Ein kleiner, nordkoreanischer Hafen rückt in diesen Tagen immer mehr in den Fokus internationaler Beobachter. Während er in den 1990er Jahren noch als exotischer Warenumschlagplatz für die abgeschotteten Menschen in Nordkorea galt und dann lange stillstand, dient der Hafen Rajin heute wohl einem grossen, mächtigen Nachbarn: Russland.
An dem unscheinbaren Ort gehen offenbar Transportschiffe mit Waffen, Munition und militärischer Ausrüstung von Land – alles Material, das Moskau im Angriffskrieg gegen die Ukraine dringend braucht. 2000 Container mit Artilleriemunition und Kurzstreckenraketen hat Nordkorea nach Angaben von Forschern jüngst übers Meer nach Russland geschickt. Die Wissenschaftler stützten sich unter anderem auf Satellitenbilder, die entsprechende Schiffe zeigen.
North Korea has sent about 2,000 containers of weapons to Russia, Reuters informs.
— Anton Gerashchenko (@Gerashchenko_en) November 30, 2023
Artillery shells and short-range missiles were possibly loaded onto Russian ships at the North Korean port of Rason, which has been out of service since 2018.
Also, since late 2022, activity has… pic.twitter.com/m2d8wkGzVr
Das Treiben am Hafen hat auch der estnische Geheimdienst im Blick, das baltische Land fürchtet nach dem russischen Überfall auf die Ukraine, ebenfalls zum Ziel der Aggression aus dem Kreml zu werden. Nach Angaben des Geheimdienstchefs Ants Kiviselg kann ein einzelner solcher Seecontainer 300 bis 350 Stück Artilleriemunition fassen. Folglich könnten allein mit der jüngst dokumentierten Lieferung 600'000 bis 700'000 Stück geliefert worden sein. Das entspräche in etwa der Munition, die Russland insgesamt in zwei Monaten in der Ukraine verschiesst.
Für den Kreml ist das von grosser Relevanz. Der Krieg in der Ukraine dauert viel länger als geplant und verschlingt viel mehr Waffen und Munition, als die russische Wirtschaft selbst produzieren kann. International ist Nordkorea zudem isoliert, was Russland nutzen kann, um Pjöngjang als Verbündeter an sich zu binden.
Der Hafen Rajin zählt zu Rasŏn, einer Region mit knapp 200'000 Einwohnern an der Nordspitze Nordkoreas und damit fast direkt an der Grenze zur russischen Süd-Ostspitze. Die nordkoreanische Region gilt eigentlich als Sonderwirtschaftszone, die gesondert gefördert wird, etwa mit dem Ausbau von Schienenwegen. In dem Hafen selbst war es aber zuletzt ruhiger geworden. Und nun wird dort so viel Aktivität verzeichnet wie seit 2018 nicht mehr. Vom Hafen von Rajin dauert es nicht lang, bis eine Schiffsfracht russische Gewässer erreicht.
Dort, im Hafen von Dunaj, Russland, wird die Fracht schliesslich auf Züge verladen und gelangt durch Russland in die Ukraine. Zum Beispiel auf die völkerrechtswidrig annektierte Halbinsel Krim und von dort an die Front. Das britische Forschungsinstitut Rusi identifizierte entsprechende Container, die in den Häfen Rajin und Dunaj gesichtet worden waren und schliesslich in der Ukraine wieder auftauchten.
Legal ist der Waffentransport nicht: Jegliche Abgabe von Waffen Nordkoreas an Russland ist ein Verstoss gegen gleich mehrere Resolutionen des UN-Sicherheitsrats, in dem Russland einen ständigen Sitz hat. Der Rat hat Nordkorea mit Zustimmung Russlands Waffenexporte verboten. Importiert Russland nun tatsächlich Waffen, würde es seine eigenen Sanktionen unterlaufen. Entsprechend vehement streitet Moskau Rüstungsimporte aus Nordkorea ab. Es gebe keine Deals, heisst es aus Moskau.
Doch stimmen die Berichte der Forschenden, ist der Austausch rege – und beidseitig sehr ergiebig: In Rajin sollen Nahrungsmittel und Atom-Technologie anlanden, von Schiffen, die aus dem russischen Hafen Dunaj gestartet sind, auch das zeigen Satellitenaufnahmen. Nordkorea ist notorisch unterversorgt, ein grosser Teil der Bevölkerung gilt als mangelernährt.
Auch das britische Verteidigungsministerium geht von einer engen Zusammenarbeit aus. Sollte Nordkorea den Umfang und das Tempo seiner Lieferungen beibehalten, schrieb das Ministerium bei X (vormals Twitter), sei es «auf dem besten Weg, neben dem Iran und Belarus zu einem der wichtigsten ausländischen Waffenlieferanten Russlands zu werden».
Und, so abwegig es erscheinen mag, Nordkorea könnte sich von den Lieferungen mehr Tourismus erhoffen. Da sich Nordkorea und Russland nun sehr nahe kommen, «könnte Russland mehr Touristen nach Nordkorea schicken, was den Tourismus (in Rasŏn) wiederbeleben könnte», sagte Jeong Eunlee, Nordkorea-Experte, gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters. Auch von Arbeitern ist die Rede: Diese könnte Nordkorea nach Russland schicken, wo wegen der Mobilisierung Hunderttausender Rekruten für den Krieg Männer fehlen. Die Anstellung der Arbeiter in Russland könnte wiederum Geld nach Nordkorea spülen.
Während es die Waffenlieferungen offiziell nicht gibt, betonen beide Staaten in aller Öffentlichkeit, ihre diplomatischen Beziehungen ausbauen zu wollen. Man wolle gemeinsam Öl- und Gasvorkommen vor der Küste Nordkoreas ergründen, hiess es jüngst vom russischen Rohstoffminister Alexander Koslow. Man werde nach Lagerstätten von Gold und seltenen Erden suchen und Nordkorea mehr Mehl-, Mais- und Sojaöl liefern.
Unterdessen soll ausserdem der Cargo-Zugverkehr nach Russland verstärkt worden sein: Seit Juli sind in der Region Rasŏn neue Depots eröffnet worden, berichtet Reuters, auffällig viele, seit der russische Verteidigungsminister Sergej Schoigu im Juli zu Besuch in Nordkorea war. Nordkoreas Kim Jong-un hatte anschliessend Russland besucht. Sein erster Auslandsaufenthalt seit 2019 untermauerte einmal mehr, wie sehr sich die Staaten darum bemühen, Nähe zu demonstrieren.
Bei all ihrer Verbundenheit scheinen die beiden nicht nur die Lieferungen über Russland selbst zu verschleiern. Der Sprecher des Nationalen Sicherheitsrates der USA, John Kirby, sagte unlängst, Pjöngjang versuche, Transporte auch über andere Länder zu steuern. Besonders im Fokus: Staaten im Nahen Osten und Nordafrika.
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