Seine erste Rakete bastelte Jean-Patrice Keka, als er 17 Jahre alt war. Angetrieben mit Hunderten von Streichholz-Enden, zischte das Geschoss über die Dächer der Wellblechhütten Kinshasas, die Hauptstadt der Demokratischen Republik Kongo. Wenige Stunden später kam die Polizei und nahm den Dreikäsehoch in Gewahrsam.
28 Jahre später ist Jean-Patrice Keka der bekannteste Raketenwissenschaftler des Landes. Journalisten, Soldaten und Schaulustige pilgern zu seiner Farm bei Menkao, wo der «Einstein Afrikas» sein Weltraum-Kontrollzentrum betreibt: Eine rostige Metallbaracke, Dutzende Röhrenbildschirme, Computer mit Diskettenlaufwerk und eine Wetterfahne auf dem Dach. Seine Mission: Den Kongo in den Rang einer Weltraumnation zu erheben. Sein Problem: Die Voraussetzungen in dem bevölkerungsreichsten Land Afrikas sind nicht die allerbesten. Immerhin, seit Rakete Nummer vier die Stratosphäre gekratzt hat, «wissen die Leute, dass ich es ernst meine», so Keka im Wall Street Journal.
Fünf Raketen hat Keka zusammen mit Dutzenden Studenten und Helfern bislang gebaut. Drei davon wurden gezündet, die letzte 2009. Troposphere V, ein 1500 Kilogramm schweres Metallrohr mit einer Schubkraft von sieben Tonnen, sollte eine Höhe von 37 Kilometern erreichen. In einer alten Ovomaltine-Büchse, dem behelfsmässigen Cockpit, sass Kavira, eine Ratte, die Keka zuvor in der Umgebung gefangen hatte. Der Start lief nicht nach Plan: Statt in die Höhe zu schiessen, drehte die Rakete kurz nach der Zündung horizontal ab und zerschellte an einem Felsen. Kavira wurde nicht die Ehre zuteil, als erstes kongolesisches Tier das All zu erreichen. Der Fallschirm, der die Ratte sicher auf die Erde zurückbringen sollte, war nutzlos.
Schade, meinte Raketeningenieur Keka. Später stand auf seiner Website, Kavira sei im Namen der Wissenschaft gestorben.
Der Fehlstart von Troposphere V hat den Wissenschafter nicht entmutigt. Im Gegenteil. Seine ganze Aufmerksamkeit gilt nun Troposphere VI. Noch besser, noch grösser, noch schneller soll die Rakete werden. Nächstes Jahr ist es soweit, dann wird «Soso Pembe», der «Weisse Hahn», auf seinen Jungfernflug aufbrechen. Natürlich wird Keka wieder Tiere auf die Reise schicken: Ein paar Moskitos, einige Fliegen – und eine Ratte. Wie verhalten sich Tiere im Weltall? Was passiert mit ihren Zellen, welche Auswirkungen auf die Organe hat ein Weltraumflug? Diese Fragen treiben Keka seit Jahrzehnten um – und verschlangen einige 10'000 Dollar seines Privatvermögens.
Von der Regierung hat Keka bisher keinen einzigen Centimes gesehen. «Sie unterstützen mich moralisch und psychologisch», sagte der Ingenieur in einem Interview mit Vice lapidar, «aber Geld habe ich noch nie von ihnen erhalten.» In einem Land, in dem mehr als 60 Prozent der Bevölkerung unter der Armutsgrenze lebt, ist der Aufbau eines Raumfahrtprogramms nicht allzu hoch auf der Regierungsagenda. Bei den Starts, die von Hunderten Zuschauern verfolgt und von Fernsehteams übertragen werden, zeigen sich die Behördenvertreter trotzdem gerne. Der Vize-Premier, der Minister für Forschung und Entwicklung und zahlreiche hochrangige Generäle: Sie alle waren zugegen beim desaströsen Start von Troposphere V.
Der nächsten Ratte, die Keka in den Weltraum jagt, soll das Schicksal ihres Vorgängers erspart bleiben. «Ich werde mein Bestes tun, um den Nager lebendig zurückzubringen», sagte Keka gegenüber dem «Wall Street Journal». Und falls nicht? «Es gibt viele Ratten in Kinshasa.» (wst)
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