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Italien: Regierung schafft Anreize zum Kinderkriegen

epa10524498 Italian Prime Minister, Giorgia Meloni, during a Question Time at the Chamber of Deputies, Rome, Italy, 15 March 2023. EPA/Riccardo Antimiani
Regierungschefin Giorgia Meloni will Bevölkerungsproblem mit Geld lösen.Bild: keystone

Weniger Migranten, mehr «bambini»: Italien schafft Anreize zum Kinderkriegen

Italiens Bevölkerung schrumpft, wäre da nicht die Migration. Aus Sorge, die einheimische Kultur könnte ins Hintertreffen geraten, ringt die Rechtsregierung von Giorgia Meloni nun um Anreize für Familien.
22.04.2023, 16:2122.04.2023, 16:23
Dominik Straub, Rom / ch media
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In Italien sind die Geburtenzahlen in einem freien Fall. Die jüngste Statistik weist einen neuen Negativrekord auf: Im vergangenen Jahr haben die Italienerinnen erstmals seit der italienischen Einigung im Jahr 1861 weniger als 400'000 «bambini» (Kinder) zur Welt gebracht.

Um genau zu sein: 2022 wurden in Italien 392'000 Kinder geboren, bei rund 800'000 Todesfällen. Im Jahr 2008 waren noch 580'000 Kinder zur Welt gekommen. Wenn es so weitergeht, werden bis zum Jahr 2100 von den heute 59 Millionen Italienerinnen und Italienern nur noch 50 Millionen übrig sein, hat das europäische Statistikamt Eurostat errechnet.

Italiens Bevölkerung schrumpft und vergreist, und das wird in naher Zukunft verheerende Folgen für den Arbeitsmarkt und auch für die Sicherheit der Renten haben. Hinzu kommt, dass jedes Jahr auch noch rund 150'000 Italienerinnen und Italiener ins Ausland emigrieren, weil sie in ihrem Land keine Zukunft für sich sehen. Ein grosser Teil der Auswanderer sind jung und gut ausgebildet.

Der demografische Winter, der zum Permafrost geworden ist, hat in Rom in den letzten Wochen zu leidenschaftlichen politischen Diskussionen geführt – nicht zuletzt auch deshalb, weil Italien gleichzeitig mit einer Verdreifachung der Zahl von Flüchtlingen und Migranten konfrontiert ist, die an den Küsten des Landes ankommen.

Nachwuchsanreize übers Portemonnaie

Tatsächlich könnte zumindest ein Teil des Bevölkerungsschwunds und der damit verbundenen Probleme mit der Immigration gelöst werden. So steht es auch im Finanzplan, den die Regierung in dieser Woche vorgestellt hat: «Ein Anstieg der ausländischen Bevölkerung um 33 Prozent wäre geeignet, das Staatsdefizit mittelfristig um einen Drittel zu senken», steht dort schwarz auf weiss, unterschrieben von Finanzminister Giancarlo Giorgetti von der rechtsradikalen Lega und von Ministerpräsidentin Giorgia Meloni, Chefin der postfaschistischen Fratelli d'Italia.

Nur: Die Rechtsregierung, die sich den Kampf gegen die illegale Immigration auf die Fahne geschrieben hat, will von diesem Rezept aus ideologischen Gründen nichts wissen.

Regierungschefin Meloni zelebriert auch mal das Familienglück mit ihrem Ehemann Andrea Giambruno und der Tochter Ginevra.

Stattdessen sollen die Italienerinnen und Italiener wieder vermehrt zum Kinderkriegen animiert werden, über steuerliche Anreize. Giorgetti preschte dieser Tage mit dem Vorschlag vor, wonach Familien mit mindestens zwei Kindern keine Einkommenssteuern mehr bezahlen sollen. Und wer bisher keine oder fast keine Steuern bezahlt – das sind in Italien immerhin 50 Prozent der Steuerpflichtigen –, soll einen kräftigen «Bonus» erhalten. Möglich wäre auch, ergänzte sein Parteifreund und Staatssekretär im Wirtschaftsministerium, Massimo Bitonci, einen Steuerabzug von 10'000 Euro pro Kind bis zum Abschluss der Universitätsstudien einzuführen. Heute beträgt dieser Abzug 950 Euro pro Kind und Jahr.

Während der einheimische Nachwuchs gefördert werden soll, will die Regierung den illegal eingereisten Migranten das Leben erschweren: Am Mittwoch hat das Parlament beschlossen, den Aufenthaltstitel der «humanitären Aufnahme» nur noch in absoluten Ausnahmefällen zu vergeben.

Das wird zwar keinen einzigen Migranten davon abhalten, sich in ein Flüchtlingsboot nach Italien zu setzen, und es wird auch die Probleme bei der Abschiebung der abgewiesenen Asylbewerber nicht lösen: Das einzige Resultat wird darin bestehen, dass rund 10'000 Migrantinnen und Migranten, die sich dank der humanitären Aufnahme bisher legal in Italien aufgehalten haben und arbeiten konnten, demnächst zu «Illegalen» ohne gültige Aufenthaltspapiere werden. Aber die Regierung hofft, die Massnahme könnte abschreckende Wirkung entfalten.

In die Debatte mischen sich rassistische Untertöne

Statt mehr Migranten, mehr «bambini» lautet das Motto der Rechtsregierung. Dabei fehlt es auch nicht an nationalistischen und rassistischen Tönen. «Wir dürfen uns nicht mit der ethnischen Ersetzung abfinden», erklärte Landwirtschaftsminister Francesco Lollobrigida, ein Verwandter der gleichnamigen, kürzlich verstorbenen Filmdiva und Schwager von Regierungschefin Meloni.

Die Bemühung des von ultrarechten Verschwörungstheoretikern oft verwendeten Kampfbegriffs der «ethnischen Ersetzung» hat bei der Opposition Empörung ausgelöst. Lollobrigida befindet sich damit freilich in prominenter Gesellschaft: Auch seine Schwägerin Meloni und Lega-Chef Matteo Salvini haben den Ausdruck vor dem Wahlsieg im Herbst 2022 unzählige Male benutzt.

(aargauerzeitung.ch)

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27 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Bächli
22.04.2023 21:58registriert März 2020
Italien hat eine sehr hohe Jugendarbeitslosigkeit, viele Junge leben bis 40 bei Mamma. Zudem fehlen der Wirtschaft rund 1 Mio. Arbeitskräfte. Das gibt zu denken. Hat bestimmt auch Auswirkungen auf die Geburtenrate.
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Fight4urRight2beHighasaKite
22.04.2023 16:38registriert Oktober 2022
Fast weltweit sieht man Bevölkerungswachstum als einzige Option. Die einen lösen es mit Bambini, die anderen mit Migration. Wenn wir keine Wege finden wie wir auch ohne Wachstum bestehen, können wir alle Bemühungen im Bereich Umwelt/Klimaschutz kippen.

Bei 500 Millionen Menschen auf dem Planeten wäre der individuelle Verbrauch irrelevant. Das Hauptproblem ist also nicht wie wir leben, sondern wie viele wir sind. Anstatt das Individuum immer weiter einzuschränken, sollten wir den Vermehrungswahn unterbinden bis wir auf einem umweltverträglichen Mass sind.
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sowhat
22.04.2023 22:24registriert Dezember 2014
Wenn die jungen keine Arbeit finden, bringt es auch nichts, mehr Bamboni zu machen.
Kinder auf die Welt stellen, sie gut ausbilden, damit sie nach der Ausbildung auswandern... 🤦
Europa wird es danken
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