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Ukraine gehen Männer und Munition aus – kommt Leopard noch rechtzeitig?

Ukraine gehen Männer und Munition aus – kommt der Leopard noch rechtzeitig?

Putin setzt darauf, dass Russland die Ukraine mit noch mehr Soldaten bezwingen kann. Geht sein Kriegsplan auf – oder kommen die Leopard-Panzer gerade noch rechtzeitig?
06.02.2023, 14:4007.02.2023, 08:48
Patrick Diekmann
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FILE - Ukrainian soldiers fire a Pion artillery system at Russian positions near Bakhmut, Donetsk region, Ukraine, Friday, Dec. 16, 2022. (AP Photo/LIBKOS, File)
Ukrainische Kräfte bei Bachmut.Bild: keystone
Ein Artikel von
t-online

Es ist die Hölle auf Erden: Die ukrainische Stadt Bachmut gehörte in den vergangenen Monaten zu den am stärksten umkämpften Orten in der Ukraine. Viele Häuser sind zerstört, ganze Strassenzüge zerbombt, die meisten Bewohner haben die Stadt längst verlassen.

An vielen Strassen haben die ukrainischen Verteidiger Schützengräben ausgehoben und Verteidigungslinien errichtet. Die Stadt ist mittlerweile eine Festung, die die Ukraine erfolgreich verteidigen kann. Noch.

Denn Russland schickt sich erneut an, die Stadt in den kommenden Wochen einzunehmen. Spätestens mit Beginn der erwarteten Frühjahrsoffensive dürfte sich Putins perfider Plan zeigen: Er will die ukrainischen Verteidiger überrennen, sie durch die schiere Grösse der Armee ersticken, solange die Ukraine ihm noch kein schweres Kampfgerät entgegensetzen kann.

Hat der Westen, hat auch Deutschlands Kanzler Olaf Scholz (SPD) also zu spät reagiert, die Lieferung von Panzern zu lange hinausgezögert?

Schon jetzt ist der Blutzoll auf beiden Seiten hoch, Bachmut gilt schon lange als Fleischwolf in diesem Krieg. Militärexperten berichten von Kämpfen wie im Ersten Weltkrieg. Die Ukrainer harren in Schützengräben aus, Anfang Januar bei bis zu minus zwölf Grad, in einer Mischung aus Matsch und Schnee.

Die russische Armee schickt immer wieder neue Angriffswellen von Soldaten dagegen, die in das Sperrfreuer der Ukrainer rennen, und nahm die ukrainischen Stellungen mit Artillerie unter Feuer. Bachmut ist längst zu einem schrecklichen Symbol für das Grauen des russischen Angriffskrieges geworden.

Hat der Westen zu lange gezögert?

Doch die kommenden Wochen dürften noch schlimmer werden – und zwar auch deshalb, weil die Ukraine Putin nicht viel entgegensetzen kann. Zwar sollen die Kampfpanzer westlicher Bauart nun geliefert werden. Allerdings ergeben sich daraus für die Ukraine gleich mehrere mögliche Probleme:

Erstens: Das schwere Gerät aus dem Westen kommt mutmasslich zu spät an. Zweitens: Die Zahl der Panzer ist mit etwas mehr als 100 Stück überschaubar. Anders ausgedrückt: Die Hilfe des Westens ist zu gering und kommt zu spät, um kurzfristig auf den Gefechtsfeldern etwas ändern zu können. Die Abrams- und die Leopard-1-Panzer könnten gar erst im Herbst oder noch später in der Ukraine eintreffen. Das sind keine guten Nachrichten für Kiew.

Ukraine-Krieg: Der aktuelle Frontverlauf.
Ukraine-Krieg: Der aktuelle Frontverlauf.

Hoffnung macht lediglich, dass die vorher kalkulierten Liefertermine vom Westen oft unterboten wurden. Möglich ist also, dass die Panzer doch früher ankommen. Genaue Termine sind nicht bekannt, nicht zuletzt, weil das westliche Bündnis Moskau keinen taktischen Vorteil verschaffen will. Doch selbst dann gilt: Die ukrainischen Soldaten müssten erst einmal an den Waffensystemen ausgebildet werden – was abermals wertvolle Zeit kostet.

Es braucht dringend Munition

Damit allein jedoch enden die Probleme für die Ukraine nicht. Denn neben den viel diskutierten Panzern selbst braucht das Land in seinem Verteidigungskampf vor allem eines: Munition.

Was bringt es der ukrainischen Armee, wenn sie die modernsten Waffensysteme im Land hat, aber gleichzeitig auf nichts schiessen kann? Deutlich wird das schon jetzt beim Flugabwehrpanzer Gepard. Die Versuche der deutschen Regierung, etwa in Brasilien und in der Schweiz um Munition zu werben, blieben ohne Erfolg.

epaselect epa10413476 A Ukrainian soldier stands beside a T-72 tank in the Donetsk region, eastern Ukraine, 18 January 2023. Britain?s defence secretary Ben Wallace confirmed on Monday that the UK wou ...
Bild: keystone

Ungeklärt sind ausserdem andere logistische Fragen. Neben dem Munitionsnachschub geht es dabei vor allem um Ersatzteile für Reparaturen – und darum, wie sich die Panzer in der Ukraine überhaupt bewegen lassen. Denn: Die Panzer sind mit einem Gewicht von mehr als 60 Tonnen extrem schwer – womöglich zu schwer für die ukrainischen Brücken, wie t-online mehrfach aus Sicherheitskreisen erfuhr.

Ukrainische Soldaten werden knapp

Neben dem Material muss sich die ukrainische Armee auch Sorgen um personellen Nachschub machen. Mittlerweile gibt es im Land die sechste Mobilisierungswelle, sogar Männer, die 60 Jahre und älter sind, werden eingezogen. Das zeigt: Auch der Ukraine gehen die Soldaten aus, was angesichts der extrem langen Frontlinie schon bald ganz neue Herausforderungen darstellen kann.

Denn schon jetzt haben russische Truppenstationierungen in Belarus dafür gesorgt, dass auch die Ukraine Truppen im Norden lassen muss, um die Flanke und Kiew im Notfall abzusichern. Da die westlichen Verbündeten keine Bodentruppen in die Ukraine schicken werden, wird ein langer Abnutzungskrieg für die Verteidiger immer schwieriger zu gewinnen.

epa10445690 Ukrainian President Volodymyr Zelensky speaks at a meeting with media following the Ukraine - EU summit in Kyiv, Ukraine, 03 February 2023. Ursula von der Leyen and and Charles Michel acco ...
Wolodymyr Selenskyj: "Wir werden so lange kämpfen, wie wir können"Bild: keystone

Lösen kann die ukrainische Führung diese vielschichtigen Problem auf zwei Arten: Entweder sie erobert in einem möglichst kurzen Zeitraum ihr besetztes Staatsgebiet zurück – oder sie zieht sich auf weniger Landfläche zurück, die einfacher zu verteidigen ist.

Letzteres ist für Kiew natürlich undenkbar, denn Präsident Wolodymyr Selenskyj möchte nach den russischen Massakern in Butscha und Irpin keinesfalls einen Teil seiner Bevölkerung diesem Schicksal aussetzen.

Deshalb soll auch Bachmut nicht fallen. «Wir werden so lange kämpfen, wie wir können», sagte Selenskyj am Freitag zum Abschluss eines EU-Ukraine-Gipfels in Kiew. Bachmut sei eine «Festung». Selenskyj forderte vom Westen erneut mehr Waffen, um Russlands Angriffe abwehren zu können. «Je weitreichendere Raketen wir haben, je besser unsere Artillerie ausgerüstet ist, desto schneller endet die Aggression Russlands und um so garantierter wird der Schutz der europäischen Sicherheit und Freiheit.»

Doppelstrategie der russischen Armee

Unklar ist dagegen, wie die Situation momentan auf russischer Seite aussieht. Putin scheint jedenfalls kaum Probleme damit haben, die eigenen mobilisierten Truppen zu opfern – das zeigen die aktuellen Kämpfe im Osten der Ukraine. Kiew geht davon aus, dass derzeit mehr als 420'000 russische Soldaten in der Ukraine kämpfen.

Das deckt sich mit den Schätzungen der US-Denkfabrik Institute for the Study of War (ISW), die in einem Bericht davon ausgeht, dass die russische Armee 150'000 der mobilisierten Kräfte noch gar nicht eingesetzt habe. Andere Experten denken ausserdem, dass die Mobilisierung in Russland nicht aufgehört hat und dass weiterhin verdeckt Männer eingezogen werden.

Zwar gibt es deutliche Anzeichen dafür, dass Russland Nachschubprobleme bei moderner Technologie, Halbleitern und gelenkten Raketen hat, aber konventionelle Munition müssten Putins Truppen eigentlich noch ausreichend in ihren Depots haben.

Russland scheint momentan eine Doppelstrategie zu fahren: Einerseits könnte nun eine weitere Offensive beginnen, um den Rest der völkerrechtswidrig annektierten ukrainischen Gebiete zu erobern. Andererseits haben russische Truppen Verteidigungslinien angelegt, um zu verhindern, dass die Ukraine wie im Spätsommer schnelle Geländegewinne erzielen kann.

Aber ist die russische Armee in der Lage, eine weitere Offensive zu fahren, oder hat diese bereits begonnen? Diese Frage ist schwer zu beantworten. Einerseits möchte Putin wahrscheinlich wieder in die Offensive kommen, bevor die westlichen Schützen- und Kampfpanzer auf den Gefechtsfeldern erscheinen. Anderseits sieht er sich mittelfristig im Vorteil, weil er glaubt, über mehr Soldaten und Material zu verfügen.

Kaum Erfolge für Russland: Blufft Putin?

Für eine geplante russische Offensive spricht, dass laut ukrainischen Angaben russische Kriegsschiffe im Schwarzen Meer Stellung beziehen. Ausserdem haben die russischen Behörden im besetzten ukrainischen Oblast Luhansk den Internet-Mobilfunkdienst blockiert, wahrscheinlich um eigene Truppenbewegungen zu kaschieren, meinen Experten. Denn immer wieder melden ukrainische Partisanen russische Stellungen und Konvois.

Defensiv hat der Kreml aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt. Auf den von Russland besetzten Gebieten – auch auf der Krim – geht die russische Armee gegen ukrainische Spione vor. Ausserdem legt die russische Armee ihre Munitionsdepots nun weiter weg von der Front an, um ukrainischen Angriffe mit dem US-System Himars zu entgehen. Deswegen bittet Kiew nun auch um Raketen mit grösserer Reichweite.

epa10447982 Ukrainian soldiers fire an anti-aircraft gun at a position near Bakhmut, Donetsk region, eastern Ukraine, 04 February 2023, amid Russia's invasion. Ukrainian servicemen have mounted a ...
Bild: keystone

Letztlich jedoch kann niemand ernsthaft sagen, wie gut die russischen Truppen aktuell in der Ukraine aufgestellt sind. Die Drohungen mit einem Grossangriff könnten ein erneuter Bluff sein. Offen ist damit auch die Antwort auf die Frage, ob die westlichen Panzer zu spät ankommen, oder ob sie noch gerade rechtzeitig eintreffen.

Fest steht, da sind sich Militärexperten einig: Die ukrainische Armee braucht eigentlich eine eigene Angriffswelle, um einen langfristigen starren Stellungskrieg zu vermeiden. Russland nutzt dagegen die Zeit, um immer weitere Verteidigungslinien anlegen zu können. Trotz der westlichen Waffenlieferungen läuft die Zeit also gegen die Ukraine – und für Wladimir Putin.

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66 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Peedy
06.02.2023 15:22registriert Januar 2017
Aus der Sparte „Dinge, die man nicht lesen will.“
Hoffe für die Ukraine, dass die Militärhilfen noch rechtzeitig kommen…und dass die Schweiz endlich auch den Finger aus dem A…. bekommt…
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Luna Merlin
06.02.2023 16:03registriert Dezember 2021
Solche Artikel möchte ich gar nicht lesen. Mir kommen die Tränen vor Wut.

Weshalb, schon wieder, wurde nach dem WW2 die UNO gegründet? Und weshalb gibt es da einen „Sicherheitsrat“?

Eben. Der grösste und schlimmste Aggressor sitzt in genau diesem „Sicherheitsrat“. Sorry, die UNO ist gewissermassen, „nichts wert“. Im Moment eine Lachnummer. Man belehre mich gerne eines Besseren.

Die zivilisierte Welt schaut zu, wie ein zivilisiertes Land überfallen und zerstört wird. Ein bisschen Hilfe in homöopathischen Dosen..

Weckt mich, wenn der Albtraum vorbei ist.
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Sir Konterbier
06.02.2023 15:23registriert April 2017
Ein bisschen gar pessimistisch für meinen Geschmack. Die Ukraine kann noch hunderttausende Freiwillige aufbieten bevor sie überhaupt Wehrpflichtige einziehen muss.

Die Journalisten sollten sich weniger vom Tagesgeschehen beinflussen lassen, denn wenn die Ukraine wieder paar Erfolge feiert sind die Berichte wieder himmelhoch jauchzend.

Fakt ist: Die Ukraine stellt gerade mehrere Brigaden für eine neue Offensive auf und rotiert so viele Einheiten wie möglich aus der Front. Mark my words: Die kommen wieder in die Offensive.
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