International
Interview

Spionage-Experte: «Russische Dampfwalze könnte jetzt über Ukraine rollen

Interview

Spionage-Experte warnt: «Russische Dampfwalze könnte jetzt über die Ukraine rollen»

Christian Harbulot hat einen ungewöhnlichen Job: Er ist Vorsteher der französischen «Schule für Wirtschaftskrieg». Im Interview spricht er über Putins Krieg, russische Desinformation und chinesische Spionage.
09.02.2023, 14:4209.02.2023, 14:42
Stefan Brändle, Paris / ch media
Mehr «International»
Bild

Ihre Schule trägt einen martialischen Namen. Bilden Sie Spione und Geheimagenten aus?
Christian Harbulot:
Nicht nur, die Schule widmet sich generell der Informationsbeschaffung durch die Akteure des weltwirtschaftlichen Kräftemessens. Aber es stimmt, seit September letzten Jahres bieten wir erstmals einen Abschluss in Sachen Nachrichten- und Geheimdienst an.

Geschah das unter dem Einfluss des Ukrainekrieges, der damals schon ein halbes Jahr dauerte?
Zum Teil, zeigt doch dieser Krieg die Notwendigkeit eines ganzheitlichen Ansatzes auf - nicht nur militärisch, sondern auch mit Fragen rund um Open-Source-Management, Informationsbeschaffung oder Kommunikation.

Die Ukrainer erhalten wertvolle Informationen durch die amerikanischen und britischen Nachrichtendienste. Kann das kriegsentscheidend sein?
In der ersten Kriegsphase war dieser Vorsprung den Ukrainern sehr nützlich: Sie vereitelten damit den russischen Blitzangriff auf Kiew. Die Frage ist allerdings, ob die Hilfe der angelsächsischen Nachrichtendienste in der zweiten Kriegsphase ebenso wirksam sein wird, wenn eine neue russische Dampfwalze über die Ukraine rollen wird. So dilettantisch die Russen zu Beginn agierten, haben sie in der Geschichte doch bewiesen, dass sie fähig sind, noch während des laufenden Krieges aus ihren Fehlern zu lernen. So im Russisch-Japanischen Krieg von 1904 oder auch im Zweiten Weltkrieg.

In Sachen Desinformation und Propaganda haben die Russen auch eine lange Tradition.
Putin führt einen hybriden Krieg - militärisch gegen die Ukraine, propagandistisch gegen den Westen. Derzeit suggeriert Moskau über alle Kanäle, die Amerikaner profitierten wirtschaftspolitisch vom Krieg, Europa werde hingegen geschwächt. Das soll den Westen spalten. Und offensichtlich findet der Westen keine Antwort.

Selbst zu den russischen Kriegsverbrechen lanciert die demokratische Welt keine nachhaltige und internationale Informationskampagne. Dabei sind diese Akte belegt und dokumentiert. Ich verstehe etwas nicht: Warum schlachtet der Westen Putins Kriegsverbrechen nicht aus? Denn am Schluss werden diese Untaten für viele Erdenbürger zu einem Nichtereignis oder zumindest angezweifelt. Das nützt nur den russischen Interessen.

Propagandist droht Deutschland im russischen Staatsfernsehen

Video: watson/lucas zollinger

In Afrika, Südamerika oder Asien werden heute sogar Putin-Fähnchen geschwenkt.
Das ist auch der Fehler der Amerikaner. Ihre Medien, Nachrichtendienste und Meinungsmacher beschränken sich auf den militärischen Aspekt in der Ukraine. Dort, wo sie durch die russische Desinformation direkt angegriffen werden, kontern sie nicht genug.

Auch im Sahelgebiet wendet sich die Volksmeinung Russland zu, sogar seinen Wagner-Söldnern. Hat Paris nichts entgegenzusetzen?
Ich zweifle, ob unsere Armeelenker verstanden haben, was es heisst, einen hybriden Krieg zu führen. Die meisten Generalstäbe westlicher Länder beschränken sich auf ihre klassischen militärischen Aufgaben. Gegenpropaganda oder Cyberattacken beherrschen sie nicht. Frankreich verliert auf diese Weise Länder wie Mali, Burkina Faso. Das ist gravierend.

Russian President Vladimir Putin speaks during his visit to the new headquarters of "Russia Today" TV channel in Moscow, Russia, Tuesday, June 11, 2013. (AP Photo/Yuri Kochetkov, Pool)
Bild: AP EPA POOL

Frankreich hat immerhin russische TV-Sender wie Russia Today (RT) oder Sputnik geschlossen.
Diese Verbote hatten vor allem zur Folge, dass sich die russische Desinformation noch stärker in die sozialen Medien verlagerte. Gegensteuer gibt kaum jemand. In Paris herrscht die verheerende Lehrmeinung vor, ein Informations- und Propagandakrieg könne nur defensiv sein. Dabei kann man solche Einsätze nur gewinnen, wenn sie offensiv geführt werden.

Christian Harbulot
Christian HarbulotBild: pd

Die Sprengung der Pipeline Nord Stream 2 war im Westen genau wie in Russland ein grosses Thema. Wie bewerten Sie diesen Vorfall?
Das ist doppelt interessant - was die Konsequenzen wie auch die Urheberschaft betrifft. Sie ist immer noch nicht bekannt, auch wenn es leicht fällt, die Nutzniesser und die Leidtragenden zu benennen.

Als da wären?
Benachteiligt wurden durch diese Sabotage sicher die Deutschen und die Russen. Ebenso logisch scheint, dass die Amerikaner eher einen Nutzen daraus ziehen.

Waren die deutschen Geheimdienste nicht blind für den Umstand, dass Moskau die Energielieferungen schliesslich als Waffe einsetzte?
Ich würde weniger von Blindheit sprechen als von Opportunismus. Die deutsche Wirtschaft profitierte jahrelang von sehr interessanten Gaspreisen. Dafür verschloss man in Berlin die Augen vor den geopolitischen Aspekten, namentlich dem Kräfteverhältnis zwischen Russen und Deutschen.

epa10450774 Railway tankers carrying oil products with text 'Oil products' stand outside Moscow, Russia, 06 February 2023. On 24 February 2022 Russian troops entered Ukrainian territory in w ...
Bild: keystone

Leidet die russische Wirtschaft unter dem westlichen Druck und den Sanktionen?
Das ist eine zentrale Frage. Indem der Westen weniger russisches Gas kauft, schwächt er das Putin-Regime zweifellos. Doch Moskau findet in Asien neue Abnehmer, was den westlichen Druck reduziert. Vor allem aber übersieht man im Westen das Wesentliche: Der industriell-militärische Sektor Russlands, das Hauptwerkzeug des russischen Imperialismus, wahrt seine Stärke. Auch unter Putin. Er hat die Armee und den Rüstungssektor seines Landes von Grund auf reformiert. Für die amerikanische Schule ist Russland eine heruntergekommene Industrienation mit einem schwachen Bruttoinlandprodukt. Das ist aber in diesem Krieg nur die halbe Wahrheit. Der industriell-militärische Komplex bleibt solid. Und das nicht zuletzt dank jahrelanger Ausspionierung, ja Plünderung westlicher Technologien.

Plünderung, sagen Sie?
Jawohl. Im Westen ist man sich zu wenig bewusst, wie umfangreich diese Industriespionage war und wohl auch bleibt. In Paris wachte man nur einmal auf, als der französische Geheimdienst DST in der sogenannten Farewell-Affäre einen sowjetischen Agenten enttarnte und bei ihm Zehntausende sensibler Dokumente fand. Abgesehen von solchen Ausnahmefällen hat der Westen nicht einmal gemerkt, wie massiv seine Militärindustrie geplündert wurde.

Wie steht es heute um den russischen Geheimdienst, Putins früheren Arbeitgeber?
Der Inlandgeheimdienst, heute FSB, ist so aktiv und offensiv wie früher der KGB, vorab im Bereich der politischen Polizei. Auch der Auslandgeheimdienst SVR bewegt sich in der Spur des KGB.

Russia Terrorists Detention 8254878 18.08.2022 In this handout video grab released by the Russian Federal Security Service FSB, FSB officers escort detained members of Katiba al-Tawhid wal-Jihad terro ...
Bild: imago

Können die Sanktionen den Kriegsverlauf beeinflussen?
Solange wir uns auf dem Niveau eines klassischen Krieges bewegen, nützen diese Sanktionen nicht viel. Anders, wenn einmal Spitzentechnologien wie etwa im Raketenbereich zum Einsatz kommen sollten. Dort hat die russische Armee Lücken. Momentan zählt aber eher die Masse. Die Russen mobilisieren Soldaten und altes Material, wobei sie gewaltige Verluste in Kauf nehmen. Das können die Sanktionen nicht verhindern.

epa10445496 A man walks in front of a letter Z graffito in Podolsk, Russia, 03 February 2023. The letters Z, V and O, painted on Russian military vehicles in Ukraine, have quickly become a symbol of s ...
Bild: keystone

Was müsste der Westen tun?
Zuerst einmal müssen sich die Europäer intern absprechen und auf kreative Lösungen einigen. Dabei müssten sie sehr flexibel und agil vorgehen. Ich befürchte, dass schwerfällige Instanzen wie die Nato oder die deutsch-französische Konzertierung nicht weiterhelfen. Sie denken zu traditionell und haben die Bedeutung der Kommunikation nicht erkannt.

Etwas konkreter: Müsste der Westen eine Hacker-Armee für den Cyberkrieg bilden?
Über die Methoden will ich mich nicht auslassen, da hören oder lesen unsere russischen Freunde mit. Was ich aber sagen kann, ist, dass wir Leute in Deutschland, Frankreich oder Italien brauchen, die bereit sind, einen hybriden Krieg zu «denken». Das müssen nicht unbedingt Amerikaner und Briten sein; sie haben nicht dieselben Ziele und Interessen.

Was erzählt man sich in Ihrer Branche über den chinesischen Spionageballon?
Das ist zuerst eine politische Sache. Die Amerikaner konnten dieses Gerät nicht gut weiterfliegen lassen, das wäre ein Zeichen der Schwäche gewesen. Vielleicht wollten die Chinesen die US-Reaktion testen. Die Kommunikation Pekings war allerdings nicht gerade überzeugend.

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Diese Bilder zeigen: Der Krieg verschont die Kinder nicht
1 / 17
Diese Bilder zeigen: Der Krieg verschont die Kinder nicht
quelle: keystone / emilio morenatti
Auf Facebook teilenAuf X teilen
Highlights von Bidens Rede zur Lage der Nation
Video: watson
Das könnte dich auch noch interessieren:
29 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Peter Vogel
09.02.2023 16:00registriert Juni 2020
Eine Wirtschaft die grösstenteils nur noch Kriegsgüter produziert kann langfristig nicht überleben. Zumal der Militärisch-Industrielle Komplex im Westen, vor allem in den USA, um ein vielfaches grösser ist als in Russland. Das Problem ist nicht die Russische Spionage, das Problem ist der zögerliche Westen der 10 Panzer verspricht obwohl es 300 sein müssten.
9415
Melden
Zum Kommentar
avatar
Eraganos
09.02.2023 15:35registriert September 2019
Russlands Wirtschaft verblutet. Schuldenberg türmt sich.
Aus meiner Sicht wirkt es. Den Leuten dort geht es schlecht und dadurch wächst der Unmut. Das ist auch Ziel der Sanktionen.
7019
Melden
Zum Kommentar
avatar
Firefly
09.02.2023 17:45registriert April 2016
"Der industriell-militärische Komplex bleibt solid"

Ja dann ist ja klar muss Russland Krieg führen, wann das das einzige ist was noch solid ist. Die Russen sollten ihren Oberen mal besser auf die Finger schauen.
402
Melden
Zum Kommentar
29
Heute startet der Nato-Gipfel – beim wichtigsten Traktandum schert ein Land aus

Inmitten grosser Spannungen, Sorgen und kriegerischer Auseinandersetzungen im Nahen Osten startet am Dienstagabend in Den Haag der erste Nato-Gipfel seit dem Wiedereinzug von Donald Trump ins Weisse Haus. 32 Staats- und Regierungschefs der Nato-Staaten werden erwartet.

Zur Story