Abu Marzouk, der in Katar ansässige Leiter des Aussenministeriums der Hamas, vergleicht den Krieg zwischen der Hamas und Israel mit einem normalen Bürger, der gegen Mike Tyson in den Ring steigt: Wenn dieser es schafft, die Schläge zu überleben, würde man ihm nachsagen, er habe den Kampf gewonnen.
Doch der 74-Jährige zeigt sich im Interview mit der New York Times weder stolz noch siegreich. Im Gegenteil. Er betont: «Angesichts des Ausmasses dessen, was Israel im Gazastreifen angerichtet hat, ist es inakzeptabel, zu behaupten, die Hamas habe den Krieg gewonnen.»
Gegenüber der Zeitung macht er ein überraschendes Eingeständnis: Er hätte den Angriff auf Israel am 7. Oktober 2023 nicht unterstützt, wenn er gewusst hätte, welche verheerenden Auswirkungen er im Gazastreifen haben wird. Die genauen Einzelheiten der Planungen seien ihm nicht bekannt gewesen. Hätte er die Folgen gewusst, so sagte er, wäre es für ihn «unmöglich» gewesen, den Angriff zu unterstützen.
Die Aussage deutet darauf hin, dass es innerhalb der Hamas-Führung Meinungsverschiedenheiten über die Strategie und die Auswirkungen des Angriffs am 7. Oktober gibt.
Allerdings ist die Äusserung mit Vorsicht zu geniessen, die Motivation dahinter ist unklar. Wollte er die Verhandlungen beeinflussen? Die Hamas besser darstellen? Oder vielleicht Druck auf andere Führer innerhalb der Hamas ausüben? Wir wissen es nicht.
Klar ist: Der Kommentar erinnert an eine Aussage von Hassan Nasrallah, dem ehemaligen Führer der Hisbollah. Nach dem Libanonkrieg im Jahr 2006 bedauerte Nasrallah die Entführung israelischer Soldaten, auf die Israel mit einem einmonatigen Krieg reagiert hatte.
Doch dieses Bedauern schien schnell vergessen. Später erklärte er die Aktion als notwendige Massnahme im Widerstand der Hisbollah gegen Israel.
Unmittelbar nach der Publikation des Interviews veröffentlichte die Hamas eine Stellungnahme. Der Kommentar sei falsch und aus dem Kontext gerissen worden. Abu Marzouk habe den Angriff vom 7. Oktober als «Ausdruck des Rechts auf Widerstand und seiner Ablehnung der Belagerung, Besatzung und des Siedlungsbaus» bezeichnet.
Im Schatten der Waffenruhe weitete Israel seinen umfangreichen Militäreinsatz «Iron Wall» («Eiserne Mauer») im besetzten Westjordanland aus. Erstmals seit der zweiten Intifada (2000–2005) drangen israelische Panzer wieder ins Westjordanland ein.
40'000 Palästinenserinnen und Palästinenser sind laut dem israelischen Verteidigungsminister Katz aus den Flüchtlingslagern Jenin, Tulkarem und Nur Shams vertrieben worden.
Berichten zufolge wurden von israelische Truppen Krankenhäuser besetzt und Gebäude gesprengt. Videos in den sozialen Medien zeigen, wie Rauchwolken über der Stadt Jenin aufsteigen. Die Stadt gilt als Hochburg militanter Gruppen und wird mit vom Iran unterstützten Waffen in Verbindung gebracht.
Seit dem Krieg in Gaza habe es mehr als 2000 versuchte Terroranschläge gegeben, die vom Westjordanland aus geplant worden seien, heisst es seitens der israelischen Armee. Man wollte mit der Operation die Infrastruktur von Militanten zerstören.
John McGarry, Professor für Politikwissenschaften der kanadischen Queen’s University, kritisiert Israels Vorgehen gegenüber dem kanadischen Sender CBC News. Die Eskalation im Westjordanland sei das Ergebnis der rechtsgerichteten israelischen Regierung und einer rechtsgerichteten US-Administration. Es bestünde McGarry zufolge nach dem Angriff vom 7. Oktober zwar eine «berechtigte Angst, doch rechte Kräfte würden diese Sorgen ausnutzen».
Eine ähnliche Meinung vertritt die israelische Menschenrechtsaktivistin Sarit Michaeli. Gegenüber ARD sagt sie: «Israel konzentriert seinen Krieg nun auf das Westjordanland.» Die Ausweitung würde immer mehr Zivilistinnen und Zivilisten das Leben kosten. «Die Operation führt zu mehr Gewalt durch israelische Siedler, deren Ziel es ist, die Palästinenser zu vertreiben.»
Im Zuge der seit dem 19. Januar bestehenden ersten Phase des Waffenstillstands hat die Hamas bisher 25 lebende und vier tote Geiseln an Israel übergeben. Im Gegenzug wurden mehr als 1100 Palästinenser aus israelischer Haft freigelassen.
Die erste Phase des Waffenruheabkommens zwischen Israel und der Hamas war kürzlich ins Stocken geraten. Doch nun konnte eine Einigung über einen weiteren Austausch von Gefangenen und Geiseln erzielt werden.
Die zweite Phase des Waffenruheabkommens, die am 2. März in Kraft treten soll, sieht ein endgültiges Ende des Krieges vor. Auch geht es um die Frage, wer Gaza künftig kontrollieren soll.