Quälende Enge, Hunger und Durst, blutige Messerstechereien - und dann der Untergang. An Bord des Fischkutters, der vergangene Woche vor Griechenland sank und Hunderte Menschen mit sich in die Tiefe riss, herrschten offenbar kaum vorstellbare Zustände.
Klar ist inzwischen, dass rund 350 Menschen aus Pakistan auf dem Unglücksboot waren. Das gab die Regierung in Islamabad am Freitag bekannt. Zum Hergang des Unglücks und zur Rolle der griechischen Küstenwache gibt es derweil neue, unbeantwortete Fragen.
Die Staatsanwaltschaft in der griechischen Hafenstadt Kalamata hat zu Wochenbeginn mit den Vernehmungen von neun Überlebenden des Bootsunglücks begonnen. Bei den Männern soll es sich um Helfer der Schleuser handeln, die die Überfahrt organisierten.
104 Männer konnten von der griechischen Küstenwache und vorbeifahrenden Handelsschiffen unmittelbar nach der Havarie lebend gerettet werden. Die tatsächliche Zahl der Opfer geht in die Hunderte. Wie viele Menschen sich an Bord des Fischkutters befanden, der von Tobruk in Libyen auf dem Weg nach Italien war, ist unklar. Die Angaben Überlebender schwanken zwischen 400 und 750. Die Migranten stammten überwiegend aus Syrien, Pakistan und den Palästinensergebieten.
Der altersschwache Fischkutter war in der Nacht zum vorvergangenen Mittwoch vor der Südwestküste der griechischen Halbinsel Peloponnes gekentert und binnen weniger Minuten gesunken. Was in den Stunden vor der Havarie geschah und wie es zu dem Untergang kam, ist aber noch immer unklar.
Sprecher der griechischen Küstenwache und Überlebende machen widersprüchliche Aussagen zum Hergang. Nach einem Bericht des Internetportals cnn.gr sprachen mindestens acht Gerettete davon, ein anderes Schiff habe versucht, den Kutter in Schlepp zu nehmen - unklar ist, ob es sich dabei um ein Handelsschiff oder ein Schiff der Küstenwache handelte. Bei dem Schleppversuch sei der Kutter gekentert.
Die griechischen Behörden geben eine andere Darstellung. Der Sprecher der Küstenwache, Nikos Alexiou, dementierte energisch, dass es einen Abschleppversuch gegeben habe. Man habe zwar am späten Dienstagabend von einem Patrouillenboot der Küstenwache ein Tau zu dem Kutter hinübergeworfen. Von dort habe es aber Rufe gegeben «No Help, go Italy». Nach fünf Minuten hätten Personen auf dem Kutter das Tau wieder gelöst und ins Meer geworfen. Das sei gegen 23.57 Uhr gewesen.
Der Sprecher der Küstenwache erklärte, es wäre viel zu gefährlich gewesen, das Schiff ohne Einwilligung und Mithilfe von dessen Besatzung in Schlepp zu nehmen oder Hunderte Menschen gegen ihren Willen aus einem überfüllten Schiff zu holen. Nach Darstellung der Küstenwache bekam der Kutter um 1.47 Uhr ohne Fremdeinwirkung plötzlich Schlagseite. Von Bord seien Schreie, Tumult und Hilferufe zu hören gewesen. Wenige Minuten später sank das Boot.
Die Passagiere sollen pro Kopf für die versprochene Überfahrt zwischen 4000 und 6500 Dollar bezahlt haben. Überlebende berichteten, sie hätten sich von Anfang an grosse Sorge gemacht. Auf dem Boot seien die Menschen regelrecht zusammengepfercht gewesen. Frauen und Kinder habe die Besatzung unter Deck in den Laderäumen eingeschlossen. Schon bei der Abfahrt in Tobruk sei der überladene Kutter in Schlangenlinien gefahren und habe sich immer wieder von einer Seite zur anderen geneigt, sagten Überlebende.
Die Schleuser hätten versprochen, man werde in zwei Tagen Italien erreichen, berichten Überlebende. Stattdessen wurde es eine Höllenfahrt. Immer wieder habe die Maschine ausgesetzt. Am fünften Tag hatte der Kutter erst die Hälfte der Strecke zurückgelegt. An Bord habe es kein Trinkwasser und keine Lebensmittel mehr gegeben, mehrere Menschen seien bereits bewusstlos gewesen, berichten Überlebende.
Am Dienstag gab es dann an Bord des Kutters offenbar heftige Auseinandersetzungen zwischen den etwa 15 Männern der Besatzung, die den Weg nach Italien fortsetzen wollten, und den Migranten, die zunehmend verzweifelt waren. Es soll zu Kämpfen gekommen sein, bei denen durch Messerstiche sechs Menschen getötet oder schwer verletzt wurden.
(aargauerzeitung.ch)