Seit dem russischen Überfall am 24. Februar 2022 harrt der 49-jährige Schriftsteller und Musiker Serhij Zhadan im umkämpften Charkiw aus, hilft verwaisten und traumatisierten Kindern, sammelt Geld für die Soldaten, tritt mit seiner Rockband Zhadan und die Hunde vor Truppenverbänden auf, um ihnen Mut zu machen.
Und noch vor kurzem, nach der EM-Qualifikation der Ukraine, posierte er mit dem einstigen Fussballgott Andrij Schewtschenko. Auch in Westeuropa und in den USA ist er ein gern gesehener Promi, der betont, wie wichtig es ist, dass die Ukraine überlebt und dass sie auch das Recht hat, sich gegen die barbarischen russischen Besetzer zu wehren.
Doch jetzt genügen ihm Worte und die Mittel der Kunst nicht mehr. Er geht an die Front, um mit der Waffe gegen Putins Soldateska zu kämpfen. Zhadan schliesst sich dem Chartia-Bataillon an, das sich nach der russischen Invasion aus Freiwilligen gebildet hat und inzwischen Teil der ukrainischen Nationalgarde ist. Der Schlachtruf der Chartia-Kämpfer lautet: «Nur das Schwert, nicht das Wort verschafft der Nation ihre Rechte.»
Ausgerechnet dem grossen Dichter Serhij Zhadan reichen Worte nicht mehr, und er mag seinen Griff zur Waffe gegenüber westlichen Medien auch nicht weiter begründen. Aus diversen Stellungnahmen in den letzten Monaten wird aber klar, wie enttäuscht der Autor ist.
Enttäuscht auch über uns: So hat er alle Auftritte im Westen abgesagt. Es ist ihm verleidet, uns zu erklären, wie zentral es sei, dass die Ukraine den Krieg gewinnt. Zu oft hat er in den letzten gut zwei Jahren wiederholt: «Freunde, vergesst nicht: Dies ist ein Vernichtungskrieg.» Zu oft verhallten seine Worte ungehört.
Deutschland verlieh ihm zwar den prestigeträchtigen Friedenspreis des deutschen Buchhandels, aber bei der Lieferung von wirksamen Waffen wie zuletzt bei den Marschflugkörpern Taurus bremst die Regierung Scholz. Und auch anderswo stockt die Unterstützung für die Ukraine. Mit leeren Friedensphrasen, Solidaritätsbekundungen und pazifistischen Appellen ist Putins Imperialismus aber nicht zu stoppen.
Die Symbolik hinter Serhij Zhadans dramatischem Schritt vom Künstler zum Kämpfer lässt sich nicht verkennen (und vor ihm sind schon andere Autoren und Intellektuelle in den Kampf gezogen - einer, Maxim Kriwzow, ist am 7. Januar 2024 gefallen). Die Ukrainer fühlen sich im Stich gelassen und unverstanden, so sehr ihr Widerstand den Europäern insgesamt zugutekommt. Das Land bleibt mehr und mehr sich selbst überlassen, und deshalb kommt es auf jeden Soldaten an. Die Folge ist eine gefährliche innenpolitische Verhärtung des Klimas.
Auch ein so reflektierter Wortmensch wie Zhadan verbreitet nun die Parole, es gebe keinen Unterschied mehr zwischen Künstlern und Nichtkünstlern. Es gebe nur noch Ukrainer, die Verantwortung für ihr Land übernähmen, und solche, die der Verantwortung ausweichen. Wer aber Verantwortung übernimmt, drückt sich nicht vor dem Fronteinsatz. Die ins Ausland geflüchteten Kriegsdienstverweigerer dürften in ihrer alten Heimat immer mehr zu Parias werden.
Wenn selbst die weltoffenen Nachdenker in der Ukraine sich vom übrigen Europa zurückziehen, sollte uns das eine Warnung sein. Wenn sie uns aufgeben und nicht mehr als Brückenbauer wirken, werden wir bald nicht mehr nur für Putins Russen ein Feindbild sein, sondern auch für die Ukrainer. Für den Zusammenhalt und die Sicherheit in Europa wäre das eine beunruhigende Entwicklung.
(aargauerzeitung.ch)