Die russische Invasion in der Ukraine läuft auch in ihrer zweiten Phase nicht nach den Vorstellungen des Mannes im Kreml: Nach der gescheiterten Einnahme Kiews im März konzentrieren sich russische Truppen seit April auf die Eroberung des Donbass.
Doch auch hier gerät die russische Panzerwalze ins Stocken: Nördlich von Charkiw befreite die ukrainische Armee zuletzt ein Dorf nach dem anderen. Und am Fluss Siwerskyj Donez kam es zu einer militärischen Niederlage, die ihresgleichen sucht: Beim Versuch, den Fluss mithilfe einer Pontonbrücke zu überqueren, verlor die russische Armee rund 50 Fahrzeuge und womöglich Hunderte Soldaten.
Angesichts des stockenden Vorstosses und der hohen Verluste an Menschen und Material stellt sich die Frage, wie lange Kremlchef Wladimir Putin die heisse Kriegsphase noch ausdehnen will und was er noch braucht, um einen Sieg zu deklarieren.
Entscheidend für den weiteren Kriegsverlauf sind vor allem die Entwicklungen in drei Regionen:
Bei Charkiw lässt sich derzeit eine erfolgreiche ukrainische Gegenoffensive beobachten: Im Norden und Nordwesten der zweitgrössten Stadt des Landes befreite die ukrainische Armee immer mehr Dörfer. Seit vergangenem Wochenende waren es nach Angaben des Generalstabs zehn Siedlungen, die nun wieder unter ukrainischer Kontrolle sind.
Damit rücken die Verteidiger immer näher an die russische Grenze. Ein ukrainischer Offizier sagte t-online am Freitag, die ukrainische Armee könne an einem Punkt der Front bis zu zehn Kilometer an Russland heranrücken. t-online konnte diese Information nicht unabhängig verifizieren. Es entspräche jedoch den Geländegewinnen der ukrainischen Streitkräfte in den vergangenen Tagen.
Der militärische Erfolg der Ukraine bei Charkiw fusst auch auf einer (Fehl-)Kalkulation der russischen Militärführung: Diese hatte zuletzt immer mehr Kämpfer und Material aus der Region um Charkiw in den Donbass verlagert, um dortige Truppen zu verstärken.
«Ein taktischer Fehler», sagt Mathieu Boulegue, Militärexperte der britischen Denkfabrik Chatham House, zu t-online. Die russische Militärführung habe offenbar zu schwache Verteidigungslinien aufgebaut und die Kampfkraft der ukrainischen Gegenoffensive unterschätzt. Um die Gegenoffensive zu stoppen oder eine eigene zu starten, müsse sie woanders Truppen und Material freisetzen, die aber dort wiederum fehlen könnten.
Auch in den Regionen Luhansk und Donezk läuft der Vorstoss aus russischer Sicht suboptimal. Die Kreml-Armee habe es bislang «verbockt», im Donbass signifikante militärische Erfolge zu erzielen, so Militärexperte Boulegue.
«Sie haben zwei Wochen gebraucht, um Isjum einzunehmen. Die wichtige Stadt Sjewjerodonezk ist weiter in ukrainischer Hand und auch der geplante Kessel um Kramatorsk ist vorerst gescheitert.»
Die russische Armee versuchte bereits vor Wochen eine Einkreisung ukrainischer Truppen auf Höhe der provisorischen Regionalhauptstadt Kramatorsk zu erreichen. Ein grosser Teil der ukrainischen Streitkräfte, unter anderem Einheiten mit hoher Kampferfahrung, ist dort stationiert. Bei einem Kessel wären sie von Nachschub abgeschnitten.
«Russland hat derzeit mit zwei Problemen zu kämpfen. Die erfolgreiche Gegenoffensive bei Charkiw zwingt Moskau auch defensiv zu denken: Jetzt muss die Armee nicht nur ukrainische Positionen angreifen, sondern auch ihre eigenen verteidigen», so Boulegue. Das zweite Problem betreffe die Tatsache, dass die russische Armee «nicht ewig kämpfen kann». Die westlichen Waffenlieferungen an die Ukraine und die schlechte Moral der eigenen Truppen bedeute, dass Putin nicht mehr viel Zeit für seine Offensive bleibe.
Nun gehe es darum, möglichst viel ukrainisches Territorium noch abzugreifen, bevor Russland das Gros der Kampfhandlungen einstellen müsse. «Für Putin tickt die Uhr», sagt der Militärexperte. Dabei spielten die Schlachtfelder des Südens hierbei eine besondere Rolle.
Im Süden und insbesondere der Region um Cherson sei Russland bisher am erfolgreichsten, so Boulegue. Hier habe die russische Armee seit Kriegsbeginn nicht nur grosse Landgewinne erzielt, sondern auch Besatzungsregime in grösseren Städten wie Mariupol und Cherson etabliert. Vor allem die wichtige Landbrücke zwischen der besetzten Halbinsel Krim und der Russischen Föderation sei durch eine breite Landmasse gesichert.
Dennoch ist auch hier nicht alles erreicht worden, was sich Russland vorgenommen hatte. Erinnert sei an die Angaben des russischen Generalmajors Rustam Minnekajew, der am 22. April die neuen russischen Kriegsziele offiziell bekannt gab: Neben der vollständigen Kontrolle des Donbass und der Eroberung des ukrainischen Südens sprach der ranghohe Militär zudem von einem «Korridor nach Transnistrien» zu den prorussischen Separatisten in Moldau.
Damit hatte Minnekajew die Eroberung von Odessa implizit als Kriegsziel nahegelegt. Allerdings ist Russland weit davon entfernt, auch nur in die Nähe der wichtigen Hafenstadt zu kommen: Bevor russische Artillerie die Stadt ins Visier nehmen oder gar eine Bodenoffensive auf die Stadt beginnen kann, müssen die Angreifer durch Mykolaijw, eine Stadt rund 130 Kilometer davor. Doch auch die Offensive auf Mykolaijw ist schon einmal gescheitert. Zwischen der ukrainisch kontrollierten Hafenstadt und dem rund 80 Kilometer entfernten, russisch besetzten Cherson gibt es seit Wochen kaum Bewegung: Stattdessen liefern sich ukrainische und russische Truppen eine Art Stellungskrieg mit wenig Landgewinnen für die eine oder andere Seite.
Auch die Eroberung von Mariupol ist immer noch nicht abgeschlossen. Noch immer haben sich Kämpfer des Asow-Regiments in den Katakomben der Industrieanlage verschanzt und leisten erbitterten Widerstand. Die russische Armee schickt ihre Artillerie, Kampfpanzer, Flugzeuge und sogar Kriegsschiffe gegen die letzten Verteidiger Mariupols, aber die halten der Walze weiter stand. Wie lange, wird sich zeigen. Die Hilferufe aus dem Stahlwerk werden lauter. Derzeit verhandelt die ukrainische Regierung über eine Evakuierung der Kämpfer. Der Kreml lehnt bisher strikt ab.
Die militärische Lage in der Ukraine sei weiterhin sehr volatil, sagt der Militärexperte Boulegue. Er erwarte jedoch, dass die russische Führung versuchen werde, in den nächsten Wochen möglichst viele Geländegewinne zu erzielen, bevor sie eine neue Phase des Kriegs einleite. «Es wird Übergang vom Bewegungs- zum Stellungskrieg geben. Russische Truppen werden sich eingraben und versuchen, die eroberten Gebiete politisch abzusichern. Nach innen durch die Etablierung von Besatzungsregimen, nach aussen durch Diplomatie.»
Es werde weiter Tote und einzelne Gefechte geben, so Boulegue. Aber die Zeit der grossen Offensiven werde vorbei sein. Der Kreml werde versuchen, so viel wie möglich seiner Kriegsbeute politisch abzusichern. Wie viel Land sie bis zu diesem Tag noch erobern können, wird sich in den kommenden Tagen und Wochen entscheiden.
Verwendete Quellen:
Russland wird auch seine eingegrabenen Stellungen nicht halten können.
Mit den neuen Switchblade Drohnen der USA zerstört man sämtliche Grabensysteme des Feindes mit 1 Angriff.
Und mit zerstören mein ich ausräuchern.
Schreckliche Waffe.
Vergiss es Russland. Es ist vorbei. Ende.
Ciao 👋🏼
Mir scheint, dass die Russen ihr vollmundiges Programm und die Zielformulierung völlig verpasst haben und eher arg unter Druck sind.
Da stellt sich die Frage, ob nun in Russland alle wirklich so abgeschirmt sind um diese Niederlage nicht wahrzunehmen.
Nimmt das Volk auch nicht die vielen Toten war?
Ich kann es nicht glauben und könnte mir vorstellen das es es langsam brodelt in RU.
Nach meinem Verständnis tickt die Uhr gegen Putin.
Russische Truppen werden sich eingraben und versuchen, die eroberten Gebiete politisch abzusichern. Nach innen durch die Etablierung von Besatzungsregimen, nach aussen durch Diplomatie.»
Mit Diplomatie versuchen geraubte Gebiete politisch abzusichern?
Diese Gebiete wurden geraubt und gehören zur Ukraine und Putins Truppen zurück nach Russland.