Die wichtigste Erkenntnis aus der Europawahl 2019 lautet: Es gibt keinen klaren Trend. Die grossen Parteifamilien im EU-Parlament können sich je nach Land als Gewinner oder Verlierer fühlen. Das gilt selbst für die Liberalen und die Grünen, die insgesamt klar zulegen können. So haben die Grünen ausgerechnet in Schweden, der Heimat von Greta Thunberg, deutlich verloren.
War die Europawahl also einmal mehr durch nationale Themen dominiert? Das liegt in der Natur der Sache. Die Bürgerinnen und Bürger der EU definieren sich nach wie vor mehr als Angehörige ihrer Nation denn als Europäer. Und doch war es eine «europäische» Wahl, denn noch nie seit der ersten Durchführung 1979 wurde so intensiv über die Zukunft der europäischen Idee debattiert.
Das schlägt sich in der Wahlbeteiligung nieder, die erstmals seit 40 Jahren angestiegen ist. Vermutlich handelt es sich teilweise um eine Mobilisierung gegen den befürchteten Durchmarsch der Rechtspopulisten. Dafür spricht etwa die Tatsache, dass Parteien wie AfD, FPÖ oder Schwedendemokraten schlechter abgeschnitten haben als bei den letzten nationalen Wahlen.
Die rechten Galionsfiguren Marine Le Pen und Matteo Salvini können jubeln, doch Geert Wilders in Holland und die Dänische Volkspartei sind regelrecht abgestürzt. Unter dem Strich ist die Bilanz der Rechten durchzogen. Der befürchtete grosse Rechtsruck hat nicht stattgefunden.
Einfacher wird die Arbeit im EU-Parlament damit nicht, denn erstmals verfügt die «grosse Koalition» aus Konservativen und Sozialdemokraten, die in Brüssel und Strassburg bislang eine Art Machtkartell bildeten, nicht mehr über die absolute Mehrheit. Sie müssen vermehrt mit den Liberalen und Grünen zusammenarbeiten. Das kann Europa nur nützen.
Allerdings wird das letzte Wort weiterhin im Europäischen Rat gesprochen, der Versammlung der Staats- und Regierungschefs. Und dort dürfte es ebenfalls schwieriger werden, denn der «Einigungsmotor» Deutschland und Frankreich stottert. Der französische Präsident Emmanuel Macron ist angeschlagen, und die GroKo in Berlin wackelt mehr denn je. Um die Zukunft der SPD muss man sich sogar ernste Sorgen machen.
Das wird sich auf die Besetzung der EU-Topjobs auswirken. Manfred Weber, der Spitzenkandidat der konservativen EVP, hat kaum noch Chancen auf das Amt des Kommissionspräsidenten. Seine CSU hat das schlechteste Ergebnis bei einer Europawahl erzielt. Für den Sozialdemokraten Frans Timmermans sieht es besser aus. Er hofft auf eine Koalition mit der liberalen ALDE und den Grünen.
Es ist zu befürchten, dass es erneut zu einem der berüchtigten Geschacher im Hinterzimmer kommt. Das wäre schade, denn insgesamt wurde die europäische Einigung bei dieser Wahl gestärkt. In den meisten Ländern haben die Proeuropäer eine klare Mehrheit, trotz Le Pen und Salvini, dem erneuten Erfolg der PiS in Polen und Viktor Orban, der «unantastbar» wirkt.
Die EU hat nochmals eine Chance erhalten. Sie muss sie nur nutzen. Für die Schweiz ist das eher eine schlechte Nachricht im Ringen um das institutionelle Abkommen. Derzeit dominieren Forderungen nach Nach- oder gar Neuverhandlungen. Auch SVP-Wirtschaftsminister Guy Parmelin hat im «Sonntagsblick» die Rückkehr an den Verhandlungstisch verlangt.
Das könnte ins Auge gehen. Der scheidende EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hat das Dossier Schweiz zur Chefsache gemacht. Unter seiner Nachfolgerin oder seinem Nachfolger wird dies kaum mehr der Fall sein. Die Schweiz dürfte in der Brüsseler Prioritätenliste nach hinten rutschen. Und mit ihren Sonderwünschen künftig auf deutlich weniger Verständnis stossen.
Fragt sich nur, ob diese Botschaft bei uns vernommen wird. Wir haben das Talent, internationale Entwicklungen völlig falsch einzuschätzen, bis wir in den Hammer laufen. Das Bankgeheimnis lässt grüssen.
2. Wenn man das Wahlergebniss der U40 anschaut, haben die "alten" Parteien ein riesiges Problem.
Es wird interessant zu beobachten ob sie zu Veränderungen bereit sind, oder sich einfach noch einige Jahre an Posten und Macht klammern, bis ihr Stammwähler gestorben sind...