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Temu setzt Schweizer Händler mit knallhartem Vorgehen unter Druck

So knallhart setzt Temu seine Preise durch – jetzt packt ein Schweizer Händler aus

Wer sich nicht an Tiefstpreise hält, verschwindet aus den Suchergebnissen: Das erlebte ein Zürcher Händler, als er die China-Plattform getestet hat.
18.10.2025, 10:2618.10.2025, 10:26
Pascal Michel / ch media

Plüsch-Puppen, Nagellack oder Elektronikzubehör: Solche Produkte verkaufen Schweizer Händler neuerdings auf der chinesischen Billig-Plattform Temu. Das Unternehmen hat sich erst Mitte September für hiesige Händler geöffnet und verspricht einen «kosteneffizienten und reichweitenstarken Verkaufskanal». Zunächst bietet Temu seine Plattform für Verkäufe in der Schweiz an, danach sollen internationale Märkte folgen.

Experten schätzen, dass Temu hierzulande letztes Jahr 700 Millionen Franken umsetzte.
Experten schätzen, dass Temu hierzulande letztes Jahr 700 Millionen Franken umsetzte. bild: Imago

Bisher sind es kleine, wenig bekannte Unternehmen, die auf Temu aktiv sind. Dazu gehört etwa ein Zürcher Elektronikhändler. Dessen Chef will seinen Namen nicht in der Zeitung lesen, ist aber bereit, über seine Erfahrungen auf der chinesischen Plattform zu sprechen.

In den letzten Wochen hat die Firma versucht, die Plattform und die Preisgestaltung zu durchschauen. Und zu evaluieren, ob Temu ein interessanter Absatzkanal sein könnte.

Nach einer ersten «Testphase» zieht der Händler ein ernüchterndes Fazit: «Die Anforderungen an Preis, Sichtbarkeit und Marge sind kaum mit den realen Kosten eines Schweizer Betriebs vereinbar – insbesondere wegen höherer Löhne, Versandkosten und Mehrwertsteuer.» Einen Verkauf konnte der Händler bisher nicht abwickeln, nicht einmal mit einem bewusst sehr günstig angepriesenen Produkt.

Wer nicht spurt, fliegt raus

Das erstaunt insofern nicht, als der Preiskampf auf Temu erbarmungslos ist. «Das Ziel scheint zu sein, in jeder Produktkategorie den niedrigsten Preis am Markt zu haben – unabhängig davon, wo der Händler sitzt oder welche Qualität er anbietet», sagt der Zürcher Elektronikhändler.

Zwar gebe Temu offiziell keine festen Verkaufspreise vor, so die Quelle. «In der Realität sieht man aber, dass das System laufend mit anderen Plattformen wie Amazon vergleicht. Darauf basierend erhält man ‹Empfehlungen›, welchen Preis man setzen sollte, um konkurrenzfähig zu sein. Diese Preise liegen teilweise unter dem eigenen Einkaufspreis, was natürlich nicht wirtschaftlich ist.»

Die Empfehlungen sind nicht bindend. Dennoch haben die Anbieter kaum eine Wahl: Wer als Händler nicht spurt, den macht Temu unsichtbar. «Wenn man die Empfehlungen ignoriert, verschwindet das Produkt praktisch komplett aus den Suchergebnissen. Das ist ein indirekter Druckmechanismus – keine Vorschrift, aber faktisch eine starke Beeinflussung.»

In Deutschland hat das Bundeskartellamt solche Praktiken zum Anlass genommen, eine Untersuchung gegen die Plattform einzuleiten. Es geht um eine «mögliche Einflussnahme auf die Preisgestaltung der Händler durch eine mögliche Bestimmung der Endverkaufspreise durch Temu selbst.»

Die Schweizer Wettbewerbskommission (Weko) befasst sich bisher noch nicht mit der Preispolitik des chinesischen Online-Riesen. Das liegt vermutlich daran, dass sich erst wenige hiesige Akteure detailliert mit dem System auseinandergesetzt haben. Die Zahl der Händler, die Material für eine konkrete Anzeige gesammelt haben, ist noch gering.

Branche will Anzeige prüfen

Das könnte sich bald ändern. Dagmar Jenni, Direktorin des Verbands Swiss Retail Federation, sagt gegenüber CH Media: «Wenn wir konkrete Hinweise in der Hand haben, werden wir auf jeden Fall eine Anzeige bei der Weko prüfen.» Jenni wollte sich nach dem Start der Schweiz-Offensive von Temu selbst einen Überblick über die Konditionen verschaffen. Das misslang: Nur ausgewählte Kunden könnten momentan ein Konto eröffnen, beschied ihr die Plattform.

Einer dieser Auserwählten war der Onlinehändler Brack, in der Schweiz eine grosse Nummer im Geschäft. Die Firma erteilte den Avancen aus China eine klare Absage. Wie Brancheninsider berichten, schrieb Temu verschiedene weitere Händler an – und warb gar damit, dass diese für den Zugang zur Plattform zumindest am Anfang nichts zahlen müssten.

Das überzeugte offenbar bisher nicht. Auch der Chef des Zürcher Elektronikvertriebs, der Temu ausprobiert hat, sagt: «Für uns ist Temu momentan eher ein technischer Test und keine ernsthafte Vertriebsplattform.»

Temu sei auch für den Chef des Zürcher Elektronikbvertriebs «keine ernsthafte Vertriebsplattform».
Temu sei auch für den Chef des Zürcher Elektronikbvertriebs «keine ernsthafte Vertriebsplattform». bild: keystone

Plattformen müssen neu Mehrwertsteuer abliefern

Die Skepsis gegenüber dem chinesischen Riesen bleibt hierzulande gross. Statt mit Temu gemeinsame Sache zu machen, versuchen insbesondere die führenden Schweizer Onlinehändler und ihre Verbände, die Konkurrenz aus China zu zähmen. Das Unternehmen solle sich an dieselben Regeln halten müssen wie Schweizer Firmen, lautet die Forderung.

Bei der Mehrwertsteuer sind diese «gleich langen Spiesse» seit Anfang Jahr Tatsache. Obwohl Temu sich selbst nur als Vermittler sieht und selbst nichts verkauft, muss das Unternehmen künftig 8,1 Prozent Mehrwertsteuer auf seine Schweizer Umsätze abliefern. Bisher nutzte Temu ein Schlupfloch: Die Anbieter auf der Plattform verschickten hauptsächlich Pakete im Wert von unter 62 Franken. Dort zog der Zoll die Mehrwertsteuer nicht ein, weil der Betrag unter 5 Franken gelegen hätte. Der administrative Aufwand wäre grösser gewesen als die Einnahmen.

Wie viel Geld Temu & Co. bisher an den Fiskus abgeliefert haben, kann die Eidgenössische Steuerverwaltung nicht sagen. Klar ist, dass sich bisher 51 Plattformen im Register eingetragen haben. 24 davon stammen aus dem Ausland. Diese ausländischen Firmen deklarierten im ersten Halbjahr Umsätze von 1,4 Milliarden Franken. Wie viel davon als Mehrwertsteuer dem Staat zufliesst, sei allerdings «ohne eingehende Prüfung» nicht eruierbar, so der Bund. Jedenfalls wurden bereits eine ausländische und drei schweizerische Plattformen gemahnt, weil sie nicht oder verspätet abgerechnet hatten. Bussen hat die Steuerverwaltung bisher keine verteilt.

Temu wehrt sich gegen Vorwürfe

Das Steuer-Schlupfloch scheint jedenfalls gestopft. Zudem intervenierte das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) kürzlich bei Temu, um unzulässige Lockvogel-Angebote auf der Webseite zu unterbinden.

Das reicht den hiesigen Händlern aber nicht. Sie sehen sich weiterhin an verschiedenen Fronten benachteiligt. So halte sich die Plattform weder an die Schweizer Produktsicherheitsstandards noch an Haftungsvorgaben oder an Recycling-Regeln.

Für Bernhard Egger, Geschäftsführer des Schweizer Handelsverbands, müssen Bundesrat und Parlament hier rasch nachbessern: «Dass Temu sich in diesen Punkten nicht an die Gesetze hält, ist für uns das grössere Problem als mutmasslich unzulässige Preisvorgaben im Geschäft mit lokalen Schweizer Händlern.»

In der Branche sei es kein Geheimnis, dass Temu massiven Einfluss auf die Preisgestaltung nehme, sagt Egger. «Wer als Händler dort verkauft, weiss, worauf er sich einlässt.»

Temu schreibt zu den Vorwürfen des Preisdiktats, man halte sich an die geltenden Gesetze und Vorschriften der Länder, in denen man tätig sei. «Wir sind bestrebt, eine gute Zusammenarbeit mit allen Beteiligten und eine positive Nutzungserfahrung zu gewährleisten. Wir sind zuversichtlich, dass etwaige Bedenken ausgeräumt werden können.»

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112 Kommentare
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ray7
18.10.2025 11:38registriert Oktober 2020
Niemand wird gezwungen, seine Produkte auf Temu anzubieten – und auch niemand, dort einzukaufen. Wer sich auf solche Plattformen einlässt, kennt die Spielregeln: Es geht um Tiefstpreise, nicht um Nachhaltigkeit oder faire Margen. Statt sich über die Bedingungen zu beklagen, sollte man sich grundsätzlich fragen, ob man dieses Geschäftsmodell überhaupt unterstützen will – und das nicht nur als Konsument, sondern natürlich auch als Händler!!!
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Omnomnomnivor
18.10.2025 11:30registriert Juni 2018
Schlussendlich sind wir da als Konsumenten in der Verantwortung. Wer ums Verrecken möglichst billig einkaufen will, macht damit automatisch Abstriche bei Nachhaltigkeit, Ökologie, Fairness dem Gewerbe gegenüber, usw. - ob bewusst oder nicht.

Wer nicht mit dem Minimallohn auskommen muss, sollte schlicht nicht bei Temu und Co bestellen. Dass Temu 700 Mio umgesetzt hat, deute ich als ziemliches Armutszeugnis für unsere Wohlstandsgesellschaft.
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dmark
18.10.2025 11:30registriert Juli 2016
Um bei Plattformen wie Temu oder Ali nicht "nach hinten geschoben" zu werden, bieten viele Anbieter ihre Produkte an, geben aber die Preise in der Übersicht für ein Ersatzteil vor.
Soll heissen, man sieht zwar ein (Beispiel) einen E-Roller, aber der Preis gilt (wenn man auf das Angebot geht) lediglich für die Bremsbeläge.

Scheint zu funktionieren...
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