Um seine Personalie ranken sich seit dem bewaffneten Aufstand der Wagner-Söldner in Russland viele Gerüchte: Verteidigungsminister Sergej Schoigu. Ihn machte der Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin vor allem verantwortlich für die vielen russischen Rückschläge und Verluste im Ukraine-Krieg – zu Beginn seines Aufstands in der Nacht von Freitag auf Samstag ging er sogar noch einen Schritt weiter.
Er warf Schoigu vor, die Öffentlichkeit über die wahren Gründe des Krieges zu täuschen. Dass von der Ukraine eine Aggression ausgehe und diese gemeinsam mit der Nato Russland angreifen wolle, sei eine Lügengeschichte. Stattdessen sei es Schoigu nur darum gegangen, Marschall zu werden und eine zweite Heldenmedaille zu bekommen.
Als dann am Samstagnachmittag Prigoschin den Aufstand abbrach und ein Abkommen schloss, kamen schnell Fragen auf, was ihm dafür – neben Straflosigkeit – noch versprochen worden sein könnte. Eine Vermutung: Schoigu könnte als Verteidigungsminister abgesetzt werden.
Der Kreml dementierte das zwar schnell: Eine Veränderung an der Spitze des Ministeriums sei kein Bestandteil des Abkommens. Zudem könne nur der russische Präsident Wladimir Putin eine solche Entscheidung treffen. Doch bereits am Sonntag berichtete das russische Investigativportal «rucriminal.info» mit Bezug auf eine nicht näher genannte Quelle, dass Schoigu festgesetzt worden sei.
Demnach soll sich Schoigu «in Isolation unter der Aufsicht einer persönlichen Wache» befinden. Hintergrund sei eine Ermittlung des Geheimdienstes FSB wegen angeblicher Korruptionsvorwürfe. Diese sollen sich auf «gross angelegte Veruntreuungen» innerhalb des Verteidigungsministeriums beziehen. Andere Medien spekulieren bereits über einen möglichen Nachfolger Schoigus.
Hoch im Kurs steht dabei Alexei Djumin. Er ist der derzeitige Gouverneur des Gebiets Tula, ehemaliger Sicherheitsoffizier Putins, früherer Chef der russischen Spezialeinheiten – und Vertrauter Prigoschins. Der Militärexperte Marcus Keupp schreibt dazu auf Twitter: «Das ist kein Zufall.» Damit würde Prigoschin «im Prinzip» kontrollieren, «wer zuerst an die Ressourcen des Verteidigungsministeriums kommt».
Below is a brief description of Prigozhin's mutiny and the factors that contributed to its outcome. We, as observers, initially missed important details due to the scarcity of information and lack of time for in-depth analysis. Here's the perspective that currently seems most…
— Tatiana Stanovaya (@Stanovaya) June 25, 2023
Die Politologin und Gründerin des Analysezentrums R.Politik, Tatjana Stanowaja, glaubt hingegen nicht, dass Prigoschin in der Lage war, Forderungen zu stellen, wie die Absetzung von Schoigu. «Wenn das geschieht, dann aus einem anderen Grund», schreibt sie auf Twitter.
Bestätigt ist keines dieser Gerüchte – und der Kreml bemüht sich, gegenzusteuern. So veröffentlichte die Regierung nun ein Video von Schoigu. Der 47 Sekunden lange Clip ohne Ton, der Schoigu etwa in Beratungen mit anderen Militärs zeigt, soll bei einem Besuch im Kampfgebiet in der Ukraine aufgenommen worden sein, teilte das russische Verteidigungsministerium auf Telegram mit. Der Minister habe dort einen der vorderen Kommandopunkte besucht. Von wann das Video stammt, ist offen.
In case you wondering where is Sergei Shoigu, the press service of the ministry of defense of #Russia, published a video of him visiting the frontline command post of the Zapad group of forces. It's his first appearance after Prigozhin's coup.
— Hanna Liubakova (@HannaLiubakova) June 26, 2023
The date of the video is not clear. pic.twitter.com/5CKMNR5qxs
Max Seddon, der Chef des Moskauer Büros der «Financial Times», kommentiert: «Die russischen Staatsmedien zeigen Schoigu, wie er herumläuft und auf Dinge zeigt, offenbar um zu zeigen, dass alles normal ist. Aber das ist es ganz sicher nicht.»
Auch russische Militärblogger bezweifeln, dass es sich um aktuelle Aufnahmen handelt. So schreibt etwa der bekannte Blogger Rybar in seinem Telegram-Kanal: «Die Arbeitsreise von Verteidigungsminister Sergej Schoigu zur Truppengruppierung »West« scheint (zumindest berichten Quellen sowohl aus dem Feld als auch aus dem Hauptquartier davon) noch vor Beginn der Unruhen stattgefunden zu haben.»
Von Schoigu hatte am Wochenende in der Öffentlichkeit jede Spur gefehlt. Auch Russlands Generalstabschef Waleri Gerassimow äusserte sich in diesen chaotischen Stunden nicht. An ihm hatte Prigoschin ebenfalls scharfe Kritik geübt. Eine Ablösung der beiden würde als grosser Gewinn für ihn gewertet werden.
(dpa, t-online, cck)
Das ist allen bekannt und toleriert.
Wenn untersucht wir heisst nur das jemand ausser Gnade gefallen ist.