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Warum manche Menschen trotz Fast Food und Zucker nicht zunehmen

Warum manche Menschen einfach nicht zunehmen

Es gibt sie wirklich: Menschen, die ihr Leben lang schlank bleiben, ganz ohne Sport oder Verzicht. Erst allmählich versteht die Forschung, wie ihr Körper funktioniert.
19.10.2025, 20:3119.10.2025, 20:31
Stephanie Schnydrig / ch media

Selbst als Tanja* während eines halbjährigen Aufenthalts in den USA Unmengen an Burgern ass, nahm sie kein Gramm zu. Bei einer Grösse von 1,78 Meter wog sie konstant um die 58 Kilogramm, was leichtem Untergewicht entspricht. «Gerade in meinen frühen Zwanzigern hätte ich gerne etwas zugelegt», sagt Tanja, die lieber nicht mit ihrem richtigen Namen in der Zeitung stehen möchte, heute. Im Frühling habe sie regelrecht versucht, sich hochzufuttern, etwa mit einem zusätzlichen Teller Pasta pro Tag, in der Hoffnung, im Sommer ein paar Kilo mehr auf den Rippen zu haben. Vergeblich.

Frau Hunger
Anders als Magersüchtige schränken sich gesund untergewichtige Menschen bei der Essensauswahl nicht ein.Bild: Shutterstock

In der Oberstufe verglich ein Klassenkamerad ihre Beine mit Zahnstocher. Eine Mitschülerin flüsterte, sie sei bestimmt magersüchtig. Doch das war und ist Tanja nicht. Abgesehen von gelegentlichem Eisenmangel fühlt sie sich kerngesund. Ihr Arzt meinte, bei ihr werde Nahrung offenbar einfach durch den Körper geschwemmt – mitsamt Nährstoffen wie Eisen.

Doch mit Vorurteilen haben auch andere von Natur aus sehr dünne Menschen zu kämpfen. Manche werden mit «Skinny Shaming» konfrontiert. Einige erzählen, sie trauten sich nach einem gemeinsamen Essen mit der Familie oder Freunden nicht aufs WC – aus Angst, man würde ihnen unterstellen, sich zu übergeben.

Verbrennen «wie ein Öfeli»

Tanja sagt, dass sie abgesehen von ein paar blöden Kommentaren in der Schulzeit nie vom Umfeld kritisiert worden sei. Vielleicht auch, weil sie sich beim Essen nicht einschränkt: «Fleisch, Fastfood, Zucker: Ich esse alles.» Nur «Megaportionen» möge sie nicht, sondern snacke lieber dauernd: «Ich bin wie ein kleines Öfeli, dem man ständig Holz nachlegen muss.»

Das Phänomen, trotz ausreichender oder gar übermässiger Kalorienaufnahme sehr dünn zu bleiben, wird in der Medizin als konstitutionelle Schlankheit bezeichnet. Etwa zwei Prozent der Bevölkerung gehören zu diesem Stoffwechseltyp, wie ein Forschungsteam um die Physiologin Mélina Bailly von der französischen Universität Clermont-Auvergne in einer aktuellen Übersichtsstudie zum Thema berichtet.

Energieverbrauch, der aus dem Rahmen fällt

Wie unterschiedlich der menschliche Körper auf überschüssige Kalorien reagiert, zeigte 1990 erstmals ein Experiment des französischen Genetikers Claude Bouchard. Zwölf eineiige Zwillingspaare, alle um die zwanzig Jahre alt, mussten sich 100 Tage lang überessen. Konkret vertilgten sie täglich 1000 Kalorien zusätzlich, was etwa zwei Tafeln Schokolade entspricht. Alkohol und Rauchen waren während der Studiendauer verboten, Sport auch. Die Resultate überraschten: Einige nahmen nur vier Kilo zu, andere mehr als das Dreifache.

Bleibt die Frage: Wohin verschwindet die überschüssige Energie? An übermässigem Sport liegt es offenbar nicht, wie eine Studie mit 150 gesunden, aber stark untergewichtigen Frauen und Männern aus dem chinesischen Shenzhen zeigt. Sie bewegten sich signifikant weniger als die normalgewichtige Kontrollgruppe, sie sassen länger und verrichteten weniger körperlich anstrengende Arbeiten. Auch Tanja sagt: «Ich hasse Joggen. Ich hasse Fitness,» Gelegentlich mache sie zu Hause Yoga. Ansonsten beschränkt sich ihre Sportlichkeit aufs Wochenende auf Ski-, Berg- und Hochtouren.

Matthias Betz ist Endokrinologe und Stoffwechselexperte am Universitätsspital Basel. Er sagt: «Eine kürzlich veröffentlichte Studie ergab, dass untergewichtige, aber gesunde Menschen einen rund zehn Prozent höheren Energieumsatz haben als man aufgrund ihrer Grösse, ihres Gewichts und der Körperzusammensetzung erwarten würde.» Anders ausgedrückt: Ein Teil der Energie verpufft bei ihnen einfach.

Teilweise verantwortlich ist ein erhöhter Spiegel von Schilddrüsenhormonen. «In den 1960er-Jahren hat man versucht Übergewichtige mit Trijodthyronin, dem aktiven Schilddrüsenhormon, zu behandeln», sagt Betz. «Dies führt zwar zu einem gesteigerten Energieumsatz in Ruhe, aber auch zu mehr Appetit». Und: Die Therapie brachte heftige Nebenwirkungen mit sich wie Nervosität, Schlafstörungen, Herzrhythmusstörungen und sogar ein erhöhtes Schlaganfallrisiko.

Kalorien landen im Klo

Eine weitere Überlegung lautet, dass konstitutionell Schlanke mehr Kalorien über die Atmung, den Urin oder Stuhl verlieren als Normalgewichtige. Hinweise für letzteres fanden Forschende, als sie den Energiegehalt der Ausscheidungen von Personen mit einem sogenannten Bombenkalorimeters massen. Demnach spülte eine Frau täglich rund 200 Kilokalorien das WC hinunter. Eine andere verlor dagegen lediglich 70 Kilokalorien über den Stuhl. Matthias Betz warnt jedoch vor Überinterpretationen: Denn die Differenz entspricht gerade einmal einem Fruchtjoghurt.

Ohnehin glaubt der Endokrinologe nicht an den Mythos des schlanken Freunds, der regelmässig fünf Stücke Sahnetorte isst: «So viel überschüssige Energie verschwendet kein Körper – es sei denn, man ist krank.» Als Beispiel nennt er Fettstühle: Wegen einer krankhaften Veränderung der Bauchspeicheldrüse wird dabei Fett unverdaut über den Stuhl ausgeschieden. Aber die gesund dünnen Menschen, so Betz, würden auf lange Sicht letztlich einfach weniger esssen als dickere Personen. «Aber nicht aus Disziplin, sondern weil sie schlicht weniger Appetit haben.»

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Konstitutionell schlanke Personen verspüren natürlicherweise seltener Hunger als Normalgewichtige.Bild: shutterstock

Tatsächlich zeigen Studien, dass bei konstitutionell schlanken Menschen nach dem Essen mehr Sättigungshormone ausgeschüttet werden, darunter auch mehr GLP1, jenes Hormon, das in Abnehmspritzen wie Wegovy wirkt. Gleichzeitig liegt der Spiegel des Hungerhormons Ghrelin bei ihnen konstant tiefer.

Ausserdem wählen gesunde Untergewichtige offenbar automatisch andere Lebensmittel als Normalgewichtige. In einer Beobachtungsstudie griffen sie deutlich häufiger zu Gemüse, Reis und pflanzlichen Proteinen, dafür seltener zu Fleisch, Kartoffeln und Fetthaltigen. Diese natürliche Lust auf Gesundes dürfte – zumindest teilweise – ebenfalls hormonell bedingt sein. Das legen Berichte von Patienten nahe, die sich GLP-1-Rezeptoragonisten spritzen: Sie haben nicht nur weniger Hunger, sondern verspüren weniger Lust auf Süsses, Fettiges und Fast Food.

«Schlanksein gehört zu mir»

Bleibt noch die Frage, wie stark die Gene den Appetit, die Hormone und das Dick- und Dünnsein generell beeinflussen. Eine Antwort darauf gibt eine Studie der Cambridge Universität, welche die Gene von sehr schlanken Menschen mit jenen von stark übergewichtigen Menschen verglichen hat. Demnach lassen sich die Unterschiede zu rund einem Drittel genetisch erklären.

Zwar gibt es nicht das eine Gen, welches den BMI bestimmt. Aber besondere Aufmerksamkeit hat das ALK-Gen bereits erhalten, das auch schon als Schlankheitsgen bezeichnet wurde. Denn bestimmte Varianten dieses Gens machen quasi immun gegen Gewichtszunahme, da es den Energieverbrauch ankurbeln kann. Medikamente, die auf ALK abzielen, existieren bereits, werden aber bisher gegen Krebs eingesetzt. Ob sie auch bei Übergewicht wirken und eingesetzt werden sollen, ist angesichts der Nebenwirkungen fraglich.

Tanja erzählt derweil, wie auch in ihrer Familie, vor allem väterlicherseits, alle sehr schlank seien. Sie allerdings hat inzwischen leicht zugenommen und wiegt heute mit 43 Jahren 64 Kilogramm. Das entspricht Normalgewicht. Sie spüre, wie sich ihr Körper seit Beginn der Perimenopause zu verändern beginnt. Anfang Jahr verschrieb ihr die Frauenärztin wegen Beschwerden wie Schlafstörungen sogar eine Hormonersatztherapie. «Innerhalb von drei Wochen habe ich fünf Kilo zugenommen», sagt Tanja. Daraufhin entschied sie, die Therapie wieder abzusetzen, um nicht weiter zuzunehmen. Denn: «Schlanksein gehört zu mir», sagt sie. «Alles andere wäre nicht mehr ich.» (aargauerzeitung.ch)

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87 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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ay77
19.10.2025 21:41registriert Dezember 2018
Also jemand, der am Wochenende Ski-, Berg- und Hochtouren unternimmt, ist ja nicht gerade unsportlich...
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Ius_Aeterna_93
19.10.2025 21:08registriert April 2024
Der Stoffwechsel verändert sich mit der Zeit bei den Meisten. Wer noch mit 28 ein Athletischer Mann war hat dann mit 58 plötzlich ein Ränzchen.

Was aber nicht zu empfehlen ist: sich mit Donuts zu stopfen nur weil man nicht zunimmt. Zucker, Transfettsäuren, all das Zeugs erhöhen den Cholesterinspiegel auch wenn man äusserlich nicht üppig ist. Viszerales Fett (z.B. Fettleber) ist anders als subkutanes Fett und an Diabetes erkranken auch nicht adipöse. Also bitte auch bei einem schnellen Stoffwechsel sich gesund ernähren.
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Beni Geiger
19.10.2025 21:15registriert Dezember 2024
Und dann immer die schlauen Sprüche wie :"Du musst mir essen"
Oder lästern etc.

Die Leute nehmen einfach nur sehr schwer zu, es geht zwar schon irgendwie, aber nur mit stopfen, das ist keine "essen" bzw. Genuss mehr 😉
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