Israel will das militärische Vorgehen gegen die islamistische Hamas im Gazastreifen nach zweiwöchigem Bombardement nun ausweiten. «Wir erhöhen die Angriffe und minimieren die Gefahr», zitierten israelische Medien Armeesprecher Daniel Hagari am Samstag. «Wir müssen unter den besten Bedingungen in die nächste Phase des Krieges eintreten.» Unklar ist, ob damit die erwartete Bodenoffensive gemeint ist. Auch im besetzten Westjordanland geht Israel verstärkt gegen militante Palästinenser vor. In der Nacht zum Sonntag griff die Armee nach eigenen Angaben kurz vor einem geplanten Anschlag eine «Terrorzelle» in einer Moschee im Flüchtlingslager Dschenin an.
In der Al-Ansar-Moschee habe sich ein unterirdischer «Terrorkomplex» der islamistischen Hamas und des Islamischen Dschihad befunden, die einen weiteren Terroranschlag geplant hätten, teilte das israelische Militär auf Telegram mit. Unbestätigten Medienberichten zufolge kamen bei dem Angriff zwei Palästinenser ums Leben.
Auch an der Grenze Israels zum Libanon gab es zuvor wieder gewaltsame Zwischenfälle, die Sorgen vor einer Eskalation des Konflikts schüren. Israels Armee griff nach erneutem Beschuss und versuchten Raketenstarts aus dem Libanon eigenen Angaben zufolge «Terrorzellen» im Süden des Libanons an. Dabei habe es «Treffer» gegeben, erklärte das Militär am Samstag.
Zugleich steht im Gazastreifen eine weitere Intensivierung der Angriffe bevor: "Wir werden den Gazastreifen für eine operative, professionelle Mission betreten: zur Zerstörung von Hamas-Aktivisten und der Infrastruktur, kündigte Armeechef Herzi Halevi am Samstag an.
Seit dem Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober, bei dem 1400 Menschen in Israel getötet und mehr als 200 Menschen als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt wurden, hat Israels Armee Hunderte von Zielen im Gazastreifen am Mittelmeer bombardiert. Die meisten der bei dem Hamas-Angriff in Israel getöteten Menschen waren offiziellen Angaben zufolge Zivilisten.
Nach Angaben des von der Hamas kontrollierten Gesundheitsministeriums im Gazastreifen kamen dort bislang 4385 Palästinenser ums Leben, 62 Prozent davon Kinder und Frauen. Über 1000 Menschen würden vermisst.
Die humanitären UN-Organisationen warnen ungeachtet der ersten Lieferung von Hilfsgütern in den Gazastreifen vor einer weiter drohenden Verschlechterung der Lage dort. Sie forderten am Samstagabend eine Feuerpause und ungehinderten Zugang für humanitäre Helfer und Hilfsgüter. Die Zahl der Todesfälle könne wegen Krankheitsausbrüchen und mangelnder Versorgung sprunghaft steigen. Der Gazastreifen sei schon zuvor in einer verzweifelten Situation gewesen. «Jetzt ist die Lage katastrophal. Die Welt muss mehr tun.»
Am Samstag waren nach langwierigen Verhandlungen erstmals 20 Lastwagen mit Hilfsgütern von Ägypten aus in den Gazastreifen gelassen worden. Am selben Tag kamen in der ägyptischen Hauptstadt Kairo bei einem «Gipfel für den Frieden» mehrere Staats- und Regierungschefs der Nahostregion sowie Vertreter der UN und westlicher Staaten zusammen, ohne dass es jedoch Hoffnung auf Entspannung gab - auch weil Israel nicht eingeladen war. Israels Angriffe wurden scharf kritisiert, aber auch der Terror der Hamas.
Nach der Freilassung zweier US-Geiseln aus Gefangenschaft der Hamas gibt es vorsichtige Hoffnung auf Freilassung weiterer Geiseln. Dies sei «ein kleiner Funken Hoffnung auch für andere», sagte Aussenministerin Annalena Baerbock (Grüne) nach dem Nahost-Gipfel in Kairo. Die Geiseln, darunter Deutsche, seien dabei zentrales Thema gewesen. Katar, das die Freilassung der ersten beiden Geiseln vermittelt hatte, äusserte sich optimistisch. «Wir sind auf einem Weg, der sehr bald zur Freilassung der Geiseln, insbesondere der Zivilisten, führen wird», sagte Madschid al-Ansari, Sprecher des Aussenministeriums, der «Welt am Sonntag». Über eine Freilassung israelischer Soldaten will die Hamas laut einem Sprecher aber erst nach dem Krieg verhandeln.
Derweil wollen nach israelischen Militärangaben mehr ultraorthodoxe Juden in der Armee dienen. Die Anfragen aus dieser Gruppe nähmen im Gaza-Krieg zu, sagte Armeesprecher Hagari am Samstag. Viele strengreligiöse Männer versuchen normalerweise, den Militärdienst zu vermeiden, was in anderen Bevölkerungsteilen für grossen Ärger sorgt. Die Armee habe in den vergangenen Tagen nun aber mehr als 2000 Anfragen von Ultraorthodoxen erhalten. Ab Montag will das Militär eigenen Angaben nach mit der Einberufung der Freiwilligen beginnen.
Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan telefonierte unterdessen mit dem Chef der Hamas, Ismail Hanija, und tauschte sich mit diesem über die Lage im Gazastreifen aus. Wie der Pressedienst der türkischen Regierung am Samstag auf der Plattform X mitteilte, betonte Erdogan dabei, dass sich die Türkei weiter für eine baldmögliche Waffenruhe in der Region einsetzen werde.
Ägypten setzt sich auch nach dem Gipfeltreffen in Kairo für eine Zwei-Staaten-Lösung zwischen Israelis und Palästinensern ein. Ein «unabhängiger palästinensischer Staat» müsse in kurzer Zeit entstehen, wenn die aktuelle Krise zu einem «neuen politischen Geist» geführt habe, teilte das ägyptische Präsidialamt am Samstag mit. «Die Palästinenser müssen alle Rechte geniessen, die andere Menschen geniessen» - allem voran ein Staat, der ihre Identität verkörpere.
In Berlin ist eine grosse Demonstration aus Solidarität mit Israel geplant. Derweil bereitet Israel weiter eine Bodenoffensive im Gazastreifen vor. Die Lage der Menschen in dem von Israel abgeriegelten Gebiet ist auch nach dem Eintreffen erster Hilfsgüter katastrophal und droht sich nach Einschätzung der Vereinten Nationen weiter zu verschlechtern. (sda/dpa)