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Ukraine: Russland will Angriffe rund um Kiew «drastisch reduzieren»

epa09857141 A handout photo made available by the Turkish President's Press Office shows Turkish President Erdogan (C, back) addressing the Russian (L) and Ukrainian (R) delegations before their  ...
Verhandlungen zwischen der russischen und der ukrainischen Delegation in Istanbul am 29. März 2022.Bild: keystone

Russland will Angriffe «drastisch reduzieren» – doch eine Einigung ist noch nicht in Sicht

Die Friedensverhandlungen in Istanbul tragen Früchte. Russland will seine «militärischen Aktivitäten» deutlich reduzieren. Noch liegen die Forderungen der beiden Parteien aber weit auseinander.
29.03.2022, 16:5230.03.2022, 16:30
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Was ist passiert?

Am Dienstag trafen sich Delegationen aus der Ukraine und Russland im türkischen Istanbul, um die Friedensverhandlungen fortzuführen. Die Gespräche dauerten rund vier Stunden.

Nach dem Treffen liess der russische Vize-Verteidigungsminister Alexander Formin verlauten, dass man die «Feindseligkeiten in Richtung Kiew und Tschernihiw drastisch reduzieren» werde.

Dieser Schritt solle dazu dienen, gegenseitig Vertrauen aufzubauen und die Bedingungen für weitere Verhandlungen zu schaffen, sagte Fomin. Die Ukraine sei zudem dabei, einen Vertrag vorzubereiten über einen neutralen Status des Landes ohne Atomwaffen. Eine ausführliche Information über die Vereinbarungen von Istanbul solle es nach der Rückkehr der Delegation nach Moskau geben, so Formin.

Der ukrainische Generalstab teilte bereits mit, dass im Gebiet um die Hauptstadt Kiew und die nordukrainische Grossstadt Tschernihiw bereits ein Abzug einzelner Einheiten russischer Streitkräfte zu beobachten sei.

Es war die erste Ankündigung zu einem Rückzug dieser Art von russischer Seite. Das Verteidigungsministerium hatte vor einigen Tagen mitgeteilt, sich auf den Donbass im Osten der Ukraine konzentrieren zu wollen.

Ist ein Friedensvertrag jetzt in greifbarer Nähe?

Nein. Trotz erster Zusagen Russlands gestalten sich die Verhandlungen als schwierig. Die Positionen liegen weit auseinander: Die ukrainische Regierung will einen Abzug der russischen Truppen und Sicherheitsgarantien. Moskau fordert unter anderem einen Verzicht der Ukraine auf einen Nato-Beitritt sowie eine Anerkennung der abtrünnigen ostukrainischen Separatistengebiete als eigene Staaten und der 2014 annektierten ukrainischen Schwarzmeer-Halbinsel Krim als Teil Russlands.

Maria Sacharowa, Sprecherin des russischen Aussenministeriums, sagte zudem am Dienstag der Agentur Interfax, dass Russland seine «spezielle Militäroperation» fortsetzen wolle. «Sie verläuft streng nach Plan».

Die Aufgaben und Ziele würden weiter erfüllt. Bei den Friedensverhandlungen zwischen beiden Ländern gehe es weiterhin um die «Entmilitarisierung der Ukraine, die Entnazifizierung», sagte Sacharowa.

Was sagen die Ukrainer?

Präsidentenberater Mychajlo Podoljak bezeichnete die Gespräche auf Twitter als «schwierig». Die ukrainische Delegation beharrt im Austausch für einen möglichen neutralen Status auf harten Sicherheitsgarantien.

Diese sollten von den ständigen Mitgliedern des UN-Sicherheitsrats wie den USA, Frankreich, Grossbritannien, China oder Russland kommen, sagte Delegationsmitglied David Arachamija am Dienstag vor Journalisten in Istanbul. Dazu könnten auch die Türkei, Deutschland, Kanada, Italien, Polen, Israel und andere Länder gehören.

Die Garantien sollten ähnlich wie der Artikel fünf des Nato-Vertrages formuliert sein. Demnach sind die Mitglieder des Militärbündnisses zum sofortigen militärischen Beistand im Falle eines Angriffs auf einen Partner verpflichtet.

Weiter soll die Ukraine Möglichkeiten eines EU-Beitritts aushandeln wollen, wie der russische Unterhändler Wladimir Medinsky verlauten liess.

Gebietsabtretungen seien für Kiew zudem indiskutabel. «Wir erkennen nur die Grenzen der Ukraine an, die von der Welt mit Stand 1991 anerkannt sind», betonte der Fraktionsvorsitzende der ukrainischen Präsidentenpartei. Dabei könne es keine Kompromisse geben.

Komme es zu einem Friedensvertrag, so müsse dieser zudem erst vom ukrainischen Volk gebilligt werden. Ein Referendum sei jedoch nur in Friedenszeiten möglich.

Präsidentenberater Mychajlo Podoljak schrieb in einem Tweet, dass die Frage der Krim nach dem Ende der aktuellen Kampfhandlungen innerhalb von 15 Jahren diskutiert werden solle. Dieses Angebot sei der russischen Delegation auch an den Gesprächen unterbreitet worden.

Was sagen die Russen?

Der Leiter der russischen Delegation, Wladimir Medinsky, bezeichnete die Gespräche in Istanbul als «konstruktiv».

Der russische Vize-Verteidigungsminister Alexander Formin sprach indes davon, dass man mit der Reduzierung der «Feindseligkeiten» in eine praktische Ebene der Verhandlungen übergehe.

In den russischen Medien äusserte sich Formin nicht ganz so diplomatisch. Er bediente weiterhin das Narrativ der «Entnazifizierung» und stellte weitere Forderungen. So soll er gegenüber dem russischen Medium «Kommersant» gesagt haben: «Wir fordern den vollständigen Ausschluss der Folterpraxis bei unseren Kriegsgefangenen. Wir fordern die ukrainische Seite auf, umfassende Massnahmen zu ergreifen, um diese Praxis zu beseitigen.» In diesem Kontext habe Formin die Ukraine zudem dazu aufgefordert, sich bei der Behandlung von Kriegsgefangenen an die Genfer Konvention zu halten.

Wie geht es weiter?

Wann die Friedensverhandlungen weitergehen, ist momentan noch unklar. Es werde keinen zweiten Verhandlungstag geben, teilte das türkische Aussenministerium mit.

Der russische Chefunterhändler Medinski sagte laut der Nachrichtenagentur Reuters, dass man sich über die Vorschläge der ukrainischen Delegation unterhalten werde.

Derweil hätten russische Bataillonsgruppen bereits einige Gebiete in der Nähe von Kiew verlassen, wie CNN unter Berufung auf Quellen aus der US-Regierung berichtet. Der Sender stellt fest, dass der US-Geheimdienst dies als «grossen strategischen Wandel» bezeichnet. Gleichzeitig wird davor gewarnt, dass russische Truppen jederzeit neu stationiert werden können, wenn die Kampfbedingungen dies zulassen.

(dfr/mit Material der SDA)

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40 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Scrat
29.03.2022 17:53registriert Januar 2016
Warum sollte man dem Aggressor aus dem Kreml auch nur ansatzweise Zugeständnisse machen, nachdem dieser Abschaum von Mensch sinnlos alles zerbomt hat, was er konnte?
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Daniel Pünter
29.03.2022 17:48registriert April 2021
Was Putin's Leute und er selbst sagen, ist eine Sache. Was Putin's Leute tun, ist eine völlig andere Sache. Also ist seinem "Rückzug" auch nicht zu glauben, sondern es besteht eher die Gefahr, dass er seine Armee neu aufstellt, nachdem er erstmals auf die Nase gekriegt hat. Und was er im Osten weiterhin bietet, ist reiner Krieg und versuchter Genozid. Dass er das alles als "vertrauensbildende" Massnahme verkauft, ist reine Frechheit.

Deshalb, unterstützen der Ukraine verbessern, Stärke zeigen, und nicht einkicken vor dem Despoten Putin.
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Firefly
29.03.2022 17:50registriert April 2016
"Die ukrainische Delegation beharrt im Austausch für einen möglichen neutralen Status auf harten Sicherheitsgarantien."

Natürlich tut sie das, alles andere wäre sich dem Tiger erneut zum Frass vorwerfen.
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