Die erste Überraschung zum Interview gab es bereits beim Blick auf die Dauer: Während die Gespräche Carlsons mit dem ungarischen Staatschef Viktor Orbán oder Argentiniens neugewähltem Präsidenten Javier Milei etwa eine halbe Stunde dauerten, war das Interview mit Putin mehr als viermal so lang – satte zwei Stunden und sieben Minuten.
Warum sich das Interview derart in die Länge zieht, wird gleich zu Beginn klar. Als Carlson seine erste Frage stellt – «erzählen Sie uns, warum Sie denken, dass die USA Russland angreifen sollten. Wie kamen Sie zu einem solchen Schluss?» –, fragt Putin zurück:
Als Carlson antwortet, es sei natürlich ein seriöses Gespräch, kündigt Putin an, während «einer halben oder einer Minute» einen historischen Kontext zur Lage zu geben. Eine massive Untertreibung: Putin rollt daraufhin die Geschichte Russlands und der Sowjetunion ab 862 auf. Von Zwischenfragen Carlsons lässt er sich dabei kaum abbringen.
Dabei erzählt der russische Präsident ziemlich genau den Inhalt seiner TV-Ansprache vor dem Einmarsch in die Ukraine im Februar 2022. Es sind die gewohnten Argumente: Putin beschwört die historische Bedeutung Kiews für das russische Volk, spricht der Ukraine eine ethnische Gemeinschaft ab, kritisiert die Abspaltung der Ukraine zu Zeiten Lenins und wiederholt sein Ziel einer angeblichen «Denazifizierung» des Landes. Erst nach rund 45 Minuten kommt Putin nach seinem Quasi-Monolog zu einem richtigen Ende.
Auch in der Folge zeigt Putin kaum Interesse daran, Carlsons Fragen zu folgen. Auch wenn der Moderator versucht, mit einer Frage das Thema zu wechseln, lässt sich Putin nicht beirren. «Ich werde die Frage zuerst fertig beantworten», sagt er regelmässig, um dann wieder zu einem ausschweifenden Monolog anzusetzen.
Nach seinem ausufernden Monolog zu Beginn zeigt sich dann doch: Putin weiss, dass sich mit dem Carlson-Interview eine wohl einmalige Chance bietet, gewisse US-Bürgerinnen und -Bürger von seinem Angriff auf die Ukraine zu überzeugen – oder zumindest den Widerstand zu schwächen.
So ist auffällig, wie der russische Präsident im Laufe des Gesprächs immer wieder Themen aufs Parkett bringt, welche beim typischen Carlson-Publikum absolut auf Anklang stossen dürfen. Immer wieder stichelt Putin gegen die Biden-Regierung: Er könne sich nicht erinnern, wann er letztmals mit dem US-Präsidenten gesprochen habe, schliesslich habe er viel anderes zu tun, berichtet Putin bewusst nonchalant.
Weiter bewirtschaftet Putin die typisch republikanischen Anliegen. Als Carlson fragt, wie er die Möglichkeit von US-Truppen in der Ukraine sehe, antwortet Putin:
Durch Putins Antworten zieht sich zudem eine implizite Botschaft wie ein roter Faden durchs Interview: Russland ist schon lange bereit zu Gesprächen und einem Frieden, nur der Westen, vor allem die USA, würden diesen verhindern, sagt er. Wohl in der Hoffnung, in regierungskritischen Kreisen damit auf Anklang zu stossen. Und deshalb bietet er eine gar einfache Lösung an:
Was seine Truppen in dieser Zeit in der Ukraine anrichten würden, verschweigt er gekonnt.
Tucker Carlson macht keinen Hehl daraus, wie seine politischen Meinungen aussehen: Rechts, konservativ, gewisse sagen gar rechtsextrem. Auch zum Ukraine-Krieg hat er eine klare Meinung: Der Moderator kritisierte den Westen ständig und teilt regelmässig das russische Narrativ eines vom Westen provozierten Krieges. Zudem ist Carlson bekannt dafür, seine Haltungen auch in Interviews nicht zu verbergen – so verzichtete er bei seinen Gesprächen mit Orbán und Milei, welche politisch auf derselben Wellenlänge wie Carlson sind, fast konsequent auf kritische Fragen.
Umso überraschender ist es, dass der Moderator im Gespräch mit Putin den russischen Machthaber das eine oder andere Mal herausfordert – oder dies zumindest versucht. Beim anfänglichen Monolog Putins antwortet Carlson zwischendurch, er sehe nicht ein, warum der Blick auf die Anfänge des letzten Jahrtausends für die heutige Lage wichtig sein soll. Weiter versucht Carlson, vor allem in den ersten Minuten, immer wieder nachzuhaken – etwa als Putin sich konsequent weigert zu erklären, wie er eine angeblich weit verbreitete Nazi-Mentalität in der Ukraine tatsächlich stoppen würde. Und mit der Frage, wie Putin seinen selbsterklärten christlichen Glauben mit dem Töten anderer vereinbaren könne, wirft er dem Kreml-Chef implizit eine gewisse Doppelmoral vor.
Seinen wohl besten Moment hat Carlson kurz vor Schluss. Der Moderator lenkt das Gespräch auf Evan Gershkovich, Journalist des «Wall Street Journal», welcher vor fast einem Jahr in Moskau verhaftet wurde. Dabei sagt Carlson:
Auch als Putin abblockt – Russland habe schon so viele wohlwollende Gesten gemacht, sagt er –, setzt Carlson nach:
Erfolg hat Carlson damit nicht. Putin vertröstet ihn lediglich damit, er wolle auch, dass Gershkovich in seine Heimat zurückkehren werde, «da bin ich absolut ehrlich». Dafür brauche es aber weitere Dialoge.
Doch auch wenn Carlson im Interview zum Teil überrascht, fällt der Trump-Demagoge vor allem im Mittelteil des Gesprächs in alte Muster zurück. Heisst: Er liefert Putin Suggestivfragen, welche dieser nur allzu gerne ausnutzt.
Irritierend ist etwa das Gespräch über die Zerstörung der «Nord Stream»-Pipeline. «Wer hat das gemacht?», will Carlson wissen. «You», antwortet Putins Dolmetscher. «Ich war beschäftigt an diesem Tag. Vielen Dank», antwortet Carlson, wofür er von Putin Lacher erntet. Dann werden sie wieder ernst. Denn sie sind sich einig: Für die Zerstörung sind – auch wenn Stand heute nichts bewiesen ist – die USA verantwortlich. «Die Deutschen wissen doch sicher, dass ihre NATO-Partner das gemacht haben», sagt Carlson und liefert Putin so eine Steilvorlage, um zu einem weiteren Monolog gegen den Westen anzusetzen.
Auch Carlsons verschwörungsideologische Tendenzen blitzen im Interview immer wieder auf. Als Putin von Treffen mit Bill Clinton und George W. Bush berichtet, fasst Carlson zusammen, dass das alles so klinge, dass eigentlich gar nicht der gewählte US-Präsident die Geschicke im Land leiten würde – was Putin bejaht.
Zudem ist auch in diversen Formulierungen Carlsons umstrittene Sicht auf das Weltgeschehen bemerkbar. So verzichtet er konsequent darauf, von einem russischen Angriff auf die Ukraine zu sprechen – stattdessen braucht er Wörter wie «handeln».
Ebenfalls auffällig ist, dass Carlson diverse heikle Themen aussen vor lässt – so etwa die russischen Kriegsverbrechen wie in Butscha, den Tod Jewgeni Prigoschins oder die Inhaftierung Alexei Nawalnys.
Mit dem Interview endete Carlsons Beitrag aus Russland aber nicht. Der Moderator veröffentlichte für seine bezahlenden Kundinnen und Kunden einen neunminütigen Clip, in welchem er seine Eindrücke zum Interview teilt – zuerst wenige Minuten nach dem Gespräch noch im Kreml, dann am Abend in seinem Hotelzimmer.
Dabei spricht Carlson von einem zwiespältigen Eindruck, welchen das Interview bei ihm hinterlassen habe. «Ich weiss nicht genau, was ich davon halten soll», so Carlson. Vor allem der Anfang – Putins Monolog – habe ihn im ersten Moment irritiert.
«Putin ist nicht gut darin, seinen Standpunkt zu erklären», kommt Carlson deshalb zum Schluss. Man merke, dass er in einer Welt lebe, in welcher er sich offensichtlich nicht oft rechtfertigen müsse. Und weiter:
Auch in der Nachbesprechung kann Carlson seine Seitenhiebe in Richtung Westen nicht lassen. Es sei klar, dass Russland keine Expansionsmacht sei, sagt er. Und setzt danach zu einer richtigen Brandrede an:
Putin sei «sehr verletzt» durch die historischen Abweisungen Russlands von Seiten des Westens. «Seine Augen haben aufgeblitzt, als wir über dies gesprochen haben», so Carlson. Russland sei schon so gross, da müsse man schon «ein Idiot» sein, wenn man meine, der Kreml sei an einer Expansion interessiert. Den Ukraine-Krieg erklärt sich Carlson derweil so: «Sie wollen einfach sichere Grenzen», sagt er. Vielleicht sei man in Russland diesbezüglich «etwas zu paranoid». Aber mehr stecke kaum dahinter.
Ep. 73 The Vladimir Putin Interview pic.twitter.com/67YuZRkfLL
— Tucker Carlson (@TuckerCarlson) February 8, 2024
1. Trump Anhänger werden zusätzlich bestärkt dass man die Ukraine nicht unterstützt.
2. Trump Anhänger werden bestätig dass Putin ganz ein flotter ist.
3. Carlson macht stellt sich für die Vizepräsidentschaft in Stellung