Ein Angriff auf frischgeborene Babys und ihre Mütter: Die russische Armee soll gestern eine Geburtsklinik in der Hafenstadt Mariupol in Schutt und Asche gebombt haben. Drei Menschen starben laut dem stellvertretenden Bürgermeister bei der Attacke – darunter ein Kind. 17 Menschen seien verletzt worden.
Auch in Schytomyr, einer Stadt westlich von Kiew, seien Bomben auf zwei Spitäler – eines davon ein Kinderspital – gefallen, wie der örtliche Bürgermeister Serhii Sukhomlyn auf Facebook mitteilte.
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat seit Beginn der russischen Invasion insgesamt 18 Angriffe auf medizinische Einrichtungen nachgewiesen. Zehn Menschen seien dabei bereits getötet worden, so die WHO.
Warum dieser Vorfall nicht das erste Mal in der jüngsten Vergangenheit ist, dass das gezielte Zerstören von Gesundheitseinrichtungen zur russischen Kriegsstrategie gehört – und was die verschiedenen Parteien zu den Nachrichten aus Mariupol sagen:
Die Ukraine klagt an – auf Russisch fragte der ukrainische Präsident Wolodmyr Selenskyj in seiner nächtlichen Videoansprache: «Ein Kinderkrankenhaus. Ein Entbindungskrankenhaus. Wie haben sie die Russische Föderation bedroht?» Und weiter: «Was ist Russland für ein Land, wenn es Angst vor Krankenhäusern hat, Angst vor Entbindungskliniken, und diese zerstört?» Selenskyj adressierte in seiner Rede auch an den Westen, endlich noch härtere Sanktionen zu verhängen, «damit Russland keine Möglichkeit mehr hat, diesen Genozid fortzusetzen».
Ein paar Stunden zuvor hatte Selenskyj ein Video aus dem zerstörten Spital getwittert. Darin zu sehen: Wände, ursprünglich gestrichen in bunten und fröhlichen Farben; zertrümmertes Mobiliar von Krankenzimmern und Büroräumen; ein Feuerschlauch, der mittlerweile nutzlos an der Wand hängt; Pflanzen, die am Ende des Gangs stehen, scheinen das einzige zu sein, das dem russischen Angriff getrotzt hat.
Zu diesen schockierenden Bildern fordert der ukrainische Präsident die westliche Welt erneut auf, über der Ukraine eine Flugsperrzone auszurufen:
Mariupol. Direct strike of Russian troops at the maternity hospital. People, children are under the wreckage. Atrocity! How much longer will the world be an accomplice ignoring terror? Close the sky right now! Stop the killings! You have power but you seem to be losing humanity. pic.twitter.com/FoaNdbKH5k
— Володимир Зеленський (@ZelenskyyUa) March 9, 2022
«Heute hat Russland ein riesiges Verbrechen begangen», sagte Wolodymir Nikulin, ein hoher regionaler Polizeibeamter zur amerikanischen TV-Sender «abc», während er in den Trümmern des Spitals stand. «Das ist ein Kriegsverbrechen, für das es keine Rechtfertigung gibt.»
Russland bezeichnete die Behauptung der Ukraine, sie habe ein Kinderkrankenhaus in Mariupol bombardiert, als «Fake News».
Der russische Aussenminister Sergej Lawrow hat die Vorwürfe des Angriffs auf die Geburtsklinik zurückgewiesen. Russland habe bereits am 7. März die Vereinten Nationen informiert, dass in der ehemaligen Klinik kein medizinisches Personal mehr sei, sondern ein Lager ultraradikaler Kämpfer des ukrainischen Bataillons Asow, sagte Lawrow am Donnerstag in Antalya nach Gesprächen mit dem ukrainischen Aussenminister Dmytro Kuleba.
Lawrow sprach von einer «Manipulation» der gesamten Welt mit Informationen zu mutmasslichen Gräueltaten der russischen Armee.
Dmitry Polyanskjy, erster Stellvertreter des ständigen Vertreters Russlands bei den Vereinten Nationen, schrieb zuvor auf Twitter, dass Russland bereits am 7. März davor gewarnt habe, dass das Krankenhaus von radikalen Ukrainern in ein militärisches Objekt umgewandelt worden sei. Und er ergänzte, dass es äusserst beunruhigend sei, dass die UNO solche Falschinformationen auch noch verbreiteten. Wobei er sich dabei auf einen Tweet bezieht von António Guterres, amtierender Generalsekretär der Vereinten Nationen, in dem dieser die Bombardierung des Spitals als «sinnlose Gewalt» bezeichnet:
That’s how #Fakenews is born. We warned in our statement back on 7 March (https://t.co/OpSeejBais) that this hospital has been turned into a military object by radicals. Very disturbing that UN spreads this information without verification #Mariupol #Mariupolhospital https://t.co/99v8avyThS pic.twitter.com/JsHgsv5YfQ
— Dmitry Polyanskiy (@Dpol_un) March 9, 2022
Die offizielle Schweiz bezog klar Stellung zur Bombardierung des Kinderspitals und verurteilt «den unfassbaren Akt der Unmenschlichkeit aufs Allerschärfste.» Weiter impliziert die Stellungnahme des Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA), dass Russland mit diesem Angriff aus Sicht der Schweiz das Völkerrecht gebrochen habe.
Das zerstörte Kinderspital sei zudem früher von der Schweiz unterstützt worden:
Stellungnahme der Schweiz zur Bombardierung des Kinderspitals in #Mariupol pic.twitter.com/0DvW1RyZos
— EDA - DFAE (@EDA_DFAE) March 9, 2022
Das humanitäre Völkerrecht sieht besonderen Schutz für medizinisches Personal und medizinische Einrichtungen vor, um das Funktionieren der Gesundheitsversorgung während eines Konflikts zu gewährleisten. Zudem verbietet das humanitäre Völkerrecht das gezielte Angreifen von Zivilisten, einschliesslich verwundeter Kämpfer, die versorgt werden. Sollte die russiche Armee in der Ukraine also tatsächlich Spitäler gezielt angreifen, könnte das Russland als Kriegsverbrechen in diesem Konflikt zur Last gelegt werden.
Das Krankenhaus mitten in Mariupol. Es hatte die größte Wöchnerinnenstation der Stadt #RussiaInvadesUkraine pic.twitter.com/wAUyDpPLif
— Alice Bota (@AliceBota) March 9, 2022
Russland war in der Vergangenheit in ähnliche Kriegsverbrechen verwickelt: Auch im Syrienkrieg wurden während militärischen Auseinandersetzungen Spitäler (und Schulen) angegriffen. Eine Karte der Menschenrechtsorganisation «Physicians for Human Rights» dokumentiert 244 solcher Angriffe durch Russland und der verbündeten Assad-Regierung zwischen den Jahren 2011 und 2021:
Im Report «Nowhere is safe for us» aus dem Jahr 2020 hat die Menschenrechtsorganisation «Amnesty International» aufgearbeitet, in welcher Rolle Russland in die Kriegsverbrechen in Syrien involviert war – zum einen mit dem Bereitstellen von Waffen, zum anderen durch direkte Angriffe auf zivile Infrastruktur in Syrien. So wird im Report zum Beispiel beschrieben, wie das «Al-Shami Hospital» in Ariha in Idlib am 29. Januar 2020 von russische Truppen zwischen 22.30 und 23.00 Uhr durch eine Serie von drei Luftangriffen gezielt zerstört worden sei. Am 5. Mai 2019 bombardierten russische Piloten innert 12 Stunden gleich vier syrische Spitäler.
Der Internationale Strafgerichtshof hat Ermittlungen gegen Russland wegen des Verdachts auf Kriegsverbrechen in der Ukraine aufgenommen.
(yam)
Liebu
Die Opfer sehen aber jetzt nicht wirklich nach Asow Kämpfern aus und trotzdem wird das immer noch als Grund angeführt. Einfach nur tragisch.
Ich dachte mal, es könnte ja auch sein, dass die Führung nicht genau weiss, was ihre Soldaten anrichten, aber mit dieser Aussage zeigen sie, dass sie es wissen, selber anordnen und auch noch schönreden.
Was kommt wohl als Nächstes?
Aspirin
Salvatore_M