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Jetzt will Putin den Krieg mit Geld gewinnen

Jetzt will Putin den Krieg mit Geld gewinnen

Höherer Sold und mehr Geld für die Familie im Todesfall: Putin will seine Lücken in der Armee offenbar mit Geld stopfen. Damit nimmt er die Ärmsten ins Visier.
11.08.2023, 12:3011.08.2023, 10:24
Frederike Holewik / t-online
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Ein Artikel von
t-online

Der russische Präsident Wladimir Putin hat ein Problem. Sein Angriffskrieg gegen die benachbarte Ukraine zieht sich mittlerweile seit mehr als 530 Tagen – und das ist teuer.

Westliche Wirtschaftssanktionen erschweren den Handel, die daraufhin gestoppten Energieexporte haben wichtige Geldflüsse versiegen und den Rubelwert abstürzen lassen (t-online berichtete). Auch der Nachschub an Waffen gestaltet sich schwierig.

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Werbeplakat der Armee in St. Petersburg: Die russische Führung verspricht Rekruten jetzt mehr Geld, wenn sie in den Krieg gegen die Ukraine ziehen.Bild: www.imago-images.de

Vor allem aber ist die wichtigste Ressource, kampfeswillige Soldaten, immer schwerer zu finden. Zu Beginn des Krieges hatte der Kreml verkündet, dass die «militärische Sonderoperation» mit Vertragssoldaten durchgeführt werde, doch schon kurze Zeit später reichte das nicht mehr aus, es folgte die «Teilmobilmachung».

Damals fürchteten viele Russen, dass eine allgemeine Mobilmachung folgen könnte. Dies blieb bislang aus – trotz grosser Verluste der russischen Truppen. Dass Putin es dennoch schafft, die Lücken in der Armee zu füllen, führt der Ökonom und Kremlkritiker Wladislaw Inosemzew auf eine Mischung aus Propaganda und finanziellen Anreizen für junge Russen zurück. «Der Tod auf dem Schlachtfeld ist im heutigen Russland nicht nur ein 'ehrenvolles Schicksal', sondern auch ein lukrativer Einsatz des eigenen Lebens», schreibt er in einem Gastbeitrag für das in Litauen ansässige, russische Onlinemedium «Riddle».

Dreifache des Durchschnittsgehalts

Inosemzew legt dafür mehrere Beispielrechnungen vor, die zeigen: Für junge Männer kann der Fronteinsatz ein ganzes Berufsleben ersetzen, ihr Tod versorgt ihre Familien im Zweifelsfall besser als sie es lebend könnten. Eine perfide Rechnung, die für Putin aufzugehen scheint.

So erhielten ungelernte Rekruten Ende 2022 noch einen Sold von mindestens 195'000 Rubel monatlich, was damals etwa 2900 Franken entsprach (aktuell, durch den sinkenden Rubelkurs, eher 1730 Franken), im Mai 2023 wurden auf Flugblättern sogar mit 220'000 Rubel geworben – also noch mal einem Plus von gut 12 Prozent.

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Gräber von verstorbenen Kämpfern der Söldnergruppe Wagner: Russland versucht durch höhere Löhne und Sondergenehmigungen für Söldner die Lücken in der Armee zu füllen.Bild: www.imago-images.de

Noch krasser sieht der Vergleich zur Soldhöhe bei Kriegsbeginn aus, mehr als 500 Prozent sind die Löhne seitdem gestiegen. Damals erhielt ein Vertragssoldat mit militärischer Erfahrung noch zwischen 38'000 und 42'000 Rubel, umgerechnet nach damaligem Rubelkurs etwa 500 Franken.

Dabei muss man wissen: Das Durchschnittsgehalt in Russland liegt derzeit verschiedenen Berichten zufolge bei 63'000 Rubel monatlich und beträgt damit gerade einmal ein Drittel des neuen Soldatensalärs. In ärmeren Regionen des Landes ist die Diskrepanz noch deutlich grösser.

Auch für den Todesfall eines Soldaten hat Putin die Zahlungen an die Familien deutlich angehoben. Anfang 2022 erhielten die Angehörigen noch drei Millionen Rubel, was etwa 39'000 Franken entsprach. Nur wenige Monate später bekamen Hinterbliebene die sogenannte «Einmalzahlung des Präsidenten» in Höhe von fünf Millionen Rubel (rund 48'000 Franken).

Nicht alle freuen die hohen Löhne

Was diese Zahlen für einen einzelnen jungen Russen bedeuten können, lässt sich am besten mit einem Beispiel verdeutlichen. Inosemzew rechnet vor, dass ein Soldat für einen fünfmonatigen Kriegsdienst aktuell monatlich zwischen 195'000 und 200'000 Rubel verdient und so bereits mit diesem Grundgehalt auf rund eine Million Rubel (knapp 9600 Franken) für seinen Kampfeinsatz käme.

Verstirbt der Soldat dann, erhalten die Hinterbliebenen die «Einmalzahlung des Präsidenten» in Höhe von fünf Millionen Rubel (knapp 48'000 Franken). Hinzu kommen Versicherungsansprüche und die reguläre Entschädigung für den Tod eines an Kampfhandlungen beteiligten Militärangehörigen sowie Entschädigungszahlungen der regionalen Behörden. Insgesamt erhielte die Beispielfamilie so etwa 14.8 Millionen Rubel, was beim aktuellen Kurs rund 135'000 Franken entspricht.

Bildnummer: 55530500 Datum: 21.06.2011 Copyright: imago/Russian Look
June 18, 2011. - Russia, Saint Petersburg. - 15th St. Petersburg International Economic Forum. In picture: Vladislav Inozemtsev, Di ...
Wladislaw Inosemzew: Der Ökonom sieht in den deutlich erhöhten Soldatengehältern auch einen bedrohlichen Gesinnungswandel.Bild: imago images

Eine Summe, von der viele Russen nach lebenslanger Arbeit nur träumen können. In Regionen wie Oblast Iwanowo lag das Durchschnittsgehalt Ende 2022 bei 35'000 Rubel monatlich. In anderen Regionen, darunter Sibirien und der Nordkaukasus, verdienen die Menschen rund 40'000 Rubel monatlich.

Für die mehr als 14 Millionen Rubel muss ein Mensch hier gut 30 Jahre arbeiten. «Mit anderen Worten, Putins Regime heroisiert und glorifiziert den Tod nicht nur, es lässt ihn auch rational als eine gute Wahl erscheinen», sagt Inosemzew.

Doch nicht alle Soldaten sind erfreut über die höheren Löhne. Vor allem unter erfahrenen Soldaten ist der Unmut gross, ihre Gehälter wurden zwar teilweise angepasst, liegen aber dennoch oft unter dem, was ungelernte neue Rekruten erhalten sollen. Das berichtete etwa der desertierte Leutnant Dimitri Mischow in einem Interview mit der BBC. Er selbst habe demnach vor seiner Flucht aus Russland 90'000 Rubel monatlich erhalten, seine jungen Kollegen hingegen seien mit 204'000 Rubel eingestiegen.

Ob das Geld tatsächlich bei den Rekruten und ihren Familien ankommt, ist dabei allerdings unklar. Mehrere Ehefrauen von russischen Soldaten berichteten dem Rundfunkveranstalter «Radio Free Europe» davon, dass Löhne verspätet und teils gar nicht gezahlt wurden. Eine Untersuchung von Beiträgen in sozialen Netzwerken der unabhängigen Nachrichtenagentur Verstka kommt zu dem Schluss, dass dies aktuell häufig vorkommt.

Experte: Putin bereitet Zeit nach dem Krieg vor

Immerhin gehen Schätzungen davon aus, dass die Zahl der Einberufenen und der Vertragssoldaten mittlerweile bei 400'000 bis 450'000 Personen liegt. Damit beläuft sich allein die jährliche Besoldung auf mindestens eine Billion Rubel (etwa 9,6 Milliarden Franken). Hinzu komme laut Inosemzew noch einmal etwa die gleiche Summe in Form von Entschädigungszahlungen für verwundete und getötete Soldaten. Zwei Billionen Rubel entsprechen dabei knapp zehn Prozent der föderalen Staatsausgaben.

Russlands Führung scheint das nicht als Problem zu sehen. Stattdessen werden Militärangehörigen immer weitere Privilegien gewährt. So muss auf staatliche Zahlungen und Hilfsleistungen für Soldaten keine Einkommenssteuer mehr gezahlt werden und Kompensationszahlungen werden im Fall einer Insolvenz nicht in die Konkursmasse einbezogen. Inosemzew zieht daraus den Schluss: «Man hat das Land an den Tod gewöhnt und das Sterben wirtschaftlich attraktiv gemacht.»

(t-online)

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65 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Sälüzäme
11.08.2023 12:51registriert März 2020
Das perfide an der Sache ist, Putin und Entourage bezahlen es ja nicht selber sondern das jetzt schon gebeutelte Volk. Durch wegfallende Staastseinnahmen muss diese idiotische und sinnlose Geldverschwendung irgendwie kompensiert werden, durch nicht gemachte und dringend benötigte Investitionen in die Wirtschaft, Bildung, Gesundheitswesen, Sozialsysteme, Infrastruktur usw. Die Russen werden wirklich auf ein Leben nach dem Krieg vorbereitet, auf ein Scheissleben über Generationen. Wie wird wohl erst der Exodus aussehen wenn die Bevölkerung es verstanden und begriffen hat?
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Martin Baumgartner
11.08.2023 13:42registriert Juni 2022
«Man hat das Land an den Tod gewöhnt und das Sterben wirtschaftlich attraktiv gemacht.»
Besser kann man es nicht ausdrücken wie in Russland das eigene Volk zum Verbrachsmaterial degradiert wird.
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45rpm
11.08.2023 13:30registriert August 2016
Da wird Putin die Geldpresse wohl anwerfen und die Inflation anheizen. Das wird ein böses erwachen für Russland geben.
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