Am 23. Februar wird in Russland der Tag des Verteidigers des Vaterlandes gefeiert, der an die Anfänge der Roten Armee am 23. Februar 1918 erinnern soll. An diesem Feiertag werden all diejenigen geehrt, die in den russischen Streitkräften dienen oder gedient haben.
Genau dies hat der russische Präsident Wladimir Putin gestern zum Anlass genommen, eine riesige Show zu veranstalten. Selbstverständlich nutzte er die Gelegenheit auch, um wieder darauf hinzuweisen, wie heroisch Russland in der Ukraine für das Vaterland kämpfe.
Die Bilder des gefüllten Luschniki Stadions in Moskau, in dem die Show stattfand, wirken zunächst beeindruckend. Bei genauerem Hinsehen aber, wird schnell klar, dass sich die feierliche Stimmung an der Show in Grenzen gehalten haben dürfte.
Putin hat im Vorfeld der Show nichts anbrennen lassen. Um mögliche Peinlichkeiten – wie ein halbleeres Stadion oder kaum verkaufte Tickets – zu verhindern, kamen diese gar nicht erst in den Verkauf. Nicht nur das: Auf der Webseite des Luschniki-Stadions ist die Show nicht einmal gelistet.
Und doch schien das Stadion gestern komplett gefüllt zu sein. Gemäss russischen Medien sollen am Event 200'000 Menschen teilgenommen haben. Wie das?
Schon letzte Woche sollte damit begonnen worden sein, Statisten und Zuschauerinnen zu rekrutieren. Verwendet wurden dafür Kanäle, auf denen üblicherweise Zuschauende für TV-Formate gesucht werden. Für ihre Teilnahme wurde den Interessierten 500 Rubel sowie Werbegeschenke versprochen.
Auch Studierende sollen eingeladen und gebeten worden sein, noch Freunde mitzubringen. Sie seien unter anderem mit Freipässen für Prüfungen gelockt worden, berichtet die New York Times. Andere wiederum hätten gar keine Wahl gehabt: Grigory B. Yudin, ein Professor für politische Philosophie, berichtet, dass Studierende mit Bussen abgeholt und zur Teilnahme gezwungen worden seien. Ihm lägen entsprechende Berichte von mehreren Universitäten vor. Dasselbe Schicksal ereilte auch viele Staatsangestellte. Sie seien einfach in Busse gesetzt und zum Stadion gefahren worden.
Never seen so many 🚌, all to bring people in to see Putin pic.twitter.com/UED1P855SR
— Diana Magnay (@DiMagnaySky) February 23, 2023
Videos des noch leeren Stadions vor der Show zeigen, wie zur Vorbereitung alle Plätze mit russischen Fähnchen ausgestattet wurden.
Luzhniki stadium is getting ready for a mass pro-war rally today. Putin will reportedly show up.
— Faytuks News Δ (@Faytuks) February 22, 2023
pic.twitter.com/N51nfSSIMX
Damit diese auch ordentlich geschwenkt werden, wurden extra Leute aufgeboten, die dies sicherstellen sollten. Ein Video eines französischen Journalisten zeigt, wie ein unzufriedener Aufseher einen Zuschauer dazu aufruft, seine Fahne besser zu schwenken. Wer seinen Job nicht gut genug gemacht habe, dem sei die Fahne weggenommen und jemand anderem gegeben worden, berichtet der Journalist.
Comme nous étions dans le champ des caméras, il fallait que les drapeaux soient toujours soulevés, ceux qui n'étaient pas assez dynamiques se voyaient confisquer leur drapeau (confié à quelqu'un d'autre), et devaient dire à quel groupe ils appartenaient. pic.twitter.com/l2YYJH2WYv
— Paul Gogo (@Paugog) February 22, 2023
Den Zuschauenden, die bei -12 Grad Celisus im Stadion froren, wurde eine Show geboten, welche das Militär romantisierte, den Ukrainekrieg feierte und den Westen verteufelte.
Den Auftakt machte eine Gruppe in verschiedenen Kostümen, welche die russischen Soldaten durch verschiedene Zeiten hinweg darstellen sollte. Dazu wurde ein Text vorgelesen, der Parallelen zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart zog und eine nicht so subtile Warnung an den Westen enthielt:
"We insistently remind the world: do not go to war with Russians!" - concert at Russian Luzhniki stadium.
— Anton Gerashchenko (@Gerashchenko_en) February 22, 2023
Are they demonstrating the weapons Russia will fight with soon? pic.twitter.com/yRyoEAPfbk
Es folgten angebliche Helden von der Front in der Ukraine, die emotionslos patriotische Texte vortrugen. Die anschliessend auftretenden Musiker zeigten zwar Leidenschaft, ernteten aber mit wenigen Ausnahmen nur spärlichen Applaus. Daran vermochten sogar die Kriegsszenen aus der Ukraine nichts zu ändern, die während der Auftritte auf den Leinwänden abgespielt wurden.
Nach etwa 50 Minuten gab ein russischer Soldat einen für den Ukrainekrieg gedichteten Rap zum besten. In einer Anspielung an die sowjetische Siegesfahne rappte er davon, wie die rote Flagge über Berlin wehen wird:
Attention, Germany!
— Anton Gerashchenko (@Gerashchenko_en) February 22, 2023
Russians sing about "Russian flag over Berlin" at Luzhniki stadium. pic.twitter.com/cBRixnlTgY
Wenig später wurden Kinder und Jugendliche auf die Bühne geholt. Sie alle seien aus Mariupol gerettet worden, verkündet die Moderatorin stolz. Ein Mädchen bedankte sich unter Tränen bei Onkel Yura – dem neben ihr stehenden Soldaten – dafür, dass er sie und Tausende andere Kinder aus Mariupol gerettet habe.
In Wahrheit wird Russland beschuldigt, Tausende ukrainische Kinder gewaltsam auf russisches Territorium deportiert und zur Adoption freigegeben zu haben. Sollte sich dies bewahrheiten, käme dies einem Kriegsverbrechen gleich.
Aus #Mariupol verschleppte Kinder werden bei der #Putin Shit-Show in #Moskau auf die Bühne gezerrt, und müssen sich bei ihren Peinigern, den 🇷🇺 Z-NAZI Orks für die Zerstörung ihrer Heimat öffentlich bedanken. — Das muss die großartige 🇷🇺 Kultur sein. 🤮🖕pic.twitter.com/8qWWC0zVwA
— @BrennpunktUA 🇩🇪🇺🇦 (@BrennpunktUA) February 22, 2023
Dann endlich, nach fast 1.5 Stunden seit Beginn der Show, betrat Putin die Bühne. Erstmals erklang ein lauterer Applaus, auch sein Name wurde in vereinzelten Chören gerufen.
Nachdem er einigen Armeeangehörigen, die im Einsatz gewesen sein sollen, die Hand geschüttelt hatte, begann er seine Rede. Er versuchte im Publikum patriotische Gefühle zu schüren und sprach vom Schutz von Familie und Heimat. Damit führte er zur Ukraine über und betonte wie schon in der Vergangenheit so oft, dass man dort um rechtmässiges Gebiet kämpfe:
Dann rief der 70-Jährige in die Russlandfahnen schwenkende Menge: «Zu ihren Ehren: Ein dreifaches »Hurra«!» Das Publikum rief zur offensichtlichen Verwirrung Putins nur einmal zurück. Daraufhin animierte er das Publikum, stattdessen das Wort «Russland» zu rufen.
The masses let Putin down a bit. pic.twitter.com/gmRIScoQ4E
— NEXTA (@nexta_tv) February 22, 2023
Dies schien ihm besser zu gefallen. Unter den Sprechgesängen, die aber bereits nach wenigen Sekunden wieder abebbten, verliess er nach nicht mal 8 Minuten wieder die Bühne. (saw)