Wladimir Putin setzt einen Teil seines Atomarsenals in Bewegung. Taktische Nuklearwaffen - also solche, die auf kürzere Entfernung auf dem Schlachtfeld eingesetzt werden können - werden nach Weissrussland verlegt, verkündete der Kreml-Chef am Wochenende.
Bis im Juli sollen die entsprechenden Lagerplätze im Nachbarland fertiggestellt sein. Putins Begründung für den Schritt: Die Lieferung von Uranmunition aus Grossbritannien an die Ukraine.
Wie immer, wenn Putin mit dem atomaren Säbel rasselt, wächst im Westen die Sorge. Doch diesmal hat die Drohung in Wahrheit gar nicht so viel mit den westlichen Staaten zu tun. Russlands Präsident verfolgt ein ganz anderes Ziel. Das zeigt bereits die an den Haaren herbeigezogene Erklärung rund um die Urangeschosse für Kiew.
Es stimmt, Grossbritannien liefert Munition mit abgereichertem Uran an die Ukraine. Diese hat jedoch, anders als von Russland dargestellt, nichts mit Nuklearwaffen zu tun.
Laut dem Sprecher des Nationalen Sicherheitsrats der USA, John Kirby, ist Uranmunition nicht radioaktiv und «nicht einmal nahe dran», als Nuklearwaffe zu gelten.
Der britische Aussenminister James Cleverly sagte, nur weil das Wort «Uran» in der Bezeichnung der Munition vorkomme, bedeute dies nicht, dass es sich um nukleare Munition handele. Es handele sich um konventionelle Munition. Von einer Eskalation könne keine Rede sein.
Vielmehr hat Uranmunition aufgrund ihrer enorm hohen Dichte eine besondere Durchschlagskraft gegen feindliche Panzer. Russland verwendet die Munition selbst.
Umstritten sind die Urangeschosse allerdings. Laut der kanadischen Atomsicherheitskommission ist das gesundheitliche Hauptrisiko nicht die Radioaktivität, sondern die chemische Giftigkeit des abgereicherten Urans.
Weissrussland ist seit 27 Jahren atomwaffenfrei. 1996 wurden die letzten Bestände aus der Sowjetzeit an Russland überführt. Zwei Jahre zuvor hatte sich Russland bereits verpflichtet, die Grenzen des Landes anzuerkennen - genau wie jene der Ukraine übrigens.
Diktator Alexander Lukaschenko will diesen Status schon länger aufheben. Bereits 2021 strebte er eine Änderung der Verfassung an, die seinem Land die Beherbergung von Atomwaffen ermöglichen sollte. Kurz nach dem russischen Überfall auf die Ukraine peitschte er die Änderung durch.
Nach der jüngsten Ankündigung Putins folgt nun also der Vollzug dessen, was schon länger geplant war. Mit militärischen Überlegungen hat das eher weniger zu tun - weder mit Blick auf den Westen noch auf die Ukraine.
Wenn Putin Letztere mit taktischen Atomwaffen angreifen will, braucht er dazu nicht Weissrussland als Basis. Und was den Westen betrifft: In der russischen Exklave Kaliningrad, die westlicher liegt als Weissrussland, sind längst atomwaffenfähige Raketensysteme stationiert - mutmasslich auch Atomwaffen selbst.
Dass die neueste Ankündigung aus Moskau den Westen aufschreckt, nimmt Putin freilich gerne mit. Dem Kreml-Chef geht es mit der Verlegung von Nuklearraketen nach Weissrussland allerdings um etwas anderes: nämlich um die vollständige Unterwerfung des Nachbarlandes.
Putin ist ein Mann der Symbolik. Die Waffenverlegung nach Weissrussland kündigte er wohl nicht zufällig ausgerechnet am 25. März an - an diesem Tag begehen die Weissrussen den «Tag der Freiheit» und erinnern an die Unabhängigkeitserklärung der Demokratischen Republik Weissrussland im Jahr 1918.
Darauf weist auch die weissrussische Oppositionelle Swetlana Tichanowskaja hin. Auf Twitter schreibt sie: Die Ankündigung dieses Schrittes am 25. März - dem Tag der Freiheit - [...] ist kein Zufall und unterstreicht, dass Russland die Souveränität von Weissrussland missachtet.
Putin vereinnahmt diesen Tag, um das von Lukaschenko in Alleinherrschaft regierte Land ein grosses Stück näher an das eigene Reich zu binden. Am Ende dieses kolonialistischen Plans steht die vollständige Eingliederung des Nachbarlandes in Putins Imperium. Die Frage ist wohl nicht mehr ob, sondern nur noch wann dieser letzte Schritt vollzogen wird.
Dass Putin seinerseits erst vor wenigen Tagen zum Vasallen degradiert worden ist - nämlich von Chinas Präsident Xi Jinping bei dessen Moskau-Besuch - dürfte ebenfalls eine Rolle gespielt haben.
Zwar hat Xi mit seinem Trip nach Russland deutlich gezeigt, auf wessen Seite China im Ukraine-Krieg steht. Doch ebenso klar wurde, dass sich Russland keineswegs mehr auf Augenhöhe mit China befindet. Das zeigt allein der Umstand, dass Xi seinen russischen Amtskollegen nicht zum Staatsbesuch nach Peking einlud, sondern lediglich als Teilnehmer einer Seidenstrassen-Konferenz.
Xi diktiert die Regeln, Putin folgt. Immerhin: Lukaschenko kann er noch Befehle erteilen. Für Putin ein wichtiges Instrument, um von der eigenen Schwäche abzulenken.
Schwäche zeigt Russland nicht nur auf der internationalen politischen Bühne, sondern auch an der Kriegsfront. Die gefürchtete Winteroffensive scheint ohne grosse Geländegewinne bereits ihren Höhepunkt überschritten zu haben.
Das britische Verteidigungsministerium konstatiert: «Russlands Angriff auf die Donbass-Stadt Bachmut ist weitgehend ins Stocken geraten.» Dies sei wohl hauptsächlich auf die extreme Zermürbung der russischen Streitkräfte zurückzuführen. Auch die Ukraine habe allerdings schwere Verluste erlitten.
Hinzu kommen die Zerwürfnisse zwischen Militär und der Söldnertruppe Wagner. Die Privatarmee in Diensten Russlands hat jüngst sogar den zumindest teilweisen Rückzug aus der Ukraine in Aussicht gestellt.
Russland dürfte sich, so das Fazit des Verteidigungsministeriums in London, nun vor allem auf die Verteidigung der eroberten Gebiete konzentrieren. Der Griff nach Weissrussland und das ständige Hochhalten der atomaren Bedrohung soll von diesem abermaligen Rückschlag in der Ukraine ablenken. (aargauerzeitung.ch)