Till hatte einfach genug. Genug vom Mobbing, genug von der Angst, genug vor dem Versteckspielen, da er niemandem erzählte, was er in der Schule durchmachen musste. «Ich wurde gemobbt, weil ich zu dick war», sagt er im Gespräch mit der Bild, die ihn nun, sieben Jahre, nachdem sich der Teenager in jener traurigen Situation befunden hatte, interviewte.
Im September 2017 besuchte Till einen Freund, den er bei Online-Computerspielen kennengelernt hatte. Er reiste mit dem Zug nordwärts nach Emsland im Bundesland Niedersachsen. Eine Art Flucht. Till wusste nicht mehr weiter, zurück nach Hause wollte er nicht mehr. Also wandte er sich an das Jugendamt vor Ort. Doch das brachte ihn wenig weiter, wie er erzählt:
Die Mitarbeitenden des Amtes hätten ihm einzig ein Rückfahrticket gekauft und ihn alleine via Zug zurück nach Bayern schicken wollen. Doch Till war es ernst mit seiner Aussage. Er kehrte nicht zurück. Stattdessen entschied er sich in Düsseldorf, wo er umsteigen musste, wegzulaufen und nicht ins Elternhaus zurückzukehren. Der Start in eine fast sieben Jahre dauernde Odyssee.
Zuerst habe er eine Woche am Bahnhof in Düsseldorf gelebt, dann in der Innenstadt. Er schlief auf der Strasse, hatte einzig einen Rucksack mit einigen wenigen Besitztümern bei sich. Er erzählt weiter:
Der Teenager arbeitete in einem Lager, zusammen mit den beiden Obdachlosen, die seine Freunde wurden. Dann verloren die drei aber ihre Stelle und zogen deswegen nach Berlin, auf der Suche nach Arbeit. «Wir wollten nicht stehlen, keine krummen Dinger drehen», so Till.
In Berlin fanden sie Jobs. Sie arbeiteten schwarz als Hilfsarbeiter und wohnten zusammen in einem Zimmer am Stadtrand.
Tills Eltern hatten keine Ahnung, wo ihr Sohn steckte. Das, obwohl die Polizei längst nach ihm suchte. Seine Mutter sagt über die Zeit:
Schlimm sei vor allem gewesen, dass Till sich über die Jahre auch nicht bei seinen Geschwistern meldete, so die Mutter.
Doch dieser wollte das nicht. Er wollte unentdeckt bleiben. Und er wusste, wie er sich unter dem Radar halten konnte. Er und seine Freunde hätten keine Handys besessen, darauf geachtet, dass sie nicht krank wurden und so ärztliche Hilfe beanspruchen müssten. Zudem habe er auch keine Versicherung gehabt.
Dennoch habe er dauernd mit der Angst gelebt, entdeckt zu werden. Besonders als er erfuhr, dass sein Fall auch bei «Aktenzeichen XY» gezeigt wurde. 5000 Euro seien für Hinweise zu seinem Verbleib ausgesetzt worden. Er sagt heute gegenüber der Bild:
Einer seiner zwei Freunde sei in der Folge verprügelt worden, weil er nicht verraten wollte, wo Till sich aufhielt. Das war im Juni 2022. In dieser Zeit keimte im mittlerweile 20-Jährigen der Gedanke, dass es vielleicht doch an der Zeit wäre, nach Hause zurückzukehren.
Definitiv dazu entschied er sich aber erst am 21. April 2024. Mit einem Handy, das er sich ausgeliehen hatte, schickte er seinem Vater eine Nachricht via Whatsapp. Am 5. Mai schliesslich stand er vor der Türe seines Elternhauses.
Trotz der bangen Ungewissheit sind seine Eltern nicht wütend auf den Heimkehrer. Seine Mutter sagt:
(con)
Der Fall zeigt, dass Mobbing unter Kindern/Jugendlichen ein echtes Problem ist. Es braucht mehr Aufklärung und dringend niederschwelligen Zugang zu Hilfe.
Mir ging es ähnlich, ich hatte dank der Schule und ihren Vertretern und Insassen massive Mühe, als Frühjugendlicher in die Gesellschaft einzusteigen, bin mehrfach abgehauen und wegen der Liebe und Fürsorge meiner Eltern jeweils wieder gekommen. Das wäre wohl anders gewesen, hätte meine Familie nicht hinter mir gestanden.