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Wo die Führung der Hamas steckt – und wer das eigentlich ist

Wo die Führung der Hamas steckt – und wer das eigentlich ist

Im Gazastreifen tobt ein Krieg zwischen Israel und der Hamas. Doch wo hocken eigentlich die Köpfe der palästinensischen Terrororganisation?
31.10.2023, 05:0031.10.2023, 12:21
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Bilder, die es derzeit aus dem Gazastreifen herausschaffen, lassen den Schrecken der palästinensischen Zivilbevölkerung vor Ort höchstens ansatzweise erahnen. Sie zeigen ein Land in Schutt und Asche.

Diese Bilder zeugen von einem jahrzehntealten Konflikt, einer Spirale von Hass und Gewalt, die am 7. Oktober 2023 eine erneute Eskalation erfuhr: In einem fürchterlichen, brutalen Angriff hatte die Terrororganisation Hamas über 1400 israelische Babys, Frauen und Männer getötet und entführt. Es war der verheerendste Angriff auf Israel seit 50 Jahren.

Seither beschiessen die israelischen Verteidigungskräfte (IDF) den Gazastreifen mit Rakete um Rakete. Das Ziel dabei: die terroristische Hamas auszulöschen.

Einige Coups sind der IDF bereits gelungen. Der Hamas-Luftwaffenchef, Kerad Abu Merad, und der Hamas-Kommandant Ali Qadhi sollen laut israelischen Angaben tot sein. Doch wer sind eigentlich die Köpfe der Hamas? Und haben die sich wirklich alle im Gazastreifen verkrochen?

Hamas und al-Qassam-Brigaden

Hamas ist ein Akronym und steht für Harakat al-Muqawama al-Islamiya. Übersetzt heisst das: Islamische Widerstandsbewegung.

Gegründet wurde die Hamas im Jahr 1987, und zwar als regionaler Ableger der Muslimbruderschaft im Gazastreifen. Seit ihrer Entstehung kämpft die Hamas gegen den Staat Israel, den sie auslöschen will. Dieses Ziel ist das wesentliche Merkmal der Hamas-Ideologie und unterscheidet die Bewegung von anderen Palästinenser-Organisationen wie der Fatah, die einen eigenen Staat im Westjordanland und dem Gazastreifen mit Ost-Jerusalem als Hauptstadt fordert. Ein Führer der Hamas, Chaled Maschal, sagte 2017:

«Wir werden keinen Zentimeter des palästinensischen Heimatbodens aufgeben. Egal, wie gross der jüngste Druck ist, und egal, wie lange die Besatzung dauert.»

Um dieses Ziel zu erreichen, unterhält die Hamas zum einen seit ihrer Gründung Schulen, die häufig von anderen arabischen Staaten finanziert werden. In diesen gehören Antisemitismus und bewaffneter Dschihad zum Lehrplan. Und anfangs trat die Hamas als Wohltätigkeitsorganisation auf und gründete neben den Schulen auch andere soziale Einrichtungen.

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Palästinensiche Kinder auf dem Weg in die Schule.Bild: EPA/EPA

Zum anderen baute die Hamas mit der Zeit einen bewaffneten Arm auf. Die wohl bekannteste Gruppierung dieses militärischen Teils sind die Izzaddin al-Qassam-Brigaden. Die al-Qassam haben sich im Laufe der Jahre ein breites terroristisches Repertoire angeeignet. So führen sie Selbstmordattentate und Raketenangriffe auf Israel aus oder sind auf Entführungen israelischer Soldaten oder derer Angehörigen spezialisiert. Unter anderem darum wird die Hamas von den Staaten der Europäischen Union oder den USA als Terrororganisation eingestuft.

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Kämpfer der al-Qassam-Brigade.Bild: www.imago-images.de
Masked militant from the Izzedine al-Qassam Brigades, the military wing of Hamas, waves the green flag of the Islamist group during a protest in support of Palestinian prisoners in Israeli jails, afte ...
Ein Kämpfer der Hamas mit dem grünen Hamas-Stirnband.Bild: keystone

Gleichzeitig versuchte sich die Hamas bereits seit Beginn auch innerpalästinensisch gegen die Fatah-Bewegung bzw. die Palästinensische Befreiungsfront (PLO) durchzusetzen. 2006 gelang ihr das in Teilen, als sie zur regierenden Partei im Gazastreifen gewählt wurde. Nach heftigen bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen der Hamas und der Fatah übernahm die Hamas 2007 vollends die politische Kontrolle über den Gazastreifen. Israel verhängte daraufhin eine Blockade über das dicht besiedelte Küstengebiet, wo auf 365 Quadratkilometern mehr als zwei Millionen Menschen leben.

Als Gründerin von sozialen Einrichtungen und Schulen, Ausführerin von Anschlägen und politische Partei gleichermassen unterhält die Hamas komplizierte Strukturen und mehrere Institutionen. Dabei wäre es eine Illusion, dass der Öffentlichkeit alle führenden Köpfe der Hamas und ihrer Unterorganisationen bekannt wären.

Ismail Haniyeh

FILE - In this Friday, Dec. 12, 2014 file photo, Palestinian top Hamas leader Ismail Haniyeh greets supporters during a rally to commemorate the 27th anniversary of the Hamas militant group, at the ma ...
Ismail Haniyeh, 2014.Bild: AP/AP

Ismail Haniyeh ist Vorsitzender des Politbüros der Hamas und somit «Chef» des politischen Arms der Organisation.

Gewählt hat ihn in dieses Amt der sogenannte Schura-Rat, ein Gremium aus 77 Personen, welches das 15-köpfige Politbüro wählt. Das Politbüro wiederum ist die oberste Entscheidungsinstanz der Hamas. Seit 2022 sitzen auch Verantwortliche der Qassam-Brigaden im Politbüro.

Am 7. Oktober kursierte ein Video in den sozialen Medien, das Haniyeh zeigt, wie er in seinem eleganten Büro den blutigen Angriff auf Al Jazeera verfolgt und seinen Schergen zujubelt.

Bis vor rund zwei Jahren lebte der Hamas-Führer zusammen mit seiner Familie in Gaza. Dann siedelte er nach Doha über, wo er in einem Luxushotel residieren soll.

Bereits während seiner Zeit in Gaza soll Haniyeh ein Millionen-Vermögen angehäuft haben. Laut der ägyptischen Zeitschrift Rose al-Yusuf hat Haniyeh im Jahr 2010 vier Millionen US-Dollar allein für ein Grundstück am Strand von Gaza ausgegeben. Seither habe der Hamas-Führer im Gazastreifen mehrere Villen und Gebäude gekauft, die er auf die Namen einiger seiner 13 Kinder eingetragen haben soll. Dieser vermutete üppige Besitz steht im krassen Gegensatz zur Lebensrealität so mancher Palästinenser.

Aber nicht nur Haniyeh selbst profitiert, nein, seine ganze Familie profitiert von der Sonderstellung des Vaters. Während die meisten Bewohner des Gazastreifens ihre Heimat nicht verlassen können, reisen Haniyehs Söhne angeblich regelmässig in die Türkei, wo sie in Immobilien investieren sollen. Im Juli 2022 wurde in den palästinensischen sozialen Medien ein Dokument geteilt, das wohl eine offizielle Auflistung von Personen zeigt, die eine Reiseerlaubnis über den Grenzübergang Rafah haben. Unter ihnen zum Beispiel Haniyehs Sohn Hazem, sowie dessen Frau und Kinder.

Die Enthüllung löste eine Kampagne gegen die Hamas-Führung aus unter dem Motto «Unsere Hände sind sauber» – eine Seltenheit im Gazastreifen, wo politische Meinungsverschiedenheiten im Allgemeinen nicht toleriert werden.

Das Motto der Kampagne referierte auf eine Rede von Haniyeh zum 22. Jahrestag der Gründung der Hamas, in der er sagte:

«Unsere Hände sind sauber. Wir stehlen keine Gelder, besitzen keine Immobilien und bauen keine Villen …»

Mohammed Deif

Während Haniyeh sich gerne mit internationalen Politikern zeigt, gleicht der Chef des militärischen Arms der Hamas, Mohammed Deif, einem Phantom. Deif kommandiert die Qassam-Brigaden etwa seit Anfang der 2000er-Jahre. Er ist es auch, der hinter dem Anschlag vom 7. Oktober steckt. Kaum jemand kennt sein Gesicht, geschweige denn seinen Aufenthaltsort.

NZZ-Auslandredaktor Ulrich Schwerin sagt über Deif: «Bereits sieben Anschläge auf sein Leben soll Mohammed Deif überlebt haben.» Ein Auge habe er dabei verloren, sowie andere Körperteile. Seine Frau und seine beiden Kinder sind tot.

Die schizophrene Rolle Katars

In Katar lebt nicht nur Ismail Haniyeh. Ein Grossteil der politischen Elite der Hamas wohnt im Golfstaat. Denn obwohl das Politbüro den Gazastreifen regiert, hat es seinen Sitz nach Doha verlagert, die Hauptstadt von Katar. Weitere Hamas-Funktionäre sollen im Libanon oder der Türkei residieren.

Ebenfalls in Katar lebt Chaled Maschal, der Vorgänger Haniyehs. Im Dezember 2012 reiste Maschal in den Gazastreifen ein, um an Jubiläums-Feierlichkeiten der Hamas teilzunehmen. Es war das erste Mal seit 45 Jahren, dass er palästinensisches Gebiet betrat.

DAM05 - 20020329 - DAMASCUS, SYRIA : Head of Hamas political bureau Khaled Mashal gives a speech during a demonstration in Damascus 29 March 2002 against Israel's offensive on Palestinian leader  ...
Chaled Maschal.Bild: EPA AFPI

Auch Sami Abu Zuhri, ein Sprecher der Hamas, und Tahar al-Nounou, der Berater von Haniyeh und ebenfalls ein Sprecher der Hamas, leben in Katar.

Hamas spokesman Sami Abu Zuhri, center, is escorted out of the terminal of the Rafah border crossing between Egypt and the Gaza Strip Friday, May 19, 2006. Palestinian security forces loyal to Preside ...
Sami Abu Zuhri.Bild: AP

Katar nimmt eine sehr obskure Rolle ein im Israel-Hamas-Krieg. Zum einen beherbergt das Land die Funktionäre der Terrorgruppe, zum anderen tritt es als Vermittler auf. US-Präsident Joe Biden würdigte sogar die Rolle Katars bei der Freilassung der beiden Hamas-Geiseln am vergangenen Montag.

Dieses schizophrene Dasein ist aber nicht allen entgangen. Der ehemalige israelische Premierminister, Naftali Bennett, sagte:

«Die israelische Regierung begeht einen schwerwiegenden moralischen und praktischen Fehler. Katar ist kein wesentlicher Partner für humanitäre und diplomatische Operationen.»

Er fügte hinzu:

«Katar ist selbst ein Feind. Es finanziert die Hamas. Israels erklärtes Ziel ist es, die Hamas zu zerstören. Katars Ziel ist genau das Gegenteil: die Hamas zu retten.»

Katar führt die Liste der Geber-Länder für Gaza an – die Golfmonarchie hat im letzten Jahrzehnt schätzungsweise über 1,5 Milliarden US-Dollar gespendet. Doch bei der Bevölkerung scheint davon nicht viel angekommen zu sein.

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58 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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maylander
31.10.2023 06:37registriert September 2018
Katar spielt ein übles Spiel um international Relevant zu werden. Zuerst die Hamas finanzieren und sich dann als Vermittler aufdrängen.
Genau so haben sie das übrigens auch mit den Taliban gemacht.
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The Guitar Player
31.10.2023 06:51registriert Oktober 2023
Korruption und Luxus bis zum Gehtnichtmehr. Und diese Hamas-Leute, denen das Blut von Unschuldigen in den Händen klebt, sollen Mitglieder einer „Befreiungsorganisation“ sein? Naiver kann man nicht sein, wenn man noch diesem Märchen glaubt. Letztlich wird mit solchen Schwerbrechern weder jemand gerettet noch jemand befreit.
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Alex747
31.10.2023 07:00registriert Oktober 2019
Wohnt Infantino auch noch in Qatar?
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