Putin, ein Covid-Hypochonder? Gestern sah das anders aus
Seit Kriegsbeginn häufen sich Berichte über angebliche «Geheimdienstinformationen» über den Gesundheitszustand des russischen Präsidenten Wladimir Putin. Häufig kamen sie aus der britischen Boulevardpresse, deren Schlagzeilen von Woche zu Woche dramatischer wurden: Ende Mai hiess es, Putin sei möglicherweise schon tot. Erst kürzlich war bei der «Sun» zu lesen: «Vlad, the Weak» – Wladimir, der Schwächling – brauche «dringende medizinische Hilfe».
Solche Gerüchte haben gewiss nichts mit journalistischen Standards zu tun. Sie lassen sich weder bestätigen, noch stützen sie sich auf überprüfbaren Fakten ab. Ein wenig anders verhält es sich mit den Spekulationen, die sich auf Indizien stützen: So gab der Kremlsprecher Dmitri Peskow bekannt, dass Putins stundenlange Fernseh-Audienz verschoben wird. Sie fand – mit einer Ausnahme während des Pandemiejahrs 2020 – immer Mitte Juni statt und war in Russland immer ein grosses Fernsehspektakel.
Peskow begründete die Verschiebung nicht, die angeblichen «Insiderinformationen» aus dem Kreml zum Gesundheitszustand von Putin wären aber eine passende Erklärung. Sie würden zudem erklären, wieso sich Putins äussere Erscheinung seit Kriegsbeginn deutlich verschlechtert hat: Sein Gesicht wirkt aufgedunsen, und er begegnete im Frühjahr ausländischen Staatschefs nur aus grosser Distanz (man erinnert sich an die langen Tische).
Handschlag, Umarmung und viele Claqueure
Kurz nach Bekanntwerden der Audienz-Verschiebung zeigte sich Putin aber von einer anderen Seite: Gestern Freitag traf der russische Präsident seinen turkmenischen Amtskollegen Serdar Berdimuhamedow. Der russische Staatssender Rossija 1 berichtete um 20 Uhr in der Primetime-Nachrichtensendung «Vesti» darüber. Es wurden Bilder gezeigt, die offenbar die Gerüchte um seinen Gesundheitszustand widerlegen sollten.
Was war da zu sehen? Einerseits wurde erklärt, warum Putin überhaupt Berdimuhamedow in den Kreml einlud: Es wurden diplomatische Gepflogenheiten ausgetauscht, Partnerschaften angekündigt und lobende Floskeln ausgesprochen. Gezeigt wurden aber auch Bilder, wie sich die beiden Herren die Hand geben, umarmen und danach mehr als eine Viertelstunde vor laufender Kamera unterhalten. Lange Tische gab es also keine, die vor Wochen noch als Indizien für eine angebliche Covid-Hypochondrie Putins angesehen wurden.
Dafür gab es im Publikum reichlich Claqueure – also Leute, die auf Kommando applaudieren: Auf der rechten Seite sassen fünf Herren im Anzug, welche die ganzen zwanzig Minuten lang Notizen machten. Ein vom Kreml veröffentlichtes Video zeigte diese Gäste mehr als 20-mal, wobei sich die Person an der Kamera kreativ zeigte: Einmal gab es einen Schwenker von links nach rechts, dann eine Totale des ganzen Publikums und eine Fokusaufnahme einer schreibenden Hand.

Zu welcher Seite sie gehörten, liess sich nicht herausfinden. Das Kreml-Video zeigte nur, dass sie eher Diplomaten als Medienschaffende sind: Am Ende der Pressekonferenz gehörten sie zu den ersten, die applaudierten. Ebenso wenig war darüber zu erfahren, was diese fünf Herren die gesamte Zeit protokollierten und wieso sie so wichtig waren, dass sie mehrmals beim Notizenmachen gefilmt wurden: Die Abschrift der Pressekonferenz war kurz danach vom Kreml selbst veröffentlicht worden.
(pit)