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Legion «Freiheit Russlands»: Wenn Russen für die Ukraine kämpfen

Legion «Freiheit Russlands»: Wenn Russen für die Ukraine kämpfen

In der Legion «Freiheit Russlands» sollen Russen an der Seite der Ukraine ihre eigenen Landsleute bekämpfen. Doch wie bedeutend ist die Einheit überhaupt?
02.01.2023, 22:06
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Ein Artikel von
t-online

Es ist eine ungewöhnliche Veranstaltung, die am 5. April im vergangenen Jahr in einem Presseraum der Agentur Interfax-Ukraine beginnt: Eingeladen haben drei namenlose Soldaten, die in Camouflageanzügen und maskiert zu der Pressekonferenz erscheinen. Das Wappen auf ihrer Schulter ist das Bild einer Faust. Ihre Flagge ist weder die ukrainische noch die russische, sie besteht aus weiss-blau-weissen Querstreifen.

Es ist ein Protestsymbol gegen den russischen Angriffskrieg, das vor allem in Russland verwendet wird: Protestler haben den roten Streifen der russischen Flagge, den viele von ihnen als Symbol für die sowjetische Vergangenheit oder Blut sehen, durch einen weissen ersetzt. Und es ist das Symbol der Legion «Freiheit Russlands», in der Russen aufseiten der Ukraine kämpfen.

Legion Freiheit Russlands: Diese russischen Soldaten kämpfen für die Ukraine.Video: YouTube/euronews (deutsch)

Am Anfang sollen es nur rund 100 russische Soldaten gewesen sein, mittlerweile soll «Freiheit Russlands» laut eigenen Angaben und der ukrainischen Regierung deutlich gewachsen sein – und auch prominente Unterstützung bekommen. Doch viele Angaben bleiben im Ungefähren: Ist die Einheit tatsächlich ein wichtiger Baustein in der ukrainischen Verteidigung – oder mehr Schein als Sein?

Gründung als Reaktion auf Irpin und Butscha

Er sei vor Kurzem noch ein Soldat der russischen Armee gewesen, erzählt einer der drei Maskierten bei der Pressekonferenz im April, der als «Kommandant» vorgestellt wird. In der Ukraine sei seine Einheit schnell unter schweren Beschuss geraten, ehe er festgenommen wurde. Schon da habe er festgestellt, dass es sich bei dem Einsatz nicht um eine «Spezialoperation» handle, wie es der Kreml propagiert hatte.

epa10377191 Ukrainian servicemen carry the coffin with Ukrainian soldier Dmytro Kyrychenko during the funeral ceremony at a cemetery in Bucha, northwest of Kyiv, Ukraine, 23 December 2022. A 33-year-o ...
Ukrainische Soldaten tragen eines ihrer Mitglieder zu Grabe.Bild: keystone

In der Gefangenschaft habe er von den Gräueltaten in Butscha und Irpin erfahren. «Mir ist klargeworden, dass es sich um einen echten Genozid handelt», erzählt der Soldat. Als Reaktion habe er mit anderen russischen Soldaten deshalb die Legion «Freiheit Russlands» gegründet, um das Regime von Wladimir Putin zu bekämpfen. Unterstützung habe man vom SBU, dem ukrainischen Inlandsgeheimdienst, erhalten.

Aktiv in den sozialen Medien

Auf der einen Seite geht die Gruppe sehr offen damit um, was sie will und was sie tut: Die Legion unterhält etwa Kanäle auf YouTube und Telegram, mit denen sie weit über einhunderttausend Abonnenten erreicht: Stolz werden dort etwa die Wrackteile einer russischen Drohne präsentiert, die die Legion abgeschossen haben will.

In einem selbst formulierten Manifest erläutern die Soldaten ihre Ziele: «Wir kämpfen gegen das diktatorische Regime von Wladimir Putin, gegen die Verletzung demokratischer Werte, die totale Korruption, die Verletzung der Menschenrechte und das Fehlen der Redefreiheit», heisst es dort etwa.

Die meisten Nachrichten sind versehen mit einem Hinweis auf das Bewerberportal, das neue Freiwillige rekrutieren soll. Unter den Soldaten heisst es, man erhalte rund 300 Anfragen pro Tag. Oleksij Arestowytsch, der im Beraterstab des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj tätig ist, sprach im Mai davon, die Bewerberzahl gehe «durch die Decke».

Motivierte Kämpfer oder gezieltes Marketing?

Wie wichtig die Einheit aber tatsächlich auf den Schlachtfeldern ist, lässt sich nur schwer sagen: «Es sind motivierte und professionelle Kämpfer, die ihre Aufgaben perfekt erledigen», sagte ein anonymer ukrainischer Offizier der Nachrichtenagentur AFP Ende Dezember. An der Front sollen die Soldaten hauptsächlich Artilleriewaffen einsetzen. Zum Gründungszeitpunkt hiess es etwa, dass die Legionäre vor allem an dem Panzerabwehrsystem NLAW ausgebildet wurden. Im Mai soll die Gruppe Aufnahmen veröffentlicht haben, die sie im Kampf um Sjewjerodonezk und Lyssytschansk in der Region Luhansk zeigen.

Für den ukrainischen Militärexperten Oleg Schdanow hat die Einheit dagegen weniger eine militärische als vielmehr eine politische Bedeutung: «Es ist gut für die Ukraine, wenn sie zeigen kann, dass auch Russen die Demokratie und Freiheit unterstützen und auf der richtigen Seite kämpfen.» Auf das Kriegsgeschehen hätten die russischen Kämpfer allerdings «aufgrund ihrer geringen Zahl keinen grossen Einfluss.»

Angst um Angehörige und Unterwanderung

In der Tat bleibt es an vielen Stellen unklar, wie viele Kämpfer überhaupt zur Legion «Freiheit Russlands» gehören. Im August hiess es in der «Moscow Times», die Einheit könne zwei vollständige Bataillone stellen, was mehr als 1.000 Soldaten entspricht. Das wäre bei Betrachtung der Gesamtzahl an ausländischen Kämpfer für das ukrainische Militär eine eher kleine Zahl: Das Aussenministerium sprach bereits Anfang März davon, dass die Streitkräfte von fast 20.000 Freiwilligen aus 52 Ländern unterstützt würden.

Es gibt zwei weitere Gründe, warum die Einheit sich an vielen Stellen lieber in Schweigen hüllt: Viele der Soldaten fürchten offenbar um ihre Angehörigen, die sich in den meisten Fällen noch in Russland aufhalten. Ein Soldat, der sich dem US-amerikanischen «Time»-Magazin mit dem Namen Vitya vorstellte, sagte, er habe seinen Eltern in Moskau erzählt, dass er zum Blutspenden und für andere Hilfsaktionen in der Ukraine sei, aber nicht um an der Front zu kämpfen.

Gleichzeitig gibt es Befürchtungen, dass russische Geheimdienste die Einheit unterwandern könnten. Dementsprechend anspruchsvoll soll sich das Auswahlverfahren gestalten: Laut Oleksij Arestowytsch müssen sich die Bewerber unter anderem zweimal einem Lügendetektortest unterziehen.

«Schliesst euch uns an»

Nicht alle Mitglieder hüllen sich aber konsequent in Schweigen: Die Gruppe veröffentlichte im Juni Aufnahmen, die den ehemaligen Vizepräsidenten der russischen Gazprombank, Igor Wolobujew, bei einer Schiessübung zeigten. Der einstige Topmanager hatte sich nach der russischen Invasion im Februar deutlich von dem russischen Krieg distanziert und war in die Ukraine geflohen.

Wolobujew wurde in der Stadt Ochtyrka im Osten der Ukraine geboren. Er sei zurückgekehrt, um sein Heimatland zu verteidigen, hatte er der Nachrichtenagentur Reuters nach seiner Flucht Ende April in Kiew erklärt. In dem Video mit ihm, das die Legion «Freiheit Russlands» nur knapp sechs Wochen später veröffentlicht, trägt der ehemalige Banker Schutzweste und Militärkleidung – und wirbt ganz im Sinne seiner Einheit um weitere Mitstreiter: «Wenn ihr Putins Regime hasst und wollt, dass Russland ein freies, demokratisches Land wird, schliesst euch uns an.»

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18 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Jo Kaj
02.01.2023 22:54registriert Juli 2019
Krass. Stellt euch vor, alle laufen über. Das wäre doch ein schönes Ende!
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G. Laube
02.01.2023 23:09registriert April 2020
Wenn es so ist, ist es gut, und könnte der Anfang eines Putsches sein…
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Maya Eldorado
03.01.2023 02:10registriert Januar 2014
Es gbit ja auch Russen, die Verwandte in der Ukraine haben. Umgekehrt gilt das natürlich auch.
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