fortschrittlicher, moderater («Brückenbauer») oder ein konservativer Kardinal das Rennen macht.
Nach der Wahl fragten sich die Medien primär, wo der amerikanische Papst Prevost zu verordnen sei. Die heftigen Reaktionen der rechtsradikalen Freunde von Trump machten rasch klar, in welches Lager sie ihn steckten. Die Influencerin und Trump-Anhängerin Laura Loomer nannte ihn einen «totalen Marxisten». Er sei eine weitere marxistische Marionette im Vatikan. Trump-Berater Steve Bannon bezeichnete Leo XIV. als die «schlechteste Wahl für MAGA-Katholiken».
Bei einem Treffen mit Journalistinnen und Journalisten forderte der neue Papst die Medienvertreter auf, auf eine spaltende Sprache zu verzichten. Wörtlich sagte er: «Wir müssen Nein sagen zum Krieg der Wörter und Bilder. Wir müssen das Paradigma des Krieges ablehnen.»
Und: «Frieden beginnt bei jedem Einzelnen von uns: in der Art, wie wir andere betrachten, ihnen zuhören und über sie sprechen.» Gut gebrüllt, päpstlicher Löwe!
Als Spaltpilz muss man auch die AfD in Deutschland bezeichnen, die der Verfassungsschutz vor wenigen Tagen als «gesichert rechtsextrem» bezeichnete. Dass Politiker der zweitgrössten Partei Deutschlands schon mal Nazi-Ausdrücke salonfähig machen wollen, stimmt - um es vorsichtig auszudrücken - nachdenklich.
Beispiellos ist auch die radikale Haltung der ultraorthodoxen Juden in Israel gegenüber der palästinensischen Bevölkerung. Mit ihrer politischen Macht zwingen sie Benjamin Netanjahu, die Hamas auszurotten und den Gazastreifen plattzuwalzen. Als ob der jüdische Glaube nicht auch eine Buchreligion wäre, die ethische und moralische Werte leben sollte.
Im gleichen Atemzug müssen auch die islamistischen Geistlichen genannt werden, die ihre Gläubigen mit Indoktrinationsmethoden radikalisieren und die eigenen Landsleute im Namen von Allah terrorisieren. Ausdruck der Spaltung sind auch die verbitterten und teilweise kriegerischen Fehden zwischen Sunniten und Schiiten.
Die Spaltung macht auch vor der Musik nicht Halt. Der amerikanische Sänger Bruce Springsteen wagt es immer mal wieder, sich kritisch über Donald Trump und seine Politik zu äussern. Nun bekommt er die Folgen zu spüren, hat er doch in den USA viele Fans vergrault.
Der Bandleader Steven Van Zandt sagte: «In Amerika haben wir deshalb in den letzten Jahren die Hälfte unseres Publikums verloren.» Der Trumpismus sei heute stärker als der Rock’n’Roll. Wenn berühmte Entertainer Geld verdienen wollten, müssten sie Politik und Religion vermeiden, schloss der Musiker.
Fazit: Sektenhaft Entwicklungen breiten sich rasend schnell im Raum jenseits von radikalen Glaubensgemeinschaften aus.