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Wie erkennt man Fake News im Krieg? Eine Faktencheckerin gibt Tipps

epa10935546 An Israeli Merkava tank in action during maneuvers at an undisclosed location along the border with Lebanon, in Israel, 24 October 2023. Tensions continue to rise at the border between Isr ...
Ein israelischer Merkava-Kampfpanzer im Einsatz an der libanesischen Grenze, Oktober 2023.Bild: keystone

Starben hier Zivilisten in einem Auto? Eine Faktencheckerin hat mit uns ein Video geschaut

01.11.2023, 09:4601.11.2023, 13:20
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Worum geht's?

Der Krieg in Israel und Palästina flutet Social Media mit Bildern und Videos, die (angebliche) Gräueltaten zeigen. Immer wieder kommen Vorwürfe an die Kriegsparteien auf, dass die gezeigten Videos entweder irreführend, manipuliert oder schlicht gefälscht seien. Das Ziel: den Gegner als barbarischen Kriegsverbrecher darzustellen.

Aber wie geht man als Medienkonsumentin mit solchen Videos um? Wie erkennt man Fake News? Wir haben mit einer Faktencheckerin gesprochen und zeigen anhand eines Beispiels, wie man vorgehen kann, um Falschinformationen nicht auf den Leim zu kriechen.

Das Fallbeispiel

Am Montag tauchte ein Video in den sozialen Medien auf. Zu sehen ist ein Panzer, der auf ein Auto schiesst. Die Behauptung dazu: Ein israelischer Panzer habe auf ein ziviles Fahrzeug geschossen und dabei drei Mitglieder einer Familie getötet.

Das Video wurde vor allem auf X massenhaft geteilt, Millionen Menschen haben es gesehen

Video: watson

Falls diese Behauptung stimmt, wäre dies ein Kriegsverbrechen – begangen durch die israelischen Streitkräfte. Aber entspricht dies auch den Tatsachen?

Wir haben mit Catherine Gilbert gesprochen. Sie ist Faktencheckerin bei der Schweizer Nachrichtenagentur Keystone-SDA und hat ein paar Tipps auf Lager.

Catherine Gilbert ist seit 2020 bei der Schweizer Nachrichtenagentur Keystone-SDA als Verification Officer tätig.
Catherine Gilbert ist seit 2020 bei der Schweizer Nachrichtenagentur Keystone-SDA als Verification Officer tätig.Bild: zvg

Erster Schritt: Hinterfragen und Recherchieren

Der erste Schritt ist stets der gleiche: Hinterfragen und eine Information nicht einfach als wahr akzeptieren. Gilbert sagt:

«Zuerst sollte man sehr kritisch sein und das Video nicht sofort teilen. Danach kann man schauen, ob es eine seriöse Quelle gibt, die darüber berichtet hat. Wann ist das Video effektiv zum ersten Mal publiziert worden?»

In unserem Fallbeispiel mit dem Panzer haben dies bereits einige englischsprachige Newsplattformen gemacht:

Beide haben mit dem Beifahrer des Mannes gesprochen, der das Video gefilmt hat. Beim Beifahrer handelt sich dabei um den freischaffenden Fotografen Bashar Talib. Sein Kollege, ein Lokaljournalist namens Youssef Al-Saifi, hat das Video aufgenommen und auf Instagram hochgeladen.

Gemäss Talib entstand das Video am Montag auf der «Salah ad-Din»-Strasse, einer der wichtigsten Verkehrsachsen des Gazastreifens.

Zweiter Schritt: Eigene Recherche

Wenn noch kein (seriöses) Medium darüber berichtet hat, kann man auch selbst nachforschen. Gilbert sagt:

«Eine Bilderrückwärtssuche ist das Erste, was man tun kann. Manchmal werden alte Videos verwendet und in einen neuen Kontext gesetzt. Wenn das Video vor der israelischen Offensive bereits schon einmal aufgetaucht ist, kann man es als Fake identifizieren.»

In unserem Panzervideo ist das nicht der Fall. Als Nächstes kann man versuchen, die Verortung selbst vorzunehmen. «In diesem Video gibt es markante Gebäude, die bei der Geolokalisierung helfen», sagt Gilbert. Und sonst hilft ein Blick in die Kommentare: «Oftmals hat schon jemand den Ort des Geschehens lokalisiert oder es melden sich Leute, die schon einmal da waren.»

Und tatsächlich: Die Schwarmintelligenz in einem X-Thread hat den Ort ziemlich schnell gefunden.

Gilbert erklärt weiter: «Dann kann man sich fragen: Was sieht man überhaupt? Ist es realistisch? Was sind die Reaktionen des Filmenden? Sind diese logisch und der Situation angemessen? In diesem Video fahren sie hin und zoomen rein. Dann gibt es eine Explosion und als Reaktion darauf fahren sie sofort weg. Die Reaktion wirkt nachvollziehbar, die Kameraführung realistisch.»

Das Video scheint also echt zu sein. Aber stimmen auch die mitgelieferten Informationen?

Dritter Schritt: Fact Checking

Hier wird es schwierig. In etlichen Posts auf Social Media hiess es, drei Zivilisten seien bei der Explosion gestorben. Die Behauptung stammt aus dem Video selbst, eine Person sagt auf Arabisch, dass das Auto getroffen wurde und der Mann und die ganze Familie tot sei. Stimmt das?

Gilbert sagt dazu: «Zur Quelle kann man sich fragen: Wer hat das gepostet? Ist es eine Person, ein Medium? Wieso haben sie das gepostet? Ist die Quelle vertrauenswürdig?»

In unserem Fall fehlten zunächst offizielle Behördenangaben zu Opferzahlen. Und auf dem Video kann man nicht erkennen, wer im Auto sitzt. Ebenso wenig sieht man, ob das Auto tatsächlich getroffen wurde. Gilbert meint: «Ich weiss nicht, wer im Auto sitzt. Ob das stimmt? Es gibt keine weiteren Hinweise. Da wäre ich sehr vorsichtig.»

Fazit

Nun kommt der in diesem Fall unbefriedigende Schlusspunkt: Die entscheidende Frage, ob hierbei unschuldige Zivilisten getötet wurden, kann nicht beantwortet werden. Was kann man da als Medienkonsumentin tun? Gilbert sagt:

«Ich würde dadrauf nicht weiter eingehen und es auf keinen Fall weiterverbreiten, auch wenn das Abgebildete emotional bewegt. Fakes spielen gerne mit unseren Emotionen. Wenn es nicht gesichert ist, würde ich das Video einfach so stehen lassen. Ich halte es für heikel, wenn man ungeprüfte Sachen in die Welt setzt. Im Endeffekt dient es der Propaganda. Der User kann damit auch unbewusst die Manipulation übernehmen und sich damit unwissentlich auf eine Seite stellen.»
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137 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Acai
01.11.2023 10:12registriert März 2017
Warum wird das Video denn hier geteilt? Warum war es gestern auf SRF zu sehen? Es wäre doch genau die Aufgabe der Journalisten, die Fakten zu prüfen und nur das zu publizieren, was geprüft wurde. Es ist sinnlos, diesen Job dem Enduser aufzubürden, weil der schlicht nicht die Zeit (und weitere Ressourcen) hat, das derart detailliert zu prüfen.
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Hundshalter Leno
01.11.2023 09:53registriert September 2023
Danke für den Beitrag. Es würde auch einigen Usern auf watson (egal ob pro oder contra was auch immer) nicht schaden, ihre Quellen etwas besser zu prüfen und nicht einfach mitteilen, was die eigene Sichtweise bestätigt. Teils ist es unglaublich was da für Fehlinformationen verbreitet werden.
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TheRealSkyFall
01.11.2023 10:14registriert November 2014
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