Alexej Nawalny war einer der lautesten Kritiker des russischen Präsidenten Wladimir Putin. Das hat ihn wohl das Leben gekostet, denn Nawalny starb am 16. Februar 2024 in einem russischen Gefangenenlager. Angeblich eines natürlichen Todes nach einem Spaziergang, wie die russischen Behörden behaupten.
Die Abdankungsfeier für Nawalny wurde in einer kleinen Moskauer Kirche für vergangenen Freitag angesetzt sowie die Begräbnisstätte auf einem kleinen Moskauer Friedhof bekannt gegeben. Die Menschen strömten zu Zehntausenden zur Kirche und auf den Friedhof, um Alexej Nawalny die letzte Ehre zu erweisen. «Nawalny, Nawalny, Nawalny!», rief die Menge in Sprechchören.
Zahlreiche Regierungskritiker und sogar ausländische Diplomaten standen in der Menschenmasse. Die russischen Sicherheitskräfte hielten sich trotzdem zurück.
Doch jetzt scheint der Wind zu drehen. Russland detektiert per Gesichtserkennung die Menschen, die an der Beerdigung waren – und besucht diese.
Das unabhängige Newsportal Semafor zitierte Dmitry Anisimov, einen Sprecher der Menschenrechtsorganisation OVD-Info. Dieser erzählt, dass «eine Frau, die bei der Beerdigung ‹Ruhm den Helden› (Herojam Slawa), die traditionelle Antwort auf ‹Ruhm der Ukraine› (Slawa Ukrajini), gerufen hatte, von den Behörden zu Hause aufgesucht und verhaftet wurde».
Ihr wurde eine Geldstrafe auferlegt, sie durfte jedoch am nächsten Tag wieder nach Hause.
Am Donnerstag wurde bekannt, dass auch die Botschafterin der USA, Lynne Tracy, vom russischen Aussenministerium vorgeladen wurde. Sie war während der Abdankung für Nawalny prominent in der Masse vor der Kirche gefilmt worden. Das Ministerium wirft ihr nun den «Versuch der Einmischung in innere Angelegenheiten» vor, heisst es in einer Mitteilung der russischen diplomatischen Abteilung.
Die russischen Behörden benenne in der Mitteilung die Beerdigung Nawalnys nicht konkret. Dafür werfen sie drei US-Organisationen vor, mit Unterstützung der Botschaft «Programme und Projekte mit antirussischer Ausrichtung» umzusetzen und so «Einflussagenten zu rekrutieren». Sollten sich US-Botschaftsvertreter an Aktionen der Organisationen beteiligen, drohe ihnen die Ausweisung, erklärte das Aussenministerium weiter.
Anisimov führt aus, dass es eine bekannte Taktik der russischen Behörden sei, Festnahmen erst nach unliebsamen Veranstaltungen durchzuführen. Mindestens 400 Menschen seien in ganz Russland seit dem Tod von Nawalny festgenommen worden – zum Beispiel, weil sie Blumen an Gedenkstätten niedergelegt hatten. OVD-Info geht davon aus, dass es jetzt nach der Beerdigung noch weitere Menschen treffen werde.
Gesucht und gefunden würden diese Menschen wohl mittels Gesichtserkennung – und so dann «bis zu ihrer Haustüre» verfolgt, meint OVD-Info. Dazu seien bereits Tage vor der Beerdigung Kameras um die Kirche und den Friedhof installiert worden.
Die Verhaftungen wären somit der jüngste Beweis für die wachsende Abhängigkeit des Kremls von Überwachungstechnologie, um die Repression gegen Kreml-Kritiker aufrechtzuerhalten. So ergab eine Recherche von Reuters vom März 2023, dass Gesichtserkennungs- und Überwachungskameras bei der Festnahme Hunderter Demonstranten eine Rolle gespielt hätten – alleine seit dem Einmarsch der russischen Armee in die Ukraine.
Dabei wurden die Hunderttausenden Überwachungskameras in Moskau ursprünglich als Möglichkeit angepriesen, Kriminelle zu fangen und die öffentliche Sicherheit zu verbessern. (yam)