In der aktuellen Zeit der Weltunordnung ist er einer der gefragtesten Redner am Weltwirtschaftsforum in Davos: Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg. Was er am Dienstag zum Ukraine-Krieg, zum anstehenden Nato-Beitritt Schwedens und Finnland und zum längerfristigen Verhältnis des Westens zu Russland zu sagen hat, wird mit Spannung erwartet.
Immerhin spricht Stoltenberg nicht für sich, sondern stets im Namen der 30 Mitglieder der schlagkräftigsten Verteidigungsallianz der Welt. Wie geht es weiter im Krieg? Ändert die Nato ihre Strategie? Die Weltöffentlichkeit wird gespannt an seinen Lippen hängen.
Das war allerdings auch schon anders. Die Reden Stoltenbergs galten für Nato-Beobachter nämlich bislang eher als Gelegenheit, mal für ein paar Minuten eine Nickerchen einzulegen. «Hölzern» ist das Adjektiv, das man über Stoltenberg vielleicht am meisten hört.
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Als Charismatiker, der sein Publikum mitzureissen weiss, kann man den 63-jährigen Norweger jedenfalls schlecht beschreiben. Er räuspert sich oft, stockt und weicht nie auch nur einen Zentimeter von der bis ins Detail austarierten Nato-Sprachregelung ab. Der «Sprechautomat» wurde er in Brüssel deshalb schon genannt.
Im Zuge des Ukraine-Kriegs gehört Stoltenberg aber zu jenen, die in der Krise an Profil zugelegt haben. Sein nüchterner Ton und seine klare Analyse ist genau das, was die Welt jetzt braucht. Unaufgeregt, aber entschlossen. Und vor allem immer trittfest. Von ihm gibt es keine rhetorischen Ausrutscher oder gemischte Botschaften an Wladimir Putin. Stoltenberg, ein sicherer Wert für den Westen.
Dabei wollte «Jens», wie sie ihn in Norwegen beim Vornamen nennen, längst aus dem Leben im permanenten Krisenmodus aussteigen. Seine Nomination als Chef der norwegischen Zentralbank hatte er auf sicher.
Im kommender September hätte Stoltenberg seine Zelte in Brüssel abbrechen und neu in Oslo aufschlagen wollen. Aber die Nato entschied anders. Ein Wechsel in diesen turbulenten Zeiten wäre unverantwortlich gewesen. Deshalb bot man Stoltenberg die Verlängerung seines Mandats um ein Jahr an. Ein Angebot, dass er nicht ablehnen konnte.
Nato-Generalsekretär wurde er im Jahr 2014 nach einem Überraschungsanruf von Angela Merkel. Sein Amtsantritt war nicht leicht: Zeitgleich hatte Russland die Krim annektiert und tobte der Krieg im Donbass.
Später lag es an Stoltenberg, das Bündnis gegen die Sabotage des US-Präsidenten Donald Trump zusammenzuhalten, der beim Gipfel im Jahr 2018 in Brüssel unverhohlen mit dem Austritt der Vereinigten Staaten drohte. Aber auch die Äusserung des französischen Präsidenten Emmanuel Macron, die Nato sei «hirntot», machte es Stoltenberg nicht einfacher.
Doch Stoltenberg machte seine Sache gut. Der Vater zweier erwachsener Kinder gilt als gewissenhafter und bescheidener Arbeiter, der zuverlässig Kompromisse schmiedet.
Stoltenberg schaffte es tatsächlich, Trump einzufangen und ihm die gewünschten Zahlen zu servieren, mit denen die Alliierten in Europa ihre Verteidigungsausgaben erhöhen würden.
Stoltenbergs Vermittlertalent dürfte auch daher stammen, dass ihm die Diplomatie und hohe Politik quasi in die Wiege gelegt wurde: Vater Thorvald war eine prägende Figur in der norwegischen Sozialdemokratie und zwischen 1970 und 1995 unter anderem Aussen- und Verteidigungsminister. Seine Mutter Karin war norwegische Staatssekretärin.
Aufgewachsen ist Jens in einem durch und durch sozialdemokratischen Milieu, besuchte die Waldorfschule in Oslo und demonstrierte in den 1970er Jahren - gänzlich untypisch für einen späteren Nato-Chef - mit langen Haaren gegen den Vietnamkrieg.
Als Chef der sozialdemokratischen Jugendorganisation kämpfte Stoltenberg sogar für den Austritt Norwegens aus dem Verteidigungsbündnis. Dazu sagt Stoltenberg heute: «Ich habe dann eigentlich früh erkannt, dass das eine absolut falsche Position war. Das ist Jahrzehnte her, da war ich noch ein junger Mann».
Trotzdem blieb Stoltenberg der sozialdemokratischen Jugendorganisation eng verbunden. Auch als er längst Parteichef und Ministerpräsident besuchte er regelmässig die Sommerlager der Jungsozialisten auf der Insel Utøya.
Es war auch dort, wo sich im Jahr 2011 die dunkelsten Stunden von Stoltenbergs Karriere abspielten. Als der rechtsextreme Attentäter Anders Breivik am 22. Juli bei einem Massaker 69 Jugendliche und Betreuer tötete, war Stoltenberg gerade auf der Sommerresidenz der Regierung, als ihn die ersten Nachrichten erreichen. Zuvor hatte Breivik bereits in der Hauptstadt Oslo eine 900-Kilogramm schwere Autobombe gezündet, die das Büro des Premierministers verwüstet und acht Menschen das Leben kostete.
Wie die ganze Nation war auch Stoltenberg geschockt. «Utøya war das Paradies meiner Kindheit. Am 22. Juli 2011 wurde es zur Hölle», erinnerte er sich später. In den nachfolgenden Tagen und Wochen wurde der Regierungschefs zum Trostvater der Nation.
Und auch hier schaffte er es, in der Krise genau die richtigen Worte zu finden: Die Antwort Norwegens auf Terror und Hass könne nur noch mehr Offenheit, noch mehr Menschlichkeit und noch mehr Demokratie lauten, so Stoltenberg in einer Ansprache an die Nation.
Zehn Jahre nach dem Attentat sagte Stoltenberg bei einer Gedenkveranstaltung: «Wieder und wieder werden wir daran erinnert, dass Demokratie nicht ein für alle Mal gewonnen wird. Wir müssen jeden einzelnen Tag für sie kämpfen». Sieben Monate später liess Russlands Präsident Wladimir Putin seine Armee in die Ukraine einmarschieren. (aargauerzeitung.ch)
So hat Norwegen zwar kurzfristig weniger davon, dafür sichert sich das Land langfristig eine nachhaltige Entwicklung.
Das Strassen- und Schienennetz wird zum Bsp. erneuert und ausgebaut, die familienexterne Betreuung optimiert, in Ausbildung und Innovation investiert.
Kurzfristig kostete ihn das damals die Wiederwahl, langfristig ist ihm das ganze Land dankbar dafür. Gibts nicht oft, langfristig denkende Politiker.