Das Ziel sei zerschmettert worden durch die «wachsende Kraft unserer Streitkräfte und Rüstungsproduktion», sagte Putin am Dienstag in Moskau bei einer Sitzung des Verteidigungsministeriums vor Militärs und Vertretern aus Politik, Kirche und Gesellschaft. Beim Krieg gegen die Ukraine «kann man mit Überzeugung sagen, dass die Initiative aufseiten unserer Streitkräfte liegt», sagte der russische Präsident.
Putin hatte den Überfall auf die Ukraine am 24. Februar 2022 befohlen; daraufhin stellten sich viele Staaten an die Seite des angegriffenen Landes und lieferten ihm Waffen. Die im Sommer 2023 gestartete ukrainische Gegenoffensive zur Befreiung ihrer Gebiete von russischer Besatzung blieb hinter den Erwartungen der Politik und der Zivilgesellschaft zurück. Ausländische Experten wie das Institut für Kriegsstudien (ISW) in den USA beobachteten zuletzt, dass Russland mit seinen Vorstössen Geländegewinne erzielt.
Putin hat die Gegenoffensive der ukrainischen Streitkräfte zuletzt wiederholt für gescheitert erklärt. «Der Gegner erfährt schwere Verluste und hat in bedeutendem Umfang seine Reserven aufgebraucht», sagte der 71-Jährige. «Auch der Mythos von der Unverwundbarkeit westlicher Militärtechnik ist zusammengebrochen.» In einer Schweigeminute liess Putin der bei den Kämpfen getöteten russischen Soldaten gedenken. Zahlen zu den Verlusten nannte er nicht.
Russlands Verteidigungsminister Sergej Schoigu sagte bei der Sitzung, die Ukraine habe inzwischen 383'000 Soldaten durch Tod oder Verwundung verloren in dem Krieg. Die Ukraine wiederum gibt die Zahl der Verluste in den russischen Reihen aktuell mit 348'000 Soldaten an. Die Angaben sind nicht überprüfbar. Offizielle Zahlen über ihre eigenen Verluste gibt keine der beiden Kriegsparteien bekannt.
Schoigu sagte auch, dass die Zahl der Freiwilligen im kommenden Jahr um mehr als 250'000 auf rund 745'000 Vertragssoldaten steigen solle. Gelockt werden die Russen zum Kriegsdienst demnach weiter mit einem vergleichsweise hohen Sold von umgerechnet rund 2000 Euro im Monat. «Vorrangiges Ziel für das kommende Jahr ist es, die militärische Spezialoperation fortzusetzen bis zur Erfüllung aller gesetzten Aufgaben», sagte Minister Schoigu. Zu den Aufgaben gehören nach früheren Angaben vor allem die komplette Kontrolle über die bisher teilweise besetzten Gebiete Cherson, Luhansk, Donezk und Saporischschja - und eine Entmilitarisierung der Ukraine.
Putin warf einmal mehr den USA vor, den Konflikt in der Ukraine bis zu einem Krieg getrieben zu haben. Es sei dem Westen stets nur darum gegangen, das Land als Instrument zur Zerstörung Russlands zu benutzen, behauptete er. Erreicht hätten die USA «ihr Ziel», auf dem europäischen Kontinent, Russland und die EU auseinander zu bringen. Der Kremlchef kritisierte auch die wachsende Aktivität der Nato vor den Grenzen Russlands – etwa in Finnland, das allerdings erst im Zuge von Putins Krieg Mitglied in dem Militärbündnis wurde.
Putin erklärte zudem öffentlich, dass der Krieg gegen die Ukraine Probleme in der russischen Verteidigung aufgezeigt habe. So brauche Russland mehr Drohnen, eine bessere Flugabwehr und ein modernes Satellitenkommunikationssystem. Zugleich lobte er die Modernisierung der strategischen Waffen der Atommacht. So seien etwa vier Langstreckenbomber vom Typ Tu-160M sowie vier Atom-U-Boote in Betrieb genommen worden. Bis Jahresende sollten 15 neue Startkomplexe für die Interkontinentalraketen vom Typ Jars und Avantgard einsatzbereit sein.
Gut 750 Kilometer entfernt wehrte sich der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj in einer eigenen Rede gegen die Darstellung Putins. Selenskyj verwies am Dienstag bei seiner grossen Pressekonferenz zum Jahresende auf abgewehrte Angriffe entlang der Front. «Russland hat in diesem Jahr keine Erfolge erzielt», sagte Selenskyj in Kiew. Das ostukrainische Gebiet Donezk zum Beispiel habe Moskau weiter nicht komplett erobern können. Stattdessen habe die Ukraine die Kontrolle über das westliche Schwarze Meer weitgehend wieder hergestellt.
Im Gegensatz zu Russland ist die Frage nach der Mobilisierung neuer Soldaten nach Worten von Selenskyj eine teure und politisch heikle Frage. «Die Frage der Mobilisierung ist eine sehr sensible», sagte Selenskyj bei seiner Pressekonferenz. Die Armee habe 450 000 neue Soldaten angefordert. Eine zusätzliche Mobilmachung in diesem Umfang erfordere etwa 500 Milliarden Hrywnja (12,2 Milliarden Euro). Für ihn sei es zudem wichtig, wer von den bisher kämpfenden Soldaten dann ein Recht auf Erholung und Heimaturlaub bekomme. Es werde ein komplexer Plan ausgearbeitet für diese Rotation.
Zudem zeigte sich Selenskyj zuversichtlich, dass sein Land ungeachtet aktuell stockender westlicher Hilfen künftig sowohl von den USA als auch von der EU weiter unterstützt werde. «Ich bin überzeugt davon, dass die USA uns nicht verraten werden», sagte er. Auch mit Blick auf ein derzeit von Ungarn blockiertes EU-Finanzpaket in Höhe von 50 Milliarden Euro zeigte sich der Staatschef optimistisch: «Es werden sich Mittel finden, diese 50 Milliarden zu erhalten.»
Die Ukraine ist bei der Verteidigung gegen die russische Invasion zu grossen Teilen auf die Militär- und Finanzhilfe westlicher Partner angewiesen. Als wichtigster Verbündeter gelten die USA. Aus Kiewer Sicht ist es deshalb äusserst besorgniserregend, dass die Freigabe weiterer Mittel durch das US-Parlament derzeit durch einen Streit zwischen Republikanern und Demokraten blockiert wird.
Nicht bestätigen wollte Selenskyj derweil Prognosen, dass der Krieg in seinem Land noch lange andauern werde. «Ich denke, das weiss niemand.» Die Dauer des Kriegs hänge von vielen Faktoren ab, fügte er hinzu - insbesondere von den Ukrainern selbst. «Wenn wir unsere Widerstandsfähigkeit nicht verlieren, werden wir den Krieg eher beenden.»
(dab/sda/dpa)
Der Westen ist momentan unsicher, ob er bedingungslos hinter der Ukraine stehen soll. DAS ist der springende Punkt. Hat null und nichts mit Militärtechnik zu tun.