Begleitet von Beschwerden über massenhafte Verstösse ist in Russland am Sonntag der dritte und letzte Tag der Parlamentswahl angelaufen. Insgesamt waren 110 Millionen Menschen aufgerufen, im grössten Land der Erde die 450 Abgeordneten der neuen Staatsduma zu bestimmen. 14 Parteien stellen sich zur Wahl. Neben der Nationalversammlung werden auch zahlreiche Regional- und Stadtparlamente gewählt.
Die Wahl ist ein wichtiger Stimmungstest für Präsident Wladimir Putin – die Kremlpartei Geeintes Russland ist seine Machtbasis. Sie will ihre absolute Mehrheit verteidigen. Die letzten Wahllokale schliessen um 20.00 Uhr MESZ in Kaliningrad, früher das nördliche Ostpreussen um Königsberg. Danach wird mit der Veröffentlichung der ersten Ergebnisse gerechnet - etwa von der erstmals breit organisierten Online-Abstimmung.
Guten Morgen aus Moskau! Heute ist der letzte von drei Wahltagen bei den Parlamentswahlen. An den vergangenen zwei Tagen wurden landesweit Fälle von mutmasslicher Wahlmanipulation gemeldet. #Russland2021 Ein Beispiel: pic.twitter.com/xa62ESwk3d
— Luzia Tschirky (@LuziaTschirky) September 19, 2021
Voting is a wonderful thing. In Russia some people do it many times. pic.twitter.com/jFvUmP2Wqw
— Oliver Carroll (@olliecarroll) September 17, 2021
Die Wahl wird seit dem Beginn am Freitag von Manipulationsvorwürfen überschattet. Unabhängige Beobachter der Organisation Golos haben Tausende Verstösse landesweit aufgelistet – meist mit Foto- und Videoaufnahmen. Vielfach wurden Wahlurnen vollgestopft mit packenweise vorausgefüllten Stimmzetteln. Es gab zudem Berichte über Wählerzwang etwa unter Staatsbediensteten sowie über Mehrfachstimmabgaben.
Am höchsten lag die Wahlbeteiligung nach offiziellen Angaben in der russischen Teilrepublik Tschetschenien im Nordkaukasus und zwar bei 76,15 Prozent. Menschenrechtler sehen besonders dort immer wieder schwere Verstösse auch bei Wahlen. In St. Petersburg hingegen, Putins Heimatstadt, waren es demnach gut 20 Prozent Wahlbeteiligung. In der Hauptstadt Moskau wurde sie mit mehr als 36 Prozent angegeben, etwas mehr als bei der Parlamentswahl 2016.
Die zentrale Wahlkommission kündigte an, die Beschwerden zu prüfen. Bis Sonntagmorgen wurden mehr als 7000 Stimmzettel annuliert, hiess es. Wahlleiterin Ella Pamfilowa meinte, es seien bisher acht Fälle bestätigt, in denen Stimmzettel packenweise in die Urnen gestopft wurden. Auch die Kommunisten, die angesichts der verbreiteten Unzufriedenheit mit der Politik des Kremls auf einen Stimmzuwachs hoffen, beklagten vielfach Verstösse. Sie kündigten Proteste an.
Unabhängige Beobachter und Oppositionelle befürchten, dass sich die Kremlpartei mit massenhaftem Betrug einen neuen Sieg sichert. Die von der Wahl ausgeschlossene Opposition um den inhaftierten Kremlgegner Alexej Nawalny forderte zur Protestwahl gegen Geeintes Russland auf. «Heute ist ein wichtiger Tag», sagte Sprecherin Kira Jarmysch. «Geeintes Russland will uns diese Wahlen stehlen und uns danach weiterer fünf Jahre berauben.» Deshalb sollten die Russen für Kandidaten anderer Partei stimmen.
Zum Ärger der Kremlgegner hatten die Internetriesen Google, Youtube, Apple sowie der Nachrichtenkanal Telegram Empfehlungen des Nawalny-Teams für «schlaues Abstimmen» gelöscht. Dabei wurden konkrete Namen genannt, für die Wähler stimmen sollten. Die von den Behörden verbotenen Inhalte waren aber weiter über Twitter abrufbar.
Gewählt werden auch neue Regional- und Stadtparlamente. Bei den insgesamt mehr als 4400 Wahlen sind mehr als 31'000 Mandate neu vergeben. Beobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) sind diesmal nicht vertreten, weil sie mit den Bedingungen und der geringen Zahl zugelassener Experten nicht einverstanden waren. In dem Riesenreich gilt eine Wahlbeobachtung als besonders personalaufwendig.
Russland hatte die Einschränkungen für die westlichen Beobachter mit der Corona-Pandemie begründet. Wegen der Gefahr durch das Virus wurde die Abstimmung auf drei Tage angesetzt, damit Wähler die soziale Distanz und die Hygieneregeln einhalten können. Kritiker werfen den Behörden vor, Manipulationen zu erleichtern, weil Wahlurnen etwa nachts kaum zu kontrollieren seien. (sda/dpa)