Fast sechs Wochen nach dem Angriff der islamistischen Hamas auf Israel haben Soldaten nahe dem Schifa-Krankenhaus im Gazastreifen die Leiche einer Geisel geborgen. Die tote Frau sei in einem Nebengebäude des Hospitals entdeckt, nach Israel gebracht und identifiziert worden, teilte Israels Militär am Donnerstag mit. Die Frau war demnach am 7. Oktober bei dem Massaker der Hamas in Israel aus dem Grenzort Beeri entführt worden. In dem Gebäude seien auch Waffen wie Maschinenpistolen und Panzerfäuste gefunden worden.
Bei ihrem Einsatz in der grössten Klinik des Küstenstreifens fanden die israelischen Streitkräfte nach eigenen Angaben auch Kommando- und Kontrollzentren. Was damit konkret gemeint ist, liess ein Militärvertreter offen. Es wurden dort demnach auch Waffen, Computer und militärische Ausrüstung gefunden. Unklar blieb, ob es sich bei einem der entdeckten Zentren auch um die von der Armee unter dem Spital vermutete Kommandozentrale der palästinensischen Islamistenorganisation handelte. Die Hamas bestreitet die Existenz einer solchen Basis unter der Klinik.
Kämpfer der islamistischen Terrororganisation Hamas aus dem Gazastreifen hatten Israel am 7. Oktober angegriffen und etwa 1200 Menschen brutal umgebracht. Zugleich wurden etwa 240 Menschen als Geiseln verschleppt. Daraufhin begann Israel Luftangriffe und Ende Oktober eine Bodenoffensive im Gazastreifen. Dabei wurden nach palästinensischen Angaben mehr als 11'000 Menschen getötet. Die Versorgungslage ist nach UN-Angaben katastrophal. Israel steht international wegen seiner Kriegsführung unter Druck – vor allem seit dem Angriff auf die Schifa-Klinik.
Der israelische Regierungschef räumte ein, dass die Streitkräfte bei ihrem Versuch, zivile Opfer zu vermeiden, nicht immer erfolgreich seien. Zwar versuche das Militär, den Militäreinsatz im Gazastreifen mit einem Minimum an zivilen Opfern zu beenden, sagte Ministerpräsident Benjamin Netanjahu in einem Interview des US-Fernsehsenders CBS. «Das versuchen wir, aber leider gelingt es uns nicht. Jeder Tod eines Zivilisten ist eine Tragödie. Wir versuchen alles in unserer Macht Stehende zu tun, um Zivilisten aus der Gefahrenzone zu bringen, während die Hamas alles tut, um sie dort festzuhalten.»
Bei einer Schiesserei an einer Kontrollstelle im Westjordanland wurden nach Angaben der israelischen Streitkräfte vier Menschen getötet. Israelische Soldaten und Polizisten hätten drei mutmassliche Terroristen der islamistischen Hamas aus Hebron an dem Checkpoint nahe Jerusalem erschossen, teilte das Militär mit. Die Angreifer hätten einen Angriff auf die israelischen Truppen geplant. Bei der Schiesserei kam auch ein israelischer Soldat ums Leben.
Israelische Soldaten legten eigenen Angaben zufolge einen Tunnel der Hamas auf dem Gelände des Schifa-Krankenhauses frei. Ausserdem sei auf dem Gelände ein mit Sprengfallen versehenes Fahrzeug mit einer grossen Menge an Waffen, Munition und Handschellen entdeckt worden, teilte das Militär mit. Es sei für das Massaker der Hamas am 7. Oktober in Israel und die Geiselnahmen vorbereitet worden, vermutet die Armee. Auch im Rantisi-Krankenhaus sei ein Tunnel entdeckt worden. Zudem seien im Al-Kuds-Krankenhaus Waffen und Munition aufgespürt worden.
Israels Regierungschef sieht einem US-Medienbericht zufolge «starke Hinweise» darauf, dass Geiseln von der Hamas im grössten Krankenhaus des Gazastreifens festgehalten wurden. Das sei einer der Gründe für den Einmarsch israelischer Soldaten in die Schifa-Klinik gewesen, sagte Netanjahu dem Fernsehsender CBS. Zwischen Israel und der Hamas laufen derzeit Verhandlungen über die in den Gazastreifen verschleppten Geiseln. Im Gespräch sei die Freilassung von mindestens 50 Frauen und Kindern und eine drei bis fünf Tage lange Feuerpause, sagte eine mit den Verhandlungen vertraute Person der Deutschen Presse-Agentur.
Israels Armee hat nach Angaben von Verteidigungsminister Joav Galant die Kontrolle über den westlichen Teil der Stadt Gaza im nördlichen Gazastreifen erlangt. «Die nächste Phase hat begonnen», sagte Galant. Wie diese Phase konkret aussehen soll, liess er offen. Auch meldete die israelische Armee, sie habe die «operative Kontrolle» über den Hafen der Stadt übernommen, der vorher von der Hamas kontrolliert worden sei. Örtliche Quellen bestätigten der dpa die Übernahme. Israels Armee forderte erneut Zivilisten in mehreren Vierteln der umkämpften Stadt Gaza zur Flucht auf. Hunderttausende sind bereits vom Norden in den Süden des Küstenstreifens geflohen. Allerdings gab es auch dort mehrfach israelische Luftangriffe.
Nach seinen Verbalattacken auf Israel und seiner Verteidigung der von der EU als Terrororganisation eingestuften Hamas wird der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan zu einem Besuch in Deutschland erwartet. Am Freitag will er sich mit Bundeskanzler Olaf Scholz im Kanzleramt treffen. Erdogan hatte die Hamas zuletzt als «Befreiungsorganisation» verteidigt und Israel als «Terrorstaat» verurteilt.
Zudem wollte der EU-Aussenbeauftragter Josep Borrell zu Gesprächen nach Ramallah reisen. Geplant waren unter anderem Gespräche mit Vertretern der Zivilgesellschaft sowie ein Treffen mit Palästinenserpräsident Mahmud Abbas. (sda/dpa)