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Was hinter dem mysteriösen Tod reicher Russen steckt

epaselect epa09935474 Russian President Vladimir Putin (L) speaks with Russian Defense Minister Sergei Shoigu as they attend the Victory Day military parade on the Red Square in Moscow, Russia, 09 May ...
Wladimir Putin zusammen mit dem russischen Verteidigungsminister Sergei Shoigu.Bild: keystone

Was hinter dem mysteriösen Tod reicher Russen steckt

22.05.2022, 17:2822.05.2022, 17:48
Laura Czypull / watson.de
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Herzversagen, Suizid oder doch der Schamane? So in etwa sieht die Liste der Todesursachen der verstorbenen reichen Russen seit Jahresbeginn aus. Oft ist der Grund offiziell aber einfach «ungeklärt».

Immer wieder sterben Wirtschaftsvertreter aus Russland unter mysteriösen Umständen. Besonders seit dem russischen Einmarsch in die Ukraine am 24. Februar häufen sich die Fälle. Zuletzt am 7. Mai: Alexander Subbotin, ein ehemaliger Topmanager bei der russischen Ölfirma Lukoil. Er wurde tot bei einem Schamanen aufgefunden.

Aufgrund dieser Umstände spekulieren Expertinnen und Experten, ob die offizielle Einstufung als Suizid nur eine Tarnung des Kremls sei, um eine Säuberungsaktion zu verschleiern. Es gibt sogar Vermutungen, dass Putin selbst hinter den Morden stecken soll.

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Eine rumänische Aktivistin in Bukarest.Bild: keystone

Dass Russland nicht gerade zimperlich mit Kritikerinnen und Kritikern umgeht, ist kein Geheimnis. Spätestens seit dem Anschlag mit dem Nervengift Nowitschok auf Sergey Skripal, Ex-Agent des russischen Militärgeheimdienstes, im Jahr 2018 und den Giftanschlägen auf den kremlkritischen Oppositionspolitiker Alexej Nawalny in 2020 ist klar: Wer Kritik am Kreml oder gar an Putin direkt übt – egal ob in Russland oder aus dem Ausland – sollte sich sicherheitshalber um Personenschutz bemühen.

«Es kam in den letzten Jahren immer wieder zu plötzlichem Sterben russischer Staatsangehöriger in Russland und im Ausland, bei denen viele vermuten, dass ein bisschen nachgeholfen wurde.»
Elisabeth Schimpfössl, Dozentin an der Aston University und Buchautorin von «Rich Russians: From Oligarchs to Bourgeoisie»

Denn der Aufenthalt in einem anderen Land ist, wenn überhaupt, nur eine kurzfristige Lösung für Kreml-Gegner. Der russische Unternehmer Oleg Tinkov befand sich zwar schon längere Zeit im Ausland – aber nachdem er Putins Krieg gegen die Ukraine öffentlich kritisiert hatte, engagierte er sich Leibwächter. Er fürchtet um sein Leben.

Was es mit den mysteriösen Sterbefällen der reichen russischen Wirtschaftsvertreter auf sich hat, hat watson gemeinsam mit Elisabeth Schimpfössl, Dozentin für Soziologie und Politik an der Aston University in Birmingham, und Fabian Burkhardt, Osteuropaexperte am Leibniz-Institut, für euch analysiert.

Immer wieder sterben russische Wirtschaftsvertreter

Seit dem brutalen Einmarsch Russlands in die Ukraine am 24. Februar, oder unmittelbar davor, sind offiziell acht russische Wirtschaftsvertreter und teilweise auch ihre Familien gestorben. Oder umgebracht worden. Das ist unklar. Die meisten von ihnen arbeiteten im russischen Energiesektor.

Die Wortwahl ist hier entscheidend: Entgegen der meisten Berichte über den Tod von mehreren russischen «Oligarchen» handelt es sich bei den Verstorbenen lediglich um ehemalige Topmanager oder Unternehmer aus der russischen Wirtschaft. So jedenfalls erklärt es Osteuropaexperte Fabian Burkhardt gegenüber watson.

Oligarchen hingegen seien die Klasse der Superreichen, die mit ihrem Reichtum auch politischen Einfluss ausüben. Das habe in den vergangenen zwei Jahrzehnten abgenommen – obwohl die Zahl der Dollarmilliardäre mit Privateigentum in Russland deutlich zugenommen habe.

Alexander Subbotin
Alexander Subbotin starb mit 43 Jahren.Bild: keystone

«Es kam in den letzten Jahren immer wieder zu plötzlichem Sterben russischer Staatsangehöriger in Russland und im Ausland, bei denen viele vermuten, dass ein bisschen nachgeholfen wurde», sagt Elisabeth Schimpfössl im Gespräch mit watson.de. Beispielsweise die Leiter des militärischen Auslandsgeheimdienstes. Im Zweijahrestakt starben einige von ihnen an Vergiftungen oder angeblichen Herzinfarkten.

Der letzte Fall: Sergei Shoigu. Der russische Verteidigungsminister wurde im März mit einem schweren Herzinfarkt ins Krankenhaus eingeliefert. Auf der Intensivstation musste er maschinell beatmet werden. Kein Zufall, laut Schimpfössl: Möglicherweise sei er vergiftet worden.

Die Oligarchen-Expertin geht allerdings nicht davon aus, dass Putin selbst etwas mit der Vielzahl der mysteriösen Todesfälle zu tun hat.

Sie sagt:

«Putin selbst wird nicht hinter einer möglichen Beauftragung von Morden stecken. Dafür waren diese Menschen zu unwichtig.»

Kein Mordauftrag durch Putin

Eher könnte es sich bei den mysteriösen Sterbefällen um einen «Kleinkrieg auf niedriger Ebene» gehandelt haben, sagt Schimpfössl. Damit meint sie: Die Strukturen in Russland und im Kreml sind streng hierarchisch geprägt. Kommuniziert wird ausschliesslich auf der gleichen Hierarchieebene. Es könnte also auch ohne die Involvierung Putins zu einem Konflikt auf einer der niedrigeren Dienstgrade gekommen sein.

«Derzeit gibt es keine Hinweise darauf, dass es sich bei den Todesfällen um eine zentral gesteuerte Serie von Morden handelt.»
Fabian Burkhardt, Osteuropaexperte am Leibniz-Institut

Zwar kämen russische Unternehmer immer mal wieder zweifelhaft zu Tode, die Häufung seit Beginn des russischen Angriffskrieges in der Ukraine sei aber auffällig, bestätigt Schimpfössl. Trotzdem müssten die Todesfälle nicht zwingend mit dem Krieg zusammenhängen.

Auch ein Zusammenhang zwischen den einzelnen Todesfällen lässt sich nicht bestätigen, lediglich vermuten. Immerhin waren sechs der acht Toten im russischen Energiesektor tätig – die Hälfte von ihnen sogar direkt bei Gazprom. Burkhardt sagt: «Derzeit gibt es keine Hinweise darauf, dass es sich bei den Todesfällen um eine zentral gesteuerte Serie von Morden handelt.»

Gehäuftes Vorkommen der Todesfälle spricht für andere Gründe

Grundsätzlich seien verschiedene Szenarien denkbar, erklärt er. Denn russische Topmanager hätten generell einen stressigen und «ungesunden» Lebensstil. Durch gefährliche Hobbys könne es zu Unfällen kommen und durch zu viel Stress im Beruf zu Herzinfarkten oder einem Suizid. Allerdings spreche das gehäufte Vorkommen – sowohl in Russland als auch im Ausland – dafür, dass andere Gründe im Spiel sein könnten, beziehungsweise müssten, sagt Burkhardt.

«Bisher fehlt es an belegbaren Quellen, welche Gründe tatsächlich dahinterstecken könnten.»
Fabian Burkhardt, Osteuropaexperte am Leibniz-Insitut

Zum Beispiel der russische Geheimdienst. Er könnte einzelne Personen ausschalten, weil diese über wichtige Informationen verfügen, die nicht in falsche Hände geraten sollen.

Oder die kriegsbedingte Umverteilung von Eigentum und Besitzrechten in Russland. Sie sorge bereits jetzt für «Dynamik und Verteilungskämpfe», sagt Burkhardt. Das könne auch dazu führen, dass sich Konkurrenten in der Wirtschaftsbranche mithilfe von Geheimdiensten gegenseitig ausschalteten.

Das alles seien allerdings derzeit nur Theorien, betont Burkhardt. «Bisher fehlt es an belegbaren Quellen, welche Gründe tatsächlich dahinterstecken könnten.»

Zusammenhang der Fälle im Energiesektor möglich

Der schwedische Wirtschaftswissenschaftler Anders Aslund sieht zumindest bei den Gazprom-Todesfällen einen möglichen Zusammenhang. Er will aus russischen Quellen erfahren haben, dass der russische Geheimdienst zwei Listen mit Namen von Führungskräften aus der Energiebranche in Russland erstellt haben soll. Die eine Ende 2021, die andere Anfang März. Das sagte Aslund der «New York Post».

Und weiter:

«Putin finanziert einen Grossteil seiner Geschäfte über Gazprom und die Gazprombank. Und die Führungskräfte, die dort arbeiten, wissen alles über diese geheime Finanzierung. Der Gassektor ist der korrupteste Sektor in Russland.»

Der Kreml habe den Verdacht, dass jemand aus der Energiebranche Informationen über Finanzierungen durchsickern lasse. Eine Finanzierung geheimer Operationen des russischen Geheimdienstes. Eine Finanzierung der Invasion in die Ukraine. Durch die Gazprombank.

FILE - A view of the business tower Lakhta Centre, the headquarters of Russian gas monopoly Gazprom in St. Petersburg, Russia, Wednesday, April 27, 2022. Russia has halted natural gas exports to neigh ...
Gazprom-Hauptquartier in St. Petersburg.Bild: keystone

Aslund meint zu wissen, dass die Listen Wladimir Putin vom Inlandsgeheimdienst vorgelegt worden wären und dieser die Liquidierung aller Personen auf der Liste genehmigt habe – ohne einen genaueren Blick darauf geworfen zu haben.

Es geht also neben den Informationen auch um Geld. Um viel Geld. Die Denkfabrik Warschauer Institut hält in einem Bericht dazu fest:

«Möglicherweise vertuschen einige hochrangige, mit dem Kreml verbundene Personen jetzt die Spuren des Betrugs in staatlichen Unternehmen. Sollte es bei Gazprom zu grösseren personellen Umschichtungen in der Führungsetage kommen, könnte diese Hypothese zutreffen.»

Denn sobald die Polizei an den Tatorten eintraf, tauchten auch Sicherheitsbeamte von Gazprom auf.

Bei den mysteriösen Todesfällen könnte es sich um Morde handeln. Und vieles deutet in Richtung Russland. Dass sie aber direkt aus dem Kreml oder sogar von Putin selbst in Auftrag gegeben wurden, ist eher unwahrscheinlich.

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58 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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stormcloud
22.05.2022 17:32registriert Juni 2021
Ich warte auf das baldige Ableben eines bestimmten Russen.
Kleiner Tip:
Sein Nachname fängt mit "P" an...
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Liebu
22.05.2022 17:44registriert Oktober 2020
Hier würde man sagen, ein Bandenkrieg in dem es darum geht sich in der neuen Hierarchie gute Startplätze zu sichern.
Aber zu vieles ist unklar. Die einzige Gemeinsamkeit ist, dass sie ziemlich sicher geselbstmordet wurden, durch wen auch immer.
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Marjorie
22.05.2022 18:04registriert Mai 2021
Eigentlich ist es doch egal, ob der russische Oberkaspar den Befehl für diese Morde gegeben hat, oder diese „nur“ in seinem Wissen geschehen. Das die Morde in westlichen Ländern, unter unseren Augen geschehen und nicht wirklich aufgeklärt werden macht mir mehr Angst.
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