Russland verfolgt penibel, wie die westlichen Medien über das Land berichten – und nützt diese Berichterstattung im Extremfall auch zu Propagandazwecken. So geschehen mit zwei «Reporter»-Filmen von SRF-Sonderkorrespondent Christof Franzen, wie das Schweizer Fernsehen selbst aufdeckte.
Der staatliche Fernsehsender Rossija 1 schnitt Franzens Dokumentarfilme so zusammen, dass darin nur patriotische prorussische Stimmen zu hören waren. Er zeigte die bearbeiteten Szenen am 20. Februar zur Primetime in der Sendung «60 Minuten», der russischen Tagesschau. Der Zusammenschnitt wurde mit Musik unterlegt, die Spannung so gesteigert. Jede kritische Nachfrage und Kritik am Regime oder am Krieg in der Ukraine wurde fein säuberlich entfernt.
Die russische Moderatorin sagt, Franzen hätte zeigen wollen, wie «barbarisch, dumm und betrunken» die Russen seien. Entgegen seinen Erwartungen, seien sie aber «freundlich, fleissig – und vor allem patriotisch» gewesen.
Franzen drehte eine «Reporter»-Folge mit Lukas Achermann, der vor einigen Jahren von Luzern nach Sibirien ausgewandert ist. Achermann betont, dass die Menschen aus dem Westen gewisse Vorurteile gegenüber Russland hätten, etwa dass das Land korrupt und gefährlich sei – das würde aber nicht stimmen. Im Gegenteil: Die Menschen seien extrem nett und gastfreundlich.
Rossija 1 nahm diese Szenen in ihre Tagesschau auf. Was der Sender nicht einbaute: Achermann sagte Franzen gegenüber auch, dass er sich nicht zu dem russischen Angriffskrieg äussern würde, zu gross sei seine Angst vor den Folgen.
Dass Franzen nur nach Russland gereist ist, um die Menschen dort als «barbarisch» oder «dumm» darzustellen, stimmt natürlich nicht. Franzen, der selbst während elf Jahren in Russland gewohnt hatte und dessen Ehefrau Russin ist, ist in das Land gereist, um dort zu erfahren, wie die Menschen in Putins Imperium weiterleben. Dabei hat er mit Russen gesprochen, die Putin unterstützen und den Krieg in der Ukraine befürworten und anderen, die sich kritisch äusserten.
Und zuletzt gab es auch jene, welche den Krieg vor der Kamera lobten – und sich kritisch äusserten, als sie nicht mehr lief.
Ein Tourist in Sotschi sagt etwa, er befürworte den Krieg nicht. Er ergänzt: «Es ist sogar so, dass gewisse Freunde von mir nun keine Freunde mehr sind.»
Franzen sprach auch mit den Eltern von Ilja Jaschin. Der Kreml-Kritiker sitzt seit Dezember 2022 im Gefängnis. Grund: Jaschin hatte kritisch über das Massaker von Butscha berichtet. Seine Mutter sagt in Franzens Dokumentation: «Es muss eine Einigung mit dem Westen geben. Russland kann nicht zu einem Nordkorea oder Iran werden.» Diese Szenen zeigte Rossija 1 aber nicht.
David Nauer, SRF-Korrespondent für Russland und die Ukraine, zeigt sich wenig überrascht. Er sagt gegenüber SRF: «Die russischen Behörden verfolgen sehr genau, was westliche Medien berichten.» Die russische Botschaft in Bern lese sicherlich Schweizer Zeitungen oder schaue SRF.
Der Zeitpunkt der Ausstrahlung der Propaganda überrascht wenig. Bald finden in Russland die Präsidentschaftswahlen statt. Wladimir Putin setzt nun alle Hebel in Gang. Ulrich Schmid, Professor für Osteuropastudien an der Universität St.Gallen, sagte watson gegenüber in einem Interview: «Putin wird mit mindestens 80 Prozent der Stimmen wiedergewählt und es wird eine Wahlbeteiligung von mindestens 70 Prozent geben.»
2018 kommunizierten die russischen Wahlbehörden Putins Sieg mit 77 Prozent der Stimmen und 68 Prozent Wahlbeteiligung. Nun wolle Putin noch bessere Ergebnisse. Dies, um zu demonstrieren, dass die Bevölkerung hinter ihm – und vor allem hinter dem Angriffskrieg gegen die Ukraine – stehe.
Putin brauche eine Legitimierung für den Ukrainekrieg. Denn gemäss Schmid ist ein Ende noch lange nicht in Sicht. Kriegstechnisch hätten die Ukraine und Russland mit denselben Problemen zu kämpfen: zu wenige Soldaten, zu wenig Waffen, zu wenig Munition. (jub)
Eine Demokratie muss das aushalten und weiterhin aktiv und objekt berichten.
Eine Gewissheit, welche dieser Tage oft etwas untergeht: Eine Demokratie ist einer Diktatur überlegen und wird es immer sein.
Wir brauchen nur ein wenig mehr Mut, uns das selber einzugestehen und danach zu handeln.