Der in Russland veröffentlichte Mitschnitt ranghoher deutscher Luftwaffen-Offiziere zum Thema Taurus-Lieferung sorgt nicht nur hierzulande für Entsetzen. Auch international ist das Erstaunen gross, dass sich die deutsche Regierung unter Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) derart von dem autoritären Regime Wladimir Putins vorführen lässt. Von «Katastrophe» spricht die ARD, von einer «Riesen-Blamage» die Nachrichtenagentur AFP, und die «Neue Zürcher Zeitung» nennt die Abhöraffäre einen «politischen Skandal» und einen «Tiefpunkt» der Regierung Scholz.
Die NZZ wirft den abgehörten Bundeswehrsoldaten zudem «unfassbare Fahrlässigkeit» vor und mutmasst, dass Russland über noch viel mehr solcher kompromittierender Mitschnitte verfügen könnte. Diese Befürchtung bestätigt der deutsche Kontingentführer bei der NATO-Luftraumüberwachung im Baltikum, Swen Jacob. Er sagte der Nachrichtenagentur DPA, dass sich die Soldaten auf einen russischen Lauschangriff einstellen.
Vor Ort habe man daher erhöhte technische Massnahmen getroffen, um solche Attacken zu verhindern. «Wir haben nach unserem Ermessen schon das Maximum gemacht, was wir tun können. Aber es zeigt eben auch: Der Russe hört mit.»
Dass «der Russe mithört», wie Jacob es nennt, ist in einer solchen Situation prekär, wo Deutschland und Europa intensiv über eine verstärkte militärische Unterstützung der Ukraine diskutieren, um dem russischen Aggressor zu widerstehen. Das sieht offenbar auch der deutsche Verteidigungsminister so. «Es handelt sich um einen hybriden Angriff zur Desinformation, es geht um Spaltung, es geht darum, unsere Geschlossenheit zu untergraben», sagte Boris Pistorius.
Während der Bundeskanzler lediglich von einer «sehr ernsten Angelegenheit» spricht, schlachten russische Medien und Propagandisten das Thema möglicher Taurus-Lieferungen an die Ukraine weidlich aus. Sie werfen Deutschland vor, einen Krieg gegen Russland vorzubereiten. Das Gespräch belege die «Planungen von Kampfhandlungen gegen Russland, einschliesslich der Zerstörung der zivilen Infrastruktur», schimpfte die Sprecherin des russischen Aussenministeriums, Maria Sacharowa. «Wir fordern von Deutschland Erklärungen.»
In dem abgehörten Gespräch hatten deutsche Luftwaffen-Offiziere recht freizügig über die Option, Taurus nach Kiew zu liefern, gesprochen. Zu Beginn ist auf dem Audio eine lockere Plauderei zu hören. Einer der Beteiligten erklärt, gerade in Singapur zu sein. Er schwärmt von der Aussicht vom Hotelzimmer. «Ich schicke dir vielleicht später mal ein Foto. Das ist schon mega.» Aber es wird schnell ernster: Es handelt sich um ein Vorbereitungsgespräch der Offiziere für ein Briefing für Verteidigungsminister Pistorius, wohl im Februar. In der Viererrunde mit dabei ist der Chef der Luftwaffe, Inspekteur Ingo Gerhartz.
Es geht in dem 38 Minuten langen Gespräch auch um militärisch sensible Informationen. Einer der Beteiligten – wohl Luftwaffen-Inspekteur Gerhartz – erklärt, er könne sich vorstellen, dass in einer ersten Tranche 50 und dann noch einmal 50 Flugkörper geliefert würden, was aber das Geschehen des Krieges nicht ändern würde. Es geht um die Frage, wie viele Flugkörper für die Zerstörung der Krim-Brücke nötig wären.
Ausführlich wird diskutiert, wie man eine Beteiligung der Bundeswehr bei der Versorgung der Ukrainer mit Zieldaten für Taurus verschleiern könnte. Die Gesprächsteilnehmer kommen aber zu dem Ergebnis, dass das nicht möglich sei, ohne die von Scholz formulierte rote Linie einer Kriegsbeteiligung zu überschreiten. Man müsse die Ukrainer über eine längere Ausbildung in die Lage versetzen, selber Zieldaten zu programmieren. Allerdings: Es handelt sich bei dem Ganzen nur um Gedankenspiele, um der Politik Möglichkeiten aufzuzeigen.
Die ukrainische Regierung hat im Mai 2023 um die Lieferung der Marschflugkörper gebeten, um die russischen Nachschublinien auf besetztem Gebiet hinter der Front treffen zu können. Scholz entschied im Oktober, die Taurus-Raketen vorerst nicht in die Ukraine zu schicken. In den vergangenen Tagen bekräftigte er sein Nein und erklärte ausführlich seine Gründe.
Der Abhörskandal entlarvt nach Meinung vieler Sicherheitsexperten die Sorglosigkeit, mit der im Bundesverteidigungsministerium gearbeitet wird. Offenbar hätten Teile der deutschen Armeeführung «immer noch nicht verstanden, dass eine Tankfüllung von Berlin entfernt ein Krieg tobt», schreibt die NZZ.
Dass das geleakte Gespräch eine offensichtliche Sicherheitslücke deutscher Behörden entlarvt, sieht auch die Wehrbeauftragte Eva Högl so. Die Parteifreundin von Kanzler Scholz fordert daher sofortige Massnahmen. «Erstens müssen umgehend alle Verantwortlichen auf allen Ebenen der Bundeswehr umfassend zu geschützter Kommunikation geschult werden», sagte sie den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. Zweitens müsse sichere und geheime Kommunikation stabil gewährleistet sein. Drittens forderte Högl, mehr in die Spionageabwehr zu investieren und den Militärischen Abschirmdienst (MAD) dafür zu ertüchtigen.
Der CDU-Verteidigungsexperte Roderich Kiesewetter rechnet mit weiteren Veröffentlichungen durch Russland. «Es werden sicher noch etliche andere Gespräche abgehört worden sein und gegebenenfalls zu späteren Zeitpunkten im Sinne Russlands geleakt werden», sagte er dem Nachrichtenportal «ZDF heute».
Falls das zuträfe, könnte das Regime von Wladimir Putin noch mehr kompromittierendes Material besitzen, um die Bundesregierung von Olaf Scholz in wichtigen Entscheidungen unter Druck zu setzen. Ähnlich sieht das auch die FDP-Aussenpolitikerin Agnes Strack-Zimmermann. Sie warf dem Kanzler mit Blick auf das Leak vor, sich in Sachen Taurus-Lieferung von Russland erpressbar zu machen.
Die Opposition fordert bereits einen Untersuchungsausschuss in der Sache. Der Chef der CSU-Bundestagsabgeordneten, Alexander Dobrindt, sagte dem «Spiegel», der Kanzler begründe seine Ablehnung von Taurus-Lieferungen «möglicherweise mit einer Falschdarstellung». Er forderte:
Ähnlich wie Dobrindt argumentierte der CDU-Verteidigungspolitiker Roderich Kiesewetter im ZDF: Es «muss geklärt werden, warum der Bundeskanzler mit Falschbehauptungen in die Öffentlichkeit geht, wo er sagt, dass deutsche Bundeswehr-Beteiligung vor Ort nötig sei».
Der CDU-Aussenpolitiker Norbert Röttgen konstatierte einen schweren Schaden für Scholz persönlich: Es stelle sich die Frage, «warum der russische Geheimdienst und vielleicht sogar eine höhere Stelle durch die Veröffentlichung des Gesprächs den Bundeskanzler gerade jetzt so massiv beschädigt», sagte Röttgen dem «Tagesspiegel».
Nun gilt es, einen Gang hochzuschalten, sonst wird auf dem reinen Cyberkrieg bald einer mit wirklicher „Hardware“ (sprich Soldaten).
Das gleiche gilt natürlich auch für die Schweiz. Jeder Franken/Euro den wir jetzt nicht an Waffen in die Ukraine schicken müssen wir später x-fach ausgeben.
Der Skandal ist nicht, dass es diese Gespräche gab. Solche Gespräche sind in diese Situation normal. Der eigentliche Skandal ist, dass sie wohl recht arglos mit der Sicherheit umgegangen sind. Denn für Gespräche diese Art gibt es abhörsichere Leitungen und diesbezüglich hat die Bundesregierung wohl versagt. Anders kann es sich der General a.D nicht erklären.