Es beginnt harmlos: Die Filme und die Serie rund um Flipper, den Delfin, die zwischen 1964 und 1967 erschienen waren, begeisterten die Massen. Daran beteiligt war auch Richard O'Barry, der während der ersten TV-Staffel die fünf Flipper-Darsteller dressierte, welche die Herzen der Zuschauenden eroberten. Den Delfin-Hype, den die Serie auslösen würde, konnte er damals nicht erahnen. Innert kürzester Zeit wurden in den USA Delfinarien gebaut und Delfin-Shows veranstaltet, um den Drang der Menschen, «Flipper» auch in echt zu sehen, zu stillen.
Doch woher diese Delfine denn eigentlich kommen, ist vielen Besuchenden nicht bewusst.
Vom Delfin-Hype in den 70er-Jahren profitierte unter anderem das bis dahin unscheinbare japanische Fischerdorf Taiji in der Präfektur Wakayama. War das Dorf schon seit jeher in Wal- und Delfin-Fang involviert, um deren Fleisch zu verkaufen, eröffnete sich ihm plötzlich ein neues Geschäft: der Verkauf von lebenden Delfinen an Delfinarien.
Ein äusserst lukratives Geschäft: Während das Fleisch eines Delfins laut Expertinnen und Experten nur etwa 500 Dollar einbringt, können japanische Fischereien für einen lebenden Grossen Tümmler zwischen 8000 und 10'000 Dollar einkassieren. Wird er noch ausgebildet, können sie sogar über 40'000 Dollar verlangen, schreibt die Washington Post.
Und so machen sich die Jäger jedes Jahr ab dem 1. September während sechs Monaten auf die Delfin-Jagd. Während dieser Zeit dürfen laut Anordnung der japanischen Regierung 1849 Delfine von 9 verschiedenen Spezies gefangen oder getötet werden.
Die Treibjagd wird von erfahrenen Fischern durchgeführt. Sobald sie eine Delfin-Herde sichten, gehen sie mit ihren Booten in Position und umzingeln sie. Dann lassen sie an strategischen Punkten Stahlrohre ins Wasser, auf die sie mit Stöcken einschlagen, um das Sonar der Delfine zu stören. Mit ihrem Sonar senden Delfine Ultraschallsignale aus, fangen deren Echo wieder auf und können sich so in ihrer Umgebung orientieren. Durch den Lärm der Stahlrohre ist ihnen das nicht mehr möglich, was den Fischern erlaubt, sie in Richtung einer Bucht zu treiben.
Dort werden sie mittels Netzen rund um die Bucht an der Flucht gehindert. Über Nacht werden sie dann in Ruhe gelassen, bevor die Fischer am nächsten Tag einen Delfin nach dem anderen einfangen. Werden einige Delfine für den Verkauf an Delfinarien am Leben gelassen, wird der Rest geschlachtet oder teilweise wieder freigelassen.
Wurde den Delfinen früher noch die Kehle durchgeschnitten, müssen sie heute auf Anordnung der japanischen Regierung mit einem dünnen Metallstab getötet werden. Dieser wird den Delfinen hinter ihrem Blasloch in den Rücken gerammt, wo er das Rückenmark durchtrennen und innert Sekunden zum Tod führen soll. Toshihide Iwasaki von Far Seas Fisheries und Yoshifumi Kai von der Taiji Fisheries Cooperative berichteten 2010 über diese neue Methode, welche angeblich humaner als frühere Methoden sei. Tests hätten gezeigt, dass die Tiere auf diese Weise schneller sterben würden, weshalb die Methode 2008 offiziell eingeführt worden sei.
Konkret dauere es bei Risso-Delfinen im Schnitt 13,7 Sekunden, beim Fleckendelfin 9 Sekunden und beim Grindwal 25 Sekunden, bis der Tod eintrete. Eine Analyse von Jagdvideos unter der Leitung des Tiermediziners Andrew Butterworth ergab allerdings, dass in einem Fall ein Streifendelfin bei einer solchen Tötung auch nach 254 Sekunden (4 Minuten und 14 Sekunden) noch lebte.
Eigentlich sollte die Durchtrennung des Rückenmarks auch zur Zerstörung der sensorischen Bahnen – die unter anderem den Schmerz weiterleiten – führen. Dass dies tatsächlich geschieht, zweifelt das Team von Butterworth in einem Bericht, der im April 2013 im «Journal of Applied Animal Welfare Science» erschien, an. Die akademische Zeitschrift wird von Fachleuten geprüft.
So habe das Videomaterial darauf hingedeutet, dass der Stab wiederholt in das Gewebe nahe der Schädeldecke habe eingeführt werden müssen. Daraufhin hätten die Delfine zeitweise starke Bewegungen ausgeführt, was ein deutlicher Hinweis darauf sei, dass die Methode nicht zu einer sofortigen Unempfindlichkeit führe. Zudem hätten die Videos nahegelegt, dass es bei den Tieren nicht zu einer effektiven und sicheren Trennung des Rückenmarks gekommen sei.
Butterworth und Co. kommen deshalb zum Schluss:
Zum ersten Mal für Aufsehen gesorgt hatte ein Video aus dem Jahr 1978, das die Delfin-Jagd auf der Insel Iki zeigte. Ab diesem Zeitpunkt kam es immer wieder zu Interventionen von Aktivistinnen und Aktivisten. Auch diverse Organisationen versuchten über die Jahre hinweg immer wieder ein Verbot der Delfin-Jagd zu erwirken, allerdings ohne grösseren Erfolg.
2009 erhielt der Kampf gegen die Delfin-Jagd plötzlich neuen Aufwind. Grund dafür war der in diesem Jahr erschienene Dokumentarfilm «Die Bucht» («The Cove»), der die Delfin-Jagd in Taiji in all ihrer Brutalität zeigte. Am Film, der 2010 einen Oscar für den besten Dokumentarfilm erhielt, war auch Richard O'Barry, der ehemalige «Flipper»-Trainer, massgeblich beteiligt.
Der Druck auf die Delfin-Jäger begann zu steigen. 2015 beschloss der Weltverband der Zoos und Aquarien (WAZA), eine globale Branchenorganisation, seinen Mitgliedern den Kauf von Delfinen aus der Jagd in Taiji zu verbieten. Mit mässigem Erfolg: Diejenigen Delfinarien, die weither Delfine aus Taiji beziehen wollten, traten einfach aus dem Verband aus. In China – dem Hauptkäufer von lebenden Delfinen – gehört nur einer von über 85 Meeresparks zum WAZA. Die Delfin-Jagd geht also ungehindert weiter.
In Japan klagen die Menschen derweil über die anhaltenden Proteste, die immer wieder stattfinden. Yoshifumi Kai, ein leitender Angestellter der Taiji Fisheries Association, sagte 2019 gegenüber der Washington Post:
Tatsächlich deutet der Fund von Delfin-Knochen in Teilen Japans darauf hin, dass das Jagen von Delfinen bereits vor etwa 10'000 Jahren begonnen haben dürfte. Erste Hinweise auf die systematische Jagd von Delfinen fand man schliesslich aus dem Jahr 1377.
Ab dem 16. Jahrhundert häufen sich die Dokumente zum Delfin-Fang in Japan. So wird etwa in einem Kochbuch aus dem Jahr 1673 die Zubereitung von Delfin-Fleisch erklärt und in Aufzeichnungen aus dem Jahr 1675 vom Delfin-Fang mit Netzen berichtet. Um diese Zeit begann der Delfin-Fang auch in Taiji Fuss zu fassen.
Diese Praxis in der heutigen Zeit weiterzuführen, wird allerdings immer schwieriger. Im Juni 2015 beklagte sich der Ausschuss für Landwirtschaft, Forstwirtschaft und Fischerei der Präfektur Wakayama bei einer Versammlung:
Auch bei der Bevölkerung stösst der Protest gegen die Delfin-Jagd nicht überall auf Verständnis. Ein Besucher des Wal- und Delfinmuseums in Taiji sagte 2019 zur Washington Post:
Dass es nicht dasselbe ist, betont Veterinärmedizinerin Diana Reiss der City University in New York gegenüber der populärwissenschaftlichen Fachzeitschrift New Scientist. Angesichts der wissenschaftlichen Erkenntnisse über Delfine, welche ihre hochentwickelten kognitiven Fähigkeiten – inklusive Selbst- und Sozialbewusstsein – belegen, sei ihre Tötung nicht zu rechtfertigen.
Auch Kris Thompson von der Organisation International Dolphin Watch sieht in der Delfin-Jagd keine Ähnlichkeiten zur Haltung von domestizierten Tieren:
Ja genau, „Tradition“ mit Motorbooten und dann doch in abgeänderter Form, denn wenn kein blutrotes Wasser leiden die Tiere weniger (als ob), wohl eher weniger Protest weil es nicht so brutal aussieht, wenn das Wasser nicht blutrot ist.
Sorry und wer schaut, ob die das Rückenmark auch wirklich treffen in dem Gewimmel im Wasser?