Alle fünf Jahre wird in Frankreich ein neuer Präsident – bisher gab es keine Präsidentin – gewählt. Dieses Jahr machen elf Kandidierende Emmanuel Macron das Amt streitig. Aufgrund dessen relativ stabilen Umfrageergebnisse dürfte es sich bei dieser Präsidentschaftswahl vor allem um die Frage handeln, wer den Amtsinhaber in einer – sehr wahrscheinlichen – Stichwahl herausfordern wird. Mehr Details zur Präsidentschaftswahl in Frankreich, zu den Kandidierenden und den Wahlkampfthemen findest du hier:
Frankreich ist eine präsidentielle Demokratie: Der Präsident wird direkt von den Bürgerinnen und Bürgern gewählt. Am Sonntag, 10. April, kommt es zum ersten Wahlgang. Hier gilt das absolute Mehrheitsrecht: Erreicht keiner der Kandidierenden die absolute Mehrheit – also über 50 Prozent der Stimmen –, so kommt es zu einem zweiten Wahlgang. Das war bis jetzt in jeder Präsidenschaftswahl in der sogenannten Fünften Republik, die 1958 begann, der Fall.
Der zweite Wahlgang, der am 24. April stattfindet, ist dann eine Stichwahl: Es treten nur die zwei Kandidierenden mit den meisten Stimmen aus dem ersten Wahlgang gegeneinander an. Wer mehr Stimmen erhält, gewinnt.
Spätestens am 13. Mai dieses Jahres ist Amtsantritt. Der Präsident oder die Präsidentin bekleidet das Amt für fünf Jahre. Zugelassen sind nur zwei aufeinanderfolgende Amtszeiten – ansonsten kann aber theoretisch beliebig oft regiert werden. Wichtig für die Ausführung des höchsten französischen Amtes sind danach die Parlamentswahlen im Sommer. Gelingt der Präsidentenpartei keine Mehrheit im Parlament, so wird das Regieren deutlich schwieriger. 2017 konnte Macron dort mit seiner Partei «La République En Marche!» eine Mehrheit erlangen.
Für die Präsidentschaft bewerben sich insgesamt zwölf Kandidierende, vier Frauen und acht Männer.
Received my flyers in the mail for my first #presidentielles2022 this weekend as a #french citizen. So many choices in this country! #FrenchElection #Presidentielle2022 #frenchamerican #francoamericain pic.twitter.com/86JFVRihpJ
— Amy Devins (@JosysLibrary) April 5, 2022
Folgende zwölf Kandidatinnen und Kandidaten können gewählt werden (Reihenfolge gemäss ihrer Stärke in den neusten Umfragen):
Der Amtsinhaber wurde 2017 mit 39 Jahren als jüngster französischer Präsident aller Zeiten gewählt. Im Falle einer Wiederwahl wäre Macron der erste Präsident seit Jacques Chirac (1995 bis 2007), dem eine zweite Amtszeit gelingt. 2016 gründete Macron die liberale Bewegung «En Marche!» (ab 2017 «La République En Marche!»), mit dem erklärten Ziel, die gespaltene politische Landschaft zu einen. Wegen des Krieges hat der Präsident seine Auftritte im Wahlkampf auf ein Minimum beschränkt.
Würde er wiedergewählt, verspricht Emmanuel Macron sich für mehr soziale Gerechtigkeit und Kaufkrafthilfen in der aktuellen Krise einzusetzen. Er plädiert für ein starkes Europa, Frankreich soll aber dennoch seine Unabhängigkeit weiter stärken: einerseits mit mehr Rüstungsausgaben, andererseits mit einer vom Ausland unabhängigen Energiewirtschaft. Macron verspricht ausserdem höhere Investitionen in Bildung und Gesundheit, die «zwei wichtigsten Quellen für Ungleichheit».
Die Rechtsnationalistin tritt bereits zum dritten Mal zu einer Präsidentschaftswahl an. 2017 verlor sie in der Stichwahl gegen Macron. Le Pens Hauptthemen – Sorgen über Unsicherheit und Kriminalität, das Gefühl des Niedergangs und der sozialen Ungleichheit sowie die Verknüpfung dieser Themen mit der Einwanderung und der vermeintlichen Bedrohung durch den Islamismus – haben jüngst in der öffentlichen Debatte mehr Raum eingenommen.
Dennoch liegt Le Pens Fokus in diesem Wahlkampf verstärkt auf der Kaufkraft der Französinnen und Franzosen – laut Umfragen deren aktuell grösste Sorge – die sie mit mehr sozialer Wohlfahrt unterstützen will. Sie wird als weniger aggressiv und weniger extrem wahrgenommen als in ihrem letzten Wahlkampf, was vor allem am noch weiter rechts von ihr stehenden Éric Zemmour liegen dürfte. Viele ihrer Positionen sind aber ähnlich, so plädiert Le Pen für eine Priorisierung von französischen Staatsbürgern gegenüber Nicht-Franzosen in Bereichen wie Sozialleistungen, Wohnraum, Arbeitsplätze und Gesundheitsversorgung.
Auch für den linken Kandidaten Mélenchon ist es bereits die dritte Präsidentschaftswahl. 2017 überraschte er am Ende mit fast 20 Prozent der Stimmen. Dieses Jahr gilt er mit seiner Partei «La France Insoumise» (etwa: «Aufständisches Frankreich») als der einzige linke Kandidat mit Aussicht auf die Stichwahl. Mélenchon gilt als Kritiker Macrons, den er als «Präsident der Reichen» bezeichnet.
Mélenchon versteht sich als «linker Populist» und vertritt traditionell linke Themen. Er fordert eine Erhöhung des Mindestlohns, die Einführung einer 32-Stunden-Woche sowie die Rente ab 60 Jahren. Ausserdem gilt er als NATO- und EU-kritisch: Lange propagierte er einen «Frexit», im neuen Wahlprogramm seiner Bewegung findet ein solcher indes keine Erwähnung mehr. Mélenchon fordert aber einen Ausstieg Frankreichs aus der NATO sowie aus der Kernenergie. Trotz seiner Positionen stiess er vielen Linken einige Male sauer auf: Zum Beispiel mit einer impfkritischen Haltung oder seiner Sympathie zu Russland – Mélenchon lehnte Waffenlieferungen an die Ukraine und eine Sanktionierung Russlands ab.
Zemmour ist der Newcomer unter den Kandidierenden. Er geht am äussersten rechten Rand des politischen Spektrums auf Stimmenfang. Der ehemalige Journalist und Buchautor, selbst jüdischer Abstammung und in Algerien geboren, wurde bereits mehrfach aufgrund von rassistischen Äusserungen und antimuslimischer Hetze verurteilt. Zemmour propagiert die Verschwörungstheorie des «Great Replacements» («Grosser Bevölkerungs-Austausch»), wonach Menschen französischer Herkunft in ihrem eigenen Land von Menschen anderer, primär islamischer Herkunft verdrängt und zu einer Minderheit gemacht werden.
Zu seinem Wahlprogramm gehört die Abschaffung von Sozialleistungen von nicht-französischen Staatsangehörigen, eine Reduktion der Einwanderung auf null und die Schaffung eines Ministeriums für Rückführungen, das eine Million Menschen ausschaffen soll. Genauso wie Le Pen und Mélenchon stand Zemmour zuletzt unter Beschuss aufgrund seiner Nähe zu Russland und Putin.
Pécresse ist Vertreterin der konservativen Partei «Les Républicains», der beispielsweise Nicolas Sarkozy angehörte. Unter dem ehemaligen Präsidenten war die bürgerlich-rechte Pécresse Ministerin, seit 2015 steht sie der Hauptstadtregion Île-de-France vor.
Pécresse steht für eine liberale Wirtschaft ein: Umweltauflagen sollten abgeschafft und staatliche Anteile privatisiert werden. Sie setzt sich für eine restriktive Migrationspolitik und die Atomenergie ein. Ausserdem mahnt die 54-Jährige vor zu hohen Staatsausgaben. In ihrer Partei gehörte sie lange zum soazial-progressiven Flügel, was sich zu dieser Präsidentschaftswahl hin zu ändern schien. Pécresse gab sich dabei vermehrt rechts-konservativ, wohl auch um Wählende rechts von Macron von sich zu überzeugen.
Jadot ist ehemaliger Greenpeace-Kampagnenleiter und tritt für die «Europe Écologie Les Verts», die Grünen, an. Zurzeit ist Jadot Mitglied des Europäischen Parlaments, wo er mit den Grünen Erfolge feiern konnte. Er gilt im Vergleich zu anderen Parteiangehörigen als eher gemässigt. Im Wahlkampf setzt er auf die Themen Nachhaltigkeit, soziale Gerechtigkeit und die Rechte für Arbeitnehmende.
Unternehmen, die noch auf fossile Energie setzen, sollen gemäss dem Grünen keine staatliche Unterstützung mehr erhalten. Ausserdem setzt sich Jadot für einen «verantwortungsvollen» Ausstieg aus der Atomenergie im Laufe von 15 bis 20 Jahren ein.
Für das Amt als Frankreichs Präsidentin oder Präsidenten kandidieren ausserdem: Fabien Roussel (Kommunistische Partei Frankreich), die Bürgermeisterin von Paris, Anne Hidalgo (Sozialistische Partei), Jean Lassalle (der Partei «Résistons!»), Nicolas Dupont-Aignan (Anhänger der rechten Partei «Debout La France»), Philippe Poutou (linke «Noveau Parti anticapitaliste») und Nathalie Arthaud («Lutte ouvrière», extreme Linkspartei).
Die Umfragewerte dieser sechs Kandidatinnen und Kandidaten bewegen sich im tiefen einstelligen Bereich und ihnen wird keine Chance für den zweiten Wahlgang eingeräumt.
Die grosse Frage des ersten Wahlgangs ist, gegen wen Amtsinhaber Macron im sehr wahrscheinlichen zweiten Wahlgang antritt. Laut neusten Umfragen von Anfang April bewegt sich sein Wähleranteil je nach Forschungsinstitut zwischen 26 und 28 Prozent aller Stimmen. Macron profitierte im Wahlkampf zuletzt vom Ukraine-Krieg, im Zuge dessen er als geübter Aussenpolitiker und Vermittler auftrat.
Auf dem zweiten Platz liegt Marine Le Pen mit einem Anteil von zwischen 21 und 23 Prozent. Hinter Le Pen auf dem dritten Platz liegt der Sozialist Mélenchon (14 bis 17 Prozent). Danach folgen Kopf an Kopf Valérie Pécresse und Éric Zemmour mit einem Anteil von je etwa zehn Prozent. Zwischen vier und sechs Prozent der Stimmen gehen an den Grünen Jadot.
Überragendes Thema in diesem Wahlkampf ist die Kaufkraft. Viele Wählerinnen und Wähler sind aufgrund der hohen Inflationsraten, besonders im Zusammenhang mit dem Anstieg der Energiepreise, um ihr Einkommen besorgt. Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Ipsos von Ende März gehört dieses Thema für 58 Prozent von ihnen zu den drei wichtigsten.
Auf Platz zwei folgt das Gesundheitssystem (27 Prozent) und auf Platz drei die Umwelt (25 Prozent), danach kommen die Immigration und die Rente (je 24 Prozent), der Ukraine-Krieg (23 Prozent) und soziale Ungleichheit (19 Prozent). Nur für acht Prozent der Befragten spielt die Corona-Pandemie noch eine grössere Rolle, auch die Arbeitslosigkeit (neun Prozent) interessiert angesichts der wiederanziehenden Wirtschaft in Frankreich nur mässig.
Nur nicht Zemmour und le Pen.
Die Umfragewerte lassen mich Schaudern.
Hoffen wir, dass die Mehrheit der Franzosen vernünftig genug ist, und gerade in der heutigen Zeit auf Experimente verzichtet.