Nach dem Raketeneinschlag in einem Krankenhaus im Gazastreifen mit mutmasslich Hunderten von Toten und Verletzten wächst die Sorge vor einer Eskalation des Konflikts im Nahen Osten. Während die von der islamistischen Hamas kontrollierte Gesundheitsbehörde im Gazastreifen sowie auch mehrere arabische Staaten Israel die Verantwortung für den Raketeneinschlag gaben, wies die israelische Armee dies entschieden zurück. «Das Krankenhaus wurde durch eine fehlgeschlagene Rakete der Terrororganisation Islamischer Dschihad getroffen», erklärte die Armee in der Nacht auf Mittwoch. Sie kündigte an, Beweise für die Annahme öffentlich machen zu wollen. Die Ereignisse lösten spontan Proteste in der arabischen Welt und auch in einigen deutschen Städten aus.
Die mit Israel verfeindete pro-iranische Miliz Hisbollah im Libanon rief einen «Tag des beispiellosen Zorns» gegen Israel aus. Dieser richte sich auch gegen den für diesen Mittwoch geplanten Solidaritätsbesuch von US-Präsident Joe Biden in Israel. Biden wolle das «kriminelle Regime unterstützen», hiess es. Worte der Verurteilung reichten nicht mehr aus, erklärte die Schiiten-Miliz. Biden reagierte bestürzt auf den Raketeneinschlag in das Krankenhaus in Gaza. Er sei «empört und zutiefst betrübt», hiess es in einer Stellungnahme.
Bei seinem Besuch in Tel Aviv will der US-Präsident auch «harte Fragen» stellen, wie der Kommunikationsdirektor des Nationalen Sicherheitsrates der US-Regierung, John Kirby, am Dienstagabend (Ortszeit) auf dem Flug nach Tel Aviv erklärte. Biden wolle von den Israelis ein Gefühl für die Situation vor Ort bekommen, mehr über ihre Ziele und Pläne in den kommenden Tagen und Wochen hören.
Im Anschluss an seinen Kurzbesuch in Israel wollte Biden ursprünglich nach Jordanien, um mit dem palästinensischen Präsidenten Mahmud Abbas, Ägyptens Staatschef Abdel Fattah al-Sisi und Jordaniens König Abdullah II. zusammenzukommen. Jordanien sagte das Treffen jedoch kurzfristig ab. Es werde erst dann stattfinden, wenn es eine Einigung gebe, den Krieg zu beenden und «diese Massaker» zu stoppen, sagte Aussenminister Aiman al-Safadi dem jordanischen TV-Sender Al-Mamlaka.
«Ich bin entsetzt über die Tötung Hunderter palästinensischer Zivilisten heute bei einem Angriff auf ein Krankenhaus in Gaza, den ich aufs Schärfste verurteile», schrieb UN-Generalsekretär António Guterres bei X. Er reist angesichts der Gewalteskalation nach Kairo. Dort will sich der 74-jährige Portugiese laut UN-Angaben ab Donnerstag unter anderem mit dem ägyptischen Staatschef treffen, um eine Öffnung des geschlossenen Grenzübergangs Rafah von der Sinai-Halbinsel in den Gazastreifen zu erwirken.
Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu wies unterdessen die Verantwortung für den Raketeneinschlag zurück. «Die ganze Welt sollte es wissen: Es waren barbarische Terroristen in Gaza, die das Krankenhaus in Gaza angegriffen haben», sagte Netanjahu am Dienstag. Eine Überprüfung der operativen und nachrichtendienstlichen Systeme habe ergeben, dass das israelische Militär das Krankenhaus Al-Ahli in Gaza «nicht getroffen» habe, erklärte Militärsprecher Daniel Hagari.
Das Gesundheitsministerium im Gazastreifen hatte dagegen mitgeteilt, dass bei einem israelischen Luftangriff auf das Krankenhaus «mehrere Hundert» Menschen getötet und verletzt worden seien. Eine genaue Zahl wurde dabei nicht genannt. Unabhängig war dies nicht zu überprüfen.
Der UN-Hochkommissar für Menschenrechte, Volker Türk, forderte eine lückenlose Aufklärung. Er rief die Staaten mit Einfluss in der Region auf, alles in ihrer Macht stehende zu tun, um die Ereignisse dort zum Ende zu bringen. Auch Frankreichs Präsident Emmanuel Macron verurteilte den Raketeneinschlag. «Nichts kann einen Angriff auf ein Krankenhaus rechtfertigen», schrieb er auf X.
Saudi-Arabien verurteilte das «abscheuliche Verbrechen» aufs Schärfste - und machte Israel dafür verantwortlich, wie aus einer Erklärung des saudischen Aussenministeriums hervorging. Riad verurteile die «anhaltenden Angriffe der israelischen Besatzung» auf Zivilisten. Auch die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) gaben Israel die Schuld. Marokko verurteilte die «Bombardierung» der Klinik «durch israelische Streitkräfte» ebenso «aufs Schärfste». Zivilisten müssten «von allen Parteien geschützt» werden. Auch Bahrain schloss sich der Kritik am «israelischen Bombenanschlag» an.
Im Libanon strömten in den südlichen Vororten von Beirut Augenzeugen zufolge Hunderte Hisbollah-Anhänger auf die Strassen und forderten, Tel Aviv zu bombardieren. In Iran rief eine Menge im Stadtzentrum Teherans «Nieder mit Israel», wie Videos der staatlichen Nachrichtenagentur IRNA zeigten. Die überwältigende Mehrheit der iranischen Bevölkerung lehnt die Islamische Republik und deren Politik jedoch ab. Das Regime erklärte Mittwoch zum Trauertag. Irans Aussenamtssprecher verurteilte den Angriff aufs Schärfste und machte den Erzfeind Israel verantwortlich.
An der Grenze zwischen Israel und dem Libanon kam es unterdessen erneut zu Schusswechseln. Israelische Soldaten seien mit Panzerabwehrraketen in der Gegend von Shtula im Bereich des Sicherheitszauns zwischen Israel und dem Libanon beschossen worden, teilte das israelische Militär am frühen Mittwochmorgen mit. Die eigene Artillerie habe daraufhin den Ort des Raketenabschusses unter Feuer genommen, hiess es. Israelische Kampfflugzeuge beschossen zudem in Reaktion auf den wiederholten Beschuss Israels vom Libanon aus einen Beobachtungsposten und militärische Infrastruktur der Miliz.
In Amman versuchten Demonstranten zur israelischen Botschaft zu gelangen, wie die jordanische Nachrichtenagentur Petra am Dienstagabend meldete. Berichte über die Stürmung des Gebäudes wiesen jordanische Sicherheitskreise den Angaben nach zurück. Auch vor dem israelischen Konsulat im türkischen Istanbul versammelten sich viele Demonstranten. Einige schwenkten palästinensische Flaggen und skandierten: «Nieder mit Israel!» Israel forderte seine Staatsbürger aus Angst vor Vergeltungsschlägen zum Verlassen der Türkei auf.
Ein ranghoher Vertreter der Weltgesundheitsorganisation (WHO) forderte die Einstellung der andauernden israelischen Luftangriffe auf Ziele im Gazastreifen. Es sei jetzt dringend nötig, medizinisches Material und andere lebensnotwendige Güter über die bislang geschlossene Grenze zwischen Ägypten und dem Küstengebiet zu bringen, sagte WHO-Notfallkoordinator Mike Ryan am Dienstagabend in Genf.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) traf bereits in der Nacht zum Mittwoch aus Israel kommend in der ägyptischen Hauptstadt ein, nachdem sich der Abflug wegen Raketenalarms verzögert hatte. Am Morgen will Scholz Ägyptens Staatschef treffen. Am selben Tag soll sich der Weltsicherheitsrat mit dem Raketeneinschlag beschäftigen.
US-Präsident Biden trifft zu Gesprächen mit der israelischen Regierung in Tel Aviv ein. Bundeskanzler Scholz kommt derweil am Morgen in Kairo mit dem ägyptischen Staatschef Abdel Fattah al-Sisi zusammen. Die pro-iranische Miliz Hisbollah im Libanon rief einen «Tag des beispiellosen Zorns» gegen Israel aus. Sie forderte die islamische Welt auf, ihrer Empörung bei Protesten Ausdruck zu verleihen. Derweil wird weiter auf eine Öffnung des einzigen Grenzübergangs aus dem Gazastreifen zu Ägypten zur Versorgung Hunderttausender Flüchtlinge in Gaza gehofft. (rbu/lak/sda/dpa)