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Israel

Hamas-Tunnelsystem: Der unheimliche Krieg der Tunnel-Ratten

Besonders gefährlich, besonders grausam: Der unheimliche Krieg der Tunnel-Ratten

Wenn die israelische Armee ihre Ankündigung wahr macht und in Gaza einmarschiert, wird die Ausschaltung der Hamas-Tunnel die grösste militärische Herausforderung darstellen. Bereits die Amerikaner im Vietnamkrieg machten damit schreckliche Erfahrungen.
17.10.2023, 20:38
Bojan Stula / ch media
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Ein US-Sergeant wühlt sich 1967 durch einen nordvietnamesischen Tunnel.
Ein US-Sergeant wühlt sich 1967 durch einen nordvietnamesischen Tunnel.bild: wikicommons

Wenn die israelischen Streitkräfte in den Norden des Gazastreifens einmarschieren, wird die Zerstörung der von der Hamas angelegten Tunnelsysteme eine ihrer Hauptaufgaben sein. Dies bestätigte der israelische Generalstabschef Herzi Halevi bei einem Truppenbesuch am Sonntag.

Laut dem israelischen Institut für nationale Sicherheitsstudien (INSS) verlassen sich die Hamas-Terroristen seit mindestens 2012 auf ein rund 500 Kilometer langes, engmaschiges Netz von unterirdischen Gängen, teilweise bis zu 30 Meter unter dem Boden oder noch tiefer. Bereits im 50-tägigen Gazakrieg von 2014 habe sich gezeigt, dass die Tunnel im Gazastreifen «das einzige strategische Mittel der Hamas» gewesen seien, heisst es bei Oberst Gabi Siboni in einer Analyse des damaligen Konflikts.

Al-Jazeera veröffentlichte 2014 eine Reportage über das Tunnelsystem der Hamas im Gazastreifen.Video: YouTube/Al Jazeera English

Aus diesen Tunneln könne Hamas nicht nur - wie in den vergangenen Tagen regelmässig vorgekommen - immer wieder auftauchen und weiterhin Raketen auf israelisches Gebiet abfeuern, sondern auch im Bodenkampf einen für den Angreifer verlustreichen Partisanenkampf führen. Über den erstaunlichen Ausbaugrad des Tunnelsystems im Gazastreifen berichtete bereits 2014 der katarische Newssender Al-Jazeera.

Sprengfallen und Skorpione warteten auf die Tunnelkämpfer

Dass der Krieg im Untergrund eine besonders gefährliche und psychisch belastende Angelegenheit ist, mussten bereits die Amerikaner im Vietnamkrieg erfahren. Es ist wohl nicht abwegig anzunehmen, dass sich die Hamas von den Nordvietnamesen und deren noch viel grösseren damaligen Tunnelnetzwerken inspirieren liess; wie auch der brutale Terrorüberfall von vor einer Woche gewisse strategische Züge der überraschenden kommunistischen Tet-Offensive im Januar und Februar 1968 trägt.

In ihrer Not griffen die Amerikaner und ihre Verbündeten im vietnamesischen Tunnelkrieg bald zu einer Gruppe von Spezialisten, den sogenannten «Tunnel-Ratten». Das waren äussert wagemutige, meist klein gewachsene Infanteristen oder Pioniere, die oft nur mit einer Pistole und Taschenlampe bewaffnet und mit nacktem Oberkörper in die Erdtunnel einstiegen, um dort den Feind zu bekämpfen. Der deutsche Regisseur Uwe Boll setzte ihnen 2008 mit «Abstieg in die Hölle» ein filmisches Denkmal.

Was sie unter der Erde erwartete, war schrecklich: Manche Gänge stürzten einfach ein und begruben die Tunnel-Ratten bei lebendigem Leibe. Die Vietnamesen wehrten sich gegen die verhassten Eindringlinge mit unterirdischen Sprengfallen oder setzen sogar Tunnelabschnitte unter Wasser, um die Feinde zu ertränken. Überliefert ist auch der Einsatz von Giftschlangen und giftigen Skorpionen, um die Tunnel-Ratten abzuschrecken.

Ein australischer Soldat macht sich in der Frühphase des Krieges daran, in einen vietnamesischen Tunnel einzusteigen.
Ein australischer Soldat macht sich in der Frühphase des Krieges daran, in einen vietnamesischen Tunnel einzusteigen.bild: wikicommons

Eine bittere Ironie dieser Einsätze war, dass sich viele US-Veteranen schwere Vergiftungen und gesundheitliche Spätfolgen einfingen, indem sie sich durch das mit «Agent Orange» getränkte Erdreich wühlten und unter Tage die verseuchte Luft einatmeten. Mit dem tonnenweisen Versprühen des schwer toxischen Entlaubungsmittels wollten die Amerikaner die Nordvietnamesen im Dschungelkrieg «sichtbar» machen, was sich für Mensch und Natur als katastrophaler Fehlschlag erwies.

Zumindest dieser Gefahr werden die israelischen Soldaten nicht mehr begegnen, wenn sie sich daranmachen, jene Teile der Hamas-Tunnel zu durchkämmen, welche mit den «Bunkerbrecher»-Bomben der eigenen Luftwaffe nicht zu zerstören sind. Wie die Amerikaner in Vietnam konnten die Israeli im vergangenen Jahrzehnt viele Erfahrungen im Tunnelkrieg machen.

Dabei sehen sich die speziell ausgerüsteten und dafür ausgebildeten «Wiesel»-Elitesoldaten der «Yahalom»-Kampfpioniere ganz in der Tradition der amerikanischen Tunnel-Ratten von Vietnam. (aargauerzeitung.ch)

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30 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Randy Orton
17.10.2023 23:23registriert April 2016
Der Unterschied zu Vietnam ist, dass die Vietkong keine Terrororganisation ist, die Zivilisten in deren Zuhause auf fremdem Staatsgebiet gefoltert, entführt, vergewaltigt und ermordet hat - die Vietkong hat ihr Land verteidigt. Die Hamas ist eine Terrororganisation die offen zum Ziel hat, alle Juden zu töten, dafür „opfern“ sie sogar ihre eigenen Mitbürger in Gaza, welche sie als menschliche Schutzschilder missbrauchen (Hamas hat ja die Evakuierung von Nordgaza verhindern wollen, weil sie ohne die zivilen Bürger dort dem israelischen Militär schutzlos ausgeliefert sind).
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Project47North
17.10.2023 21:18registriert August 2022
Da kommt mir wieder der Kriegsfilm "1968 Tunnel Rats" in Erinnerung.
Der beklemmendste und fieseste Kriegsfilm den ich je gesehen habe.
Allerdings eine so klaustrophobisch realistische Darstellung, dass er meiner Meinung nach einen Oscar für das beste Szenenbild verdient hätte.
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bitzliz'alt
17.10.2023 23:40registriert Dezember 2020
Der Vergleich Hamas mit Vietcong stört mich sehr! Die Hamas-Mörderbande hat nichts, aber gar nichts gemeinsam mit dem Vietcong - 1960 wurden die Hauptziele wie folgt beschrieben: "Landreform. Geschlechter, Ethnien und Religion sollten gleichgestellt sein, der US-Einfluss zurückgedrängt und ein politisch neutraler Kurs zwischen den Machtblöcken eingeschlagen werden". Auch wenn der Krieg immer schmutziger wurde, die "Volksbefreiungsfront" stand auf der Seite des Volkes, obwohl die Ami-Propaganda stets das Gegenteil behauptet, bis heute ...
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