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Serbien: Gefährliche Eskalation im Konflikt mit Kosovo

epa10883370 An armed Kosovo police officer secures the area near the village of Banjska, Kosovo, 26 September 2023. A Kosovo Albanian police officer on 24 September was killed by Serb gunmen, who late ...
Ein kosovarischer Polizist sichert die Gegend um Banjska im Norden des Kosovo. Bild: keystone

Der Konflikt zwischen Kosovo und Serbien spitzt sich zu – die Hintergründe in 6 Punkten

02.10.2023, 16:3202.10.2023, 18:32
Camilla Kohrs / t-online
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t-online

Der Konflikt zwischen Serbien und dem Kosovo spitzt sich zu. Die kosovarische Regierung wirft Serbien vor, Militär und Polizei an die Grenze zwischen beiden Staaten verlegt zu haben. Das Vorrücken diene «einer möglichen militärischen Aggression gegen die Republik Kosovo». Erst vor einer Woche hatten zudem schwer bewaffnete Serben im Norden des Kosovos kosovarische Polizisten angegriffen – es gab Todesopfer. Als einen «terroristischen Anschlag» bezeichnete die EU den Vorfall.

Aussenministerin Annalena Baerbock warnte nun vor einer weiteren Eskalation. «Ich appelliere auch an dieser Stelle an Serbien, seine Truppen an der Grenze zu reduzieren», sagte sie am Sonntag auf dem kleinen Parteitag der deutschen Grünen.

Warum eskaliert die Lage in der Region gerade jetzt? Und was plant die EU, um dem entgegenzuwirken? Ein Überblick:

Worum geht es im Konflikt zwischen dem Kosovo und Serbien?

Nach dem Zerfall des Vielvölkerstaates Jugoslawien gab es auf dem Balkan in den 90er Jahren eine Reihe von Kriegen. Unter dem nationalistischen Präsidenten Slobodan Milošević versuchte Serbien, sich mehrheitlich serbisch besiedelte Gebiete in anderen Teilrepubliken einzuverleiben. Vor allem in Bosnien und Kroatien, aber auch im Kosovo kam es in der Folge zu ethnisch motivierten Vertreibungen, umfangreichen «ethnischen Säuberungen» und Kriegsverbrechen.

Um Massaker in der vor allem von Albanern bewohnten serbischen Provinz Kosovo zu beenden, beschloss die Nato 1999 Luftangriffe, an denen sich auch Deutschland beteiligte. Es war der erste Kampfeinsatz deutscher Soldaten nach 1945. Mit der Nato-Intervention löste sich der Kosovo aus dem serbischen Staatsverband heraus und erklärte sich 2008 schliesslich für unabhängig. In der Zwischenzeit war das Land von der UN-Mission Unmik verwaltet worden. 117 Staaten erkennen Kosovo heute als unabhängig an, darunter auch Deutschland. Andere EU-Staaten, wie etwa Spanien, erkennen die Unabhängigkeit nicht an.

Konflikt Serbien Kosovo
Bild: Screenshot t-online

Serbien verweigert dem Kosovo die Anerkennung und betrachtet das Land als abtrünniges, südserbisches Gebiet. Im Ausland wirbt Serbien gar offensiv dafür, dass andere Staaten dem Kosovo die Anerkennung entziehen.

Die EU verlangt von Serbien, das Land anzuerkennen, um Mitglied in der Staatengemeinschaft werden zu können. Die Nato stellt zudem im Rahmen der KFOR-Mission Soldaten, darunter auch von der Bundeswehr, die im Kosovo Unterstützung dabei leisten, die öffentliche Ordnung zu sichern.

Der Kosovo ist mehrheitlich von Albanern bewohnt, vor allem im Norden leben Serben. Viele von ihnen erkennen die staatlichen Einrichtungen des Kosovo nicht an.

Wie hat sich die Lage in den vergangenen Monaten entwickelt?

Der Konflikt zwischen den beiden Staaten ist schon länger angespannter als ohnehin schon. Bereits Ende 2022 hatte es Massenproteste im Norden des Kosovo gegeben. Serben blockierten mit Lastwagen Strassen zur Grenze nach Serbien. Pläne der Regierung, am 18. Dezember Kommunalwahlen in den mehrheitlich serbischen Gebieten durchzuführen, mussten auf Eis gelegt werden.

Im Mai eskalierte die Situation ein weiteres Mal: In der serbisch geprägten Stadt Zvečan und zwei umliegenden Gemeinden zogen damals albanisch-stämmige Kosovaren in die Rathäuser ein – die serbische Bevölkerung hatte die Abstimmungen boykottiert. Als der neue Bürgermeister von Zvečan dann unter Polizeischutz in die Stadt gebracht wurde, eskalierte die Lage.

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Nato-Soldaten der KFOR-Schutztruppe und serbische Kosovaren: Internationale Sicherheitskräfte erlitten Knochenbrüche und Verbrennungen.Bild: keystone

Es kam zu Strassenschlachten zwischen serbischstämmigen Kosovaren und den Nato-Soldaten der KFOR-Schutztruppe. 30 Soldaten und etwa 50 Serben wurden dabei verletzt.

Experten zufolge handelte es sich bei den serbischen Demonstranten grösstenteils nicht um einfache Menschen aus der Zivilbevölkerung, sondern um Aktivisten. «Es ist bekannt, dass Vučićs Regierung [Anm. d. Red.: die serbische Regierung] Parallelstrukturen in den serbisch geprägten Gebieten des Kosovos unterhält», sagte der wissenschaftliche Direktor des Forschungsbereichs Balkanforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Oliver Jens Schmitt, damals.

Was ist über den Anschlag auf kosovarische Polizisten bekannt?

Am Sonntag vor einer Woche hatte nach kosovarischen Angaben ein 30-köpfiger, schwer bewaffneter serbischer Kommandotrupp in der Ortschaft Banjska bei Mitrovica kosovarische Polizisten in einen Hinterhalt gelockt und einen Polizisten getötet. Die Kämpfer verbarrikadierten sich anschliessend in einem orthodoxen Kloster und lieferten sich Schusswechsel mit der Polizei. Drei der Angreifer kamen dabei ums Leben.

Am vergangenen Freitag, fünf Tage danach, bekannte sich der kosovo-serbische Spitzenpolitiker und Geschäftsmann Milan Radoičić zu dem Angriff. Er behauptete, die Aktion auf eigene Faust ausgeführt und keine offiziellen Stellen in Serbien darüber informiert zu haben. Kosovos Ministerpräsident Albin Kurti hält einen Alleingang Radoičićs für ausgeschlossen. So seien etwa die Waffen, die in dem Kloster gefunden wurden, teils nur von Regierungsbehörden zu bekommen, sagte er.

Zudem soll die Gruppe um Radoičić zuvor auf serbischem Boden trainiert haben. Kurti veröffentlichte auf der Plattform «X» (ehemals Twitter) Satellitenaufnahmen, die das beweisen sollen:

Kosovos Innenminister Xhelal Sveçla sagte nach Angaben der kosovarischen Zeitung «Koha Ditore», dass die Drohnenaufnahmen die serbischen Aggressoren selbst gemacht hätten und die kosovarische Polizei diese zusammen mit Waffen sichergestellt habe. Die Übungen sollen seinen Angaben zufolge an der grenznahen serbischen Militärbasis Kopaonik sowie in Pasuljanske Livade, einem der grössten Truppenübungsplätze Serbiens, stattgefunden haben. Weitere Übungen sollen auf einem Grundstück von Radoičić durchgeführt worden sein.

Wie ist die Lage derzeit?

Am Samstag hatte die kosovarische Führung in Pristina Alarm geschlagen: Serbien sei mit Militär in Richtung des Kosovo vorgerückt – und zwar «aus drei verschiedenen Richtungen», hiess es in einer Presseerklärung. Serbien habe am Freitag Militär und Polizei in 48 vorgeschobene Operationsbasen entlang der Grenze zum Kosovo geschickt, im serbischen Hoheitsgebiet, einige Kilometer von der Grenze entfernt.

Dabei habe Serbien Flugabwehrsysteme und schwere Artillerie in Stellung gebracht. Das Vorrücken diene «einer möglichen militärischen Aggression gegen die Republik Kosovo», hiess es weiter.

Serbiens Präsident Aleksander Vučić dementierte im Gespräch mit der «Financial Times» jede Absicht, einen Militärschlag gegen den Kosovo führen zu wollen. Er werde vielmehr den Befehl zum Rückzug serbischer Truppen geben, da eine Eskalation bei Belgrads EU-Aspirationen «kontraproduktiv» wäre. Serbien werde nicht seine eigenen jahrelangen Bemühungen zerstören. «Serbien will keinen Krieg», sagte er dem Blatt. Vorwürfe des Westens seien «eine Kampagne von Lügen», fügte Vučić in einer Videoansprache bei Instagram hinzu.

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Aleksandar Vučić: «Serbien will keinen Krieg.»Bild: keystone

Wie reagiert der Westen?

Die USA haben Serbien ungewöhnlich deutlich zur Deeskalation aufgefordert. Der Kommunikationsdirektor des Nationalen Sicherheitsrats, John Kirby, sprach von einem «beispiellosen» Aufgebot von Artillerie und Panzern. «Wir fordern Serbien auf, diese Truppen an der Grenze abzuziehen», sagte Kirby in Washington.

Ausserdem soll das Kontingent an Nato-Soldaten im Kosovo aufgestockt werden. Das britische Verteidigungsministerium teilte am Sonntag mit, dass 200 zusätzliche Soldaten das bislang 400 Mann starke britische Kontingent als Teil einer jährlichen Übung im Kosovo verstärken. Damit komme man einer Anfrage der Nato nach.

Ein Nato-Sprecher nannte als Grund den Angriff auf die kosovarische Polizei vom 24. September und «die zunehmenden Spannungen in der Region». Er forderte sowohl Belgrad als auch Pristina zum Dialog auf. Nur so könne ein «dauerhafter Frieden» erreicht werden.

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Amerikanische Soldaten der KFOR-Friedenstruppen im Kosovo (Archivbild): Die britische Regierung stockt ihr Kontingent nun auf.Bild: keystone

Auch in Deutschland werden Rufe in der Ampelkoalition lauter, mehr deutsche Truppen im Kosovo zu stationieren. Dafür sprachen sich Politiker von FDP, SPD und Grünen aus. «Deutschland sollte in Absprache mit den Verbündeten schnell prüfen, ob das KFOR-Mandat komplett ausgefüllt wird, und weitere Soldaten in den Kosovo entsenden», sagte etwa Grünen-Politiker Anton Hofreiter dem «Spiegel».

Die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Bundestag, Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), sagte dem Magazin, falls erforderlich, würden weitere deutsche Soldaten verlegt. Der SPD-Aussenpolitiker Adis Ahmetović erklärte: «Wir müssen das KFOR-Mandat mit mehr Streitkräften versehen.»

Wie steht es um die Verhandlungen?

Die EU versucht seit langem, zwischen den beiden Staaten zu verhandeln. Beide haben einen EU-Beitrittsantrag gestellt. Im Frühjahr schlossen die beiden Länder unter Federführung von Deutschland und Frankreich ein Abkommen zur Normalisierung der Beziehungen, welches als Lichtblick galt. Beiden Staaten werden in dem Abkommen Massnahmen auferlegt.

Von Serbien wird verlangt, dass es die Unabhängigkeit des Kosovo de facto anerkennt. Eine rechtliche Anerkennung wird nicht gefordert, Serbien müsste dafür die Verfassung ändern, die den Kosovo als Teil des Staatsgebiets sieht. Die serbische Regierung soll zudem ihre Blockadehaltung aufgeben, sodass der Kosovo in internationale Organisationen eintreten könnte. Das ist bislang nicht geschehen.

Der Kosovo soll der mehrheitlich serbisch bewohnten Region im Norden des Landes mehr Autonomie zugestehen. Das segnete das kosovarische Parlament bereits ab, jedoch spricht sich Ministerpräsident Kurti vehement dagegen aus. Er fürchtet, dass Serbien dadurch mehr Einfluss im kosovarischen Staat erlangt und diesen blockieren könnte.

Verwendete Quellen:

  • Mit Material der Nachrichtenagenturen dpa und Reuters
  • bmz.de: Länderinformationen zum Kosovo
  • swp-berlin.org: Der Normalisierungsprozess zwischen Kosovo und Serbien
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